Obama vor der Kongresswahl:Warten auf die große Welle

Bei den US-Wahlen erwarten Umfrageforscher einen Tsunami. Die Frage ist nur, wie viele Demokraten weggespült werden. Das Klima in Washington wird rauer - und Präsident Obama muss sich einen neuen Stil angewöhnen.

Reymer Klüver, Washington

Keiner sagt es laut. Aber die Demokraten haben die Wahlen am 2.November schon abgeschrieben, weitgehend zumindest. Dass sie abgestraft werden, steht ohnehin fest. So ist das den Regierungsparteien in den USA, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in den vergangenen hundert Jahren immer gegangen: Bei der ersten Zwischenwahl eines neuen Präsidenten - also der ersten Kongresswahl knapp zwei Jahre nach seinem Amtsantritt - erleidet dessen Partei zumeist empfindliche Einbußen.

Obama bei Wahlkampfveranstaltung

Retten, was zu retten ist: Barack Obama macht wieder Wahlkampf.

(Foto: dpa)

In diesem Jahr kommt erschwerend ein allgemeines Krisengefühl hinzu: Die eigentlich von Natur aus eher optimistischen Amerikaner glauben, dass es mit ihrem Land bergab geht. Zumal die kombinierte Immobilien-, Banken- und Wirtschaftskrise vor zwei Jahren Milliarden an Vermögenswerten ausgelöscht hat. Nach der großen Rezession wächst nun die Wirtschaft nicht so schnell, wie das die Bürger von früher gewohnt sind. Und die Arbeitslosenquote bleibt hartnäckig hoch.

Deswegen machen sich die Demokraten keine Illusionen über den Umfang ihrer Niederlage. Auch wenn den jüngsten Umfragen zufolge der Negativtrend gestoppt zu sein scheint, und mehr enttäuschte Anhänger der Partei nun doch zur Wahl gehen und für sie stimmen wollen: "Das verändert die politische Realität nicht mehr", konstatiert Stuart Rothenberg, einer der angesehensten Wahlforscher des Landes. Bei dieser Wahl kommt eine "Welle" auf die Demokraten zu, wie er und seine Kollegen das nennen, eine Welle von Frustration, die viele ihrer Mandatsträger aus dem Amt spülen wird. Charlie Cook, ebenfalls eine Koryphäe in der Zunft der Wahlanalysten, erwartet gar einen "Tsunami", wie er schon vor Wochen hinter vorgehaltener Hand gesagt hatte. Und seither kann er "keinen echten Wandel in der politischen Großwetterlage" ausmachen.

Im Repräsentantenhaus werden die Demokraten ihre bisher komfortable Mehrheit einbüßen, im besten Fall knapp halten. Was am Ende aber auf fast dasselbe hinausläuft: Für ehrgeizige Reformvorhaben wie etwa das Klimaschutzgesetz wird es im neuen Kongress niemals genug Stimmen geben. (Das Gesetz hatten sie 2009 bereits im Repräsentantenhaus durchgewunken, der Senat hat darüber aber nicht abgestimmt. Deshalb wird es mit Ende der Legislaturperiode Anfang kommenden Jahres verfallen.)

Einen nicht zu unterschätzenden Nachteil hätte ein Machtwechsel im Repräsentantenhaus aus Sicht der Demokraten allerdings doch. Sie müssten nicht nur den Vorsitz in allen Ausschüssen an die Republikaner abtreten, weil der immer an die Mehrheitsfraktion geht. Die Republikaner könnten dann auch festlegen, worüber der Kongress überhaupt abstimmt - da kann der Präsident im Zweifel vorschlagen, was er will. Vor allem aber haben die Republikaner dann die Aufsichtspflicht über die Regierung. Und diese werden sie sehr ernst nehmen. Sie werden die Parlamentsausschüsse zu Untersuchungsausschüssen machen und unangenehme Anhörungen organisieren, etwa zum Vorgehen bei der Ölpest oder zur Vergabe der Milliardenaufträge aus dem Konjunkturprogramm. Da dürfte viel schmutzige Wäsche gewaschen werden.

Im Senat werden die Republikaner den Demokraten ebenfalls eine Reihe von Sitzen abnehmen. Wenn man die Rennen in den einzelnen Bundesstaaten analysiert, dürfte es den Demokraten aber wohl reichen, ihre Mehrheit knapp zu halten. Viel Veränderung wird das nicht bringen: Um umstrittene Gesetze durchzubringen, braucht die Mehrheitsfraktion wegen der komplizierten Geschäftsordnung des hundertköpfigen Gremiums ohnehin eine sogenannte Supermehrheit von 60 Stimmen. Die war bisher bereits schwer erreichbar - Beispiel Klimaschutzgesetz. Sie wird künftig eben noch ein bisschen weiter in die Ferne rücken.

