Obama und die Überwachungsaffäre:Vier Beruhigungspillen für Amerika

U.S. President Obama addresses a news conference at the White House in Washington

Barack Obama bei der Pressekonferenz im Weißen Haus am Freitag

(Foto: Reuters)

Kurz vor dem Sommerurlaub geht der US-Präsident zum Gegenangriff in der Spionageaffäre über. Barack Obama verteidigt die Überwachung durch die NSA, kündigt aber auch mehr Transparenz und Kontrolle an. Es ist eine Strategie, die vor allem die Kritiker in den USA ruhig stellen soll. Grundsatzfragen bleiben unbeantwortet.

Von Matthias Kolb und Pascal Paukner

Irgendetwas musste jetzt noch geschehen. Eine Reaktion auf die Enthüllungen der vergangenen Wochen war angesagt. Irgendwie musste sich Barack Obama etwas Luft verschaffen, bevor er am Samstag zum einwöchigen Sommerurlaub mit seiner Familie in den Nobel-Ferienort Martha's Vineyard aufbrach. In der Gesamtheit drohte der NSA-Überwachungsskandal dann doch zu mächtig zu werden.

Vor allem im Ausland reißt die Debatte nicht ab - sie wird befeuert durch ständig neue Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden, Recherchen verschiedener Medien und kritische Nachfragen von Oppositionspolitikern. Seit dem gestrigen Freitag ist klar: Obama reagiert mit einem Vier-Punkte-Plan, der in der seit Wochen andauernden NSA-Spähaffäre den Anschein von Transparenz erwecken soll. Ob die angekündigte Pläne allerdings tatsächlich geeignet sind, Transparenz herzustellen, ist fraglich. Vage, wie