Obama zur NSA-Affäre:Wenn die Maschine den Menschen steuert

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Barack Obama liest während seiner Rede vom Teleprompter ab. (Foto: AFP)

Barack Obama war einst ein Gegner des Überwachungsstaats. Dann kam heraus, dass die USA die ganze Welt ausforschen. Trotzdem macht der US-Präsident nicht Schluss mit seiner Spähmaschine NSA. Das Weiße Haus hat ihn verändert. Hat es ihn sogar paranoid gemacht?

Ein Kommentar von Nicolas Richter, Washington

Amerikanische Kinos zeigen jetzt eine skurrile Beziehungsgeschichte. In dem Science-Fiction-Film "Her" entwickelt der einsame Schriftsteller Theodore eine Freundschaft, gar Liebe, zu seinem Computer, der ein Bewusstsein hat und sich Samantha nennt. Samantha unterhält sich mit Theodore über Gefühle, er geht mit ihr spazieren, damit sie mit ihrem Kameraauge die Welt entdeckt. Eine Geschichte über Einsamkeit in High-Tech-Zeiten; über das Bedürfnis, verbunden zu sein, wie auch immer.

In Washington ist seit sechs Monaten eine ähnlich bizarre Beziehung zu beobachten. Präsident Barack Obama, einst Gegner des Überwachungsstaats, lebt in einer Zweckgemeinschaft mit einem Computerorganismus namens National Security Agency. Wie sich herausstellt, forscht der Apparat die ganze Welt aus: Alltagstelefonate in Amerika, Bewegungsprofile in Kairo, E-Mail-Ströme aus Pakistan, lange sogar Angela Merkel. All das widerspricht eigentlich den Überzeugungen Obamas, doch offenbar haben sich diese Überzeugungen unter dem Einfluss des gefräßigen Betriebssystem NSA geändert.

Am Freitag hat Obama über das Verhältnis zu seiner Spähmaschine gesprochen. Er hat nicht Schluss gemacht mit der NSA. Sie wird auch in Zukunft einsammeln dürfen, was der Nationalen Sicherheit dienen könnte. Die Verbindungsdaten sämtlicher US-Inlandsgespräche wird Obama weiter sammeln lassen, er wird lediglich den Zugang erschweren und zur Debatte stellen, wer den Datenwust verwalten soll.

Damit verfestigt sich das Alles-oder-nichts-Prinzip, das die NSA erfunden hat: Demnach funktioniert das System nur, wenn man praktisch alles nehmen und speichern darf. Im Ausland setzt Obama der NSA noch weniger Grenzen. Sie wird nicht mehr jeden Regierungschef abhören dürfen, übrig bleiben trotzdem genug Quellen und Leitungen. Die NSA bleibt ein einmalig invasives Werkzeug.

Die Paranoia geht auf die Politiker über

Die Wandlung Obamas in den ersten Amtsjahren ist ein Beispiel für den Einfluss von Apparaten auf Menschen, in diesem Fall von Sicherheitsapparaten auf Politiker. Amerikas Spionage-Organisationen haben einen Präsidenten umgedreht oder verführt, der ihnen einst tief misstraute. Als Kritiker staatlicher Allmacht hätte Obama seinem Volk schon in der ersten Amtszeit schildern müssen, was er 2009 im Weißen Haus entdeckt hat, er hätte eine Debatte anstoßen müssen. Obama behielt das Geheimnis aber für sich. Er wollte die NSA mit niemandem teilen, er wollte sie schon gar nicht zerteilen lassen. Von sich aus hätte er wohl nie verraten, was nun Edward Snowden verriet.

Das Weiße Haus ist berüchtigt dafür, seine Bewohner zu verändern. Wer über die Schwelle tritt, ist plötzlich einsam und für alles verantwortlich. Jeden Morgen deckt der Geheimdienst den Präsidenten mit Gefahrenprognosen ein; die Paranoia kann damit auf den Politiker übergehen.