Auch bei den Gouverneurswahlen in den Bundesstaaten dürften die Republikaner klar vorn liegen und den Demokraten ein Dutzend Posten entziehen, während sie umgekehrt höchstens eine Handvoll an die Demokraten verlieren werden. Das ist insofern wichtig, als in den kommenden zwei Jahren auf Grundlage der diesjährigen Volkszählung die Wahlkreisgrenzen für ein Jahrzehnt neu abgesteckt werden. Der Gouverneur hat enormen Einfluss auf diesen Prozess. Wenn die Republikaner nun nicht nur den Gouverneurspalast, sondern auch noch den Kongress in einem Bundesstaat erobern, können sie den Zuschnitt der Wahlkreise in ihrem Sinne verändern.

Der Präsident kann trotzdem siegen

Doch das eigentliche Augenmerk gilt natürlich nicht der Provinz, sondern Washington. "Der Präsident wird künftig keinerlei Möglichkeit mehr haben, ambitionierte Gesetzesinitiativen durchzudrücken", konstatiert Thomas Mann, seit Jahren ein scharfsinniger Beobachter der Washingtoner Politik am renommierten Brookings-Forschungsinstitut. "Die Chancen dafür liegen bei exakt null."

Tatsächlich dürfte Obama sich für die zweite Hälfte seiner Amtszeit einen neuen Regierungsstil angewöhnen. War er bisher bemüht, seine Vorhaben durch den Kongress zu boxen - vom Konjunkturpaket kurz nach seinem Amtsantritt bis zur Finanzmarktreform in diesem Sommer -, so wird er nun per Verordnung regieren. "Man kann wohl zu Recht sagen, dass es weniger um gesetzgeberische Initiativen gehen wird als darum, den Wandel umzusetzen, den wir bereits angeregt haben", sagt David Axelrod, Obamas engster politischer Berater.

Das muss Obama nicht zum Nachteil gereichen. Auch seine Vorgänger Bill Clinton und Ronald Reagan mussten sich nach der ersten Zwischenwahl mit Mehrheiten der jeweils anderen Seite arrangieren. Sie wurden triumphal wiedergewählt. Das Ergebnis der Zwischenwahl sagt also nichts über den Ausgang der nächsten Präsidentschaftswahl aus. "Da gibt es keinerlei Zusammenhang", sagt Analyst Thomas Mann. "Obamas Chancen einer Wiederwahl hängen vor allem davon ab, wie schnell oder langsam sich die Wirtschaft erholt."

Die Republikaner im Kongress indes werden alles andere tun, als künftig wieder mit dem von ihnen so gering geschätzten Mann im Weißen Haus zusammenzuarbeiten. Aus zwei Gründen: Zum einen hat ihnen die Fundamentalopposition zum Präsidenten, die sie seit dessen Antritt durchgehalten haben, nur geholfen: Obama ist nicht wirklich populär; seine Partei steht vor einer schweren Wahlniederlage. Warum also sollten sie damit aufhören, zumal wenn sie vielleicht im Repräsentantenhaus die Mehrheit haben? Im Gegenteil werden sie versuchen, die Vorhaben der Regierung zu konterkarieren. Zum Beispiel die verhasste Gesundheitsreform. "Wir werden alles tun, um diese Monstrosität zu stoppen", sagte John Boehner, Vormann der Republikaner im Repräsentantenhaus, erst vergangene Woche. Tatsächlich könnte der Kongress den für die Reform zuständigen Behörden schlicht den Geldhahn zudrehen.

Zum anderen aber wird die Tea-Party-Bewegung die republikanischen Abgeordneten in Washington an Kompromissen hindern. Sie wird weiter an Einfluss gewinnen. Wenn nicht alle Prognosen trügen, wird ein halbes Dutzend Tea-Party-Kandidaten auf Seiten der Republikaner allein in den Senat einrücken. Schon jetzt haben Aktivisten der Bewegung zu erkennen gegeben, dass sie moderate republikanische Senatoren, die in der Vergangenheit hin und wieder mit den Demokraten gestimmt haben, von ihren Posten verdrängen wollen, wenn die in zwei Jahren zur Wiederwahl anstehen. Senatoren wie Olympia Snowe aus Maine und Richard Lugar aus Indiana stehen ganz oben auf ihrer Abschussliste. Das politische Klima in den USA dürfte nur noch rauer werden.

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