Obamas Afghanistan-Strategie:Report enthüllt gescheiterte US-Politik am Hindukusch

Eine brisante Studie des US-Senats stellt die gesamte Afghanistan-Strategie der Regierung Obama in Frage: Milliarden Dollar versickern, der Erfolg bleibt aus, die Zahlen sind alarmierend. Selbst Parteifreunde des Präsidenten sprechen vor einer brandgefährlichen "Kriegs-Ökonomie".

Christian Wernicke, Washington

Die Afghanistan-Strategie von USA und Nato, mittels massiver Wirtschaftshilfe den Rückhalt für die Taliban-Rebellen zu brechen und am Hindukusch ein befriedetes Land aufzubauen, droht zu scheitern. "Unsicherheit, bittere Armut, schwache einheimische Kapazitäten und weit verbreitete Korruption" blockierten vielerorts den Einsatz westlicher Hilfe, heißt es in einem Report, den Mitarbeiter des Auswärtigen Ausschusses des US-Senats nach zweijähriger Recherche am Mittwoch in Washington veröffentlichten.

Obamas Afghanistan-Strategie: Riskanter Einsatz am Hindukusch: Verletzter US-Soldat an Bord eines Hubschraubers über Afghanistan.

Riskanter Einsatz am Hindukusch: Verletzter US-Soldat an Bord eines Hubschraubers über Afghanistan.

(Foto: AP)

Die Analyse erscheint zu einem heiklen Zeitpunkt: Noch in diesem Monat will Präsident Barack Obama entscheiden, wie viele Tausend der derzeit 100.000 US-Soldaten demnächst heimkehren sollen.

Die Senatsstudie stellt im Kern die gesamte US-Strategie der Aufstandsbekämpfung in Frage, die die Obama-Regierung seit 2009 verfolgt. Demnach sollen US-Soldaten nach der Eroberung afghanischer Dörfer sofort mit dem Aufbau von Hilfsprojekten beginnen und so die Zivilbevölkerung mit konkreten Fortschritten beeindrucken. Dazu verfügen Offiziere der US-Armee, Diplomaten des State Departments sowie Entwicklungsexperten der Hilfsbehörde USAID über üppig ausgestattete Fonds. Jeden Monat stehen den US-Helfern 320 Millionen Dollar zur Verfügung, von 2002 bis 2010 flossen 18,8 Milliarden Dollar ziviler US-Aufbaumittel nach Afghanistan.

In der Praxis, so der Report, versickere ein Großteil der Mittel. Viele Projekte seien zu kurzfristig angelegt, die von außen strömende "Flutwelle von Geld" würde die lokalen Gemeinschaften überfordern. Häufig fließe die Hilfe in Vorhaben, die nach Rückzug der US-Soldaten schnell aufgegeben würden, weil der afghanische Staat nicht in der Lage sei, die Neuinvestitionen zu verwalten.

Die Wiederaufbauhilfe stellt nur einen geringen Teil der Kosten dar, die Amerikas Steuerzahler seit der Invasion im Herbst 2001 tragen. Von 2002 bis 2010 überwies Washington an Kabul außerdem 32,9 Milliarden Dollar als direkte Budgethilfe etwa für den Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte und zur Drogenbekämpfung. Die größte Summe verschlingt der Einsatz der eigenen 100.000 Soldaten: circa 120 Milliarden Dollar im Jahr.

Die neue Senatsstudie verweist deshalb auf eine Schätzung der Weltbank, wonach 97 Prozent aller afghanischen Wirtschaftsleistung derzeit von internationalen Gebern alimentiert werde. Kabul und seine Nato-Partner müssten dringend umsteuern, andernfalls werde "Afghanistan eine schwere wirtschaftliche Depression erleiden, wenn ausländische Truppen in 2014 abziehen."

Deutliche Mehrheit der US-Bürger will Truppen abziehen

Senator John Kerry, als Vorsitzender des Außenausschusses gleichsam der Auftraggeber des Reports, warnt, man habe am Hindukusch "eine Kriegs-Ökonomie geschaffen". Dies sei "sehr gefährlich", sagte Kerry der Washington Post: "Persönlich bin ich dafür, dass wir deshalb auch unsere militärische Strategie in gewissem Maße ändern."

USA Präsident Barack Obama

Muss in Afghanistan einen Krieg führen, den er von seinem Vorgänger übernommen hat: US-Präsident Barack Obama

(Foto: Getty Images)

Damit spielt Kerry auf eine Debatte um Strategie und Truppenstärke an, die vor eineinhalb Jahren die Obama-Regierung innerlich gespalten hatte. Damals setzen sich Verteidigungsminister Robert Gates und Hillary Clinton durch, die für zwei Jahre eine Aufstockung der US-Streitkräfte um 30.000 Soldaten forderten, um so die bis heute gültige Strategie der Aufstandsbekämpfung umzusetzen.

Vize-Präsident Joe Biden hatte dies abgelehnt und stattdessen eine Strategie der Terrorbekämpfung empfohlen, die vor allem auf Einsätze von Spezialtruppen und Attacken von Drohnenflugzeugen setzt und mit insgesamt weniger Bodentruppen auskommt.

Weil angeblich auch Leon Panetta, der bisherige CIA-Chef und designierte Gates-Nachfolger, dieser Sicht anhängt, könnten sich die Gewichte innerhalb von Obamas Sicherheitskabinett bald verschieben.

Noch in diesem Monat muss Obama bekanntgeben, wie viele Truppen er in einem ersten Schritt des ab Juli beginnenden US-Truppenabbaus aus Afghanistan abziehen will. Minister Gates möchte vorerst "nur bescheidene Bewegungen" von 3000 bis 5000. Vize-Präsident Biden sowie enge Präsidentenberater fordern höhere Ziffern.

Der einflussreiche Senator Carl Levin verlangte gar, bis Ende 2011 müssten "mindestens 15.000 Mann" heimkehren. Laut Umfragen sagen drei von vier US-Bürger, Obama solle sofort "eine substantielle Zahl" von US-Soldaten abziehen.

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