Aber die Dienste verheißen auch Trost: Vielleicht, säuseln sie dann, können wir das Schlimmste abwenden, wenn wir mit unserer Technik genug herausfinden dürfen. Das klingt wie im Film "Her", als der Computer zum Schriftsteller sagt: "Ich spüre die Angst, die du mit dir herumträgst." In einer solchen Vertrauens- und Schicksalsgemeinschaft bleibt für Dritte wenig Raum. Unbemerkt von der Öffentlichkeit bauten Präsident George W. Bush und sein Vize Dick Cheney die NSA nach dem 11. September 2001 zu einer unvorstellbar leistungsfähigen, orwellschen Maschinerie aus. Die technischen und finanziellen Möglichkeiten waren grenzenlos; dienstbare Juristen begutachteten alle rechtlichen Bedenken weg. Ein ohnehin sehr amerikanisches Prinzip konnte sich von nun an unkontrolliert entfalten: Was technisch möglich ist, wird gemacht. Was man bekommen kann, nimmt man mit.

Dass sich ausgerechnet Obama zunächst mit dem Prinzip arrangiert hat, zeigt, wie überzeugend solche Technologien auf jene wirken, die sich davon gut bedient fühlen. In Obamas Wahrnehmung sah die NSA in ihrem verglasten Hauptquartier vermutlich relativ sauber aus gemessen an dem, was er sonst noch alles geerbt hatte: unter anderem Guantanamo und zwei Kriege. Frühe Hinweise auf Exzesse der NSA ignorierte er.

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Als dieses System noch Bush diente, fand Obama es abstoßend. Nun, als "user", fand er es so praktisch wie ein neues Smartphone, das Befehle ausführt, wenn man mit ihm spricht. Darin liegt auch jede Menge Obama-Hybris: Aus seiner Sicht scheint ein missbrauchsanfälliges System wohl alleine dadurch entschärft, dass er es bedient und nicht mehr Bush.

Aber die Affinität Obamas zur NSA hat auch sehr persönliche Gründe. Der Datenstrom kommt sowohl seinem Charakter wie auch seiner Politik entgegen. Erstens ist Obama ein Kopfmensch, seine peniblen Abwägungsprozesse verlangen einen erheblichen Input an Information. Schon seine Wahlkämpfe waren technisch überlegen. Zweitens ist Obama überzeugt, dass Amerika Macht intelligenter einsetzen muss. Amerikas Feinde bekämpft er nicht mehr mit Armeen, sondern mit ferngesteuerten Drohnen, deren Ziele der Spionageapparat zuvor ermittelt hat.

Wer die Technik besitzt, möchte sie nicht mehr hergeben

Obama benutzte zuletzt oft einen Satz, der nun auch zu den Kernaussagen seiner NSA-Rede gehörte: Der Staat sollte etwas nicht nur deswegen tun, weil er es kann. Dieser Satz ist erstaunlich widersprüchlich, denn Obama hat ja über Jahre ein System geduldet, nur weil es das System gab . Nur unter dem Druck der Snowden-Enthüllungen mäßigte er sich und entdeckte den alten Verfassungsrechtler in sich wieder. Es wird sein Geheimnis bleiben, wie viele Reformen er aus Überzeugung angekündigt hat und welche bloß deshalb, weil er Anhänger und Ausland beruhigen wollte.

Statt diese Rede aber schon vor vier Jahren zu halten, ließ er die NSA gedeihen. Die ist nun derart gewaltig gewuchert, dass sie ein paar Eingriffe der Politik gelassen hinnehmen kann, ohne allzu viel an Substanz zu verlieren. Die NSA offenbart, wie Technologie sowohl Politik wie auch Recht vor sich hertreiben kann. Und sie zeigt, wie schwer es ist, eine etablierte Technologie rückgängig zu machen. Wer die Technik einmal besitzt, möchte sie nicht mehr hergeben. Die Atombombe ist dafür das beste Beispiel.

Das sonderbare Verhältnis Barack Obamas zur Beobachtungsmaschine NSA ähnelte lange Zeit dem von gewöhnlichen Bürgern zu ihrem Smartphone. Man wird abhängig von dem Gefühl, alles im Blick zu haben und mit allem verbunden zu sein. Anfangs steuert der Mensch noch die Maschine, irgendwann steuert die Maschine dann den Menschen. Edward Snowden hat diese Gefahr erkannt. Barack Obama hat das nicht.

© SZ vom 18.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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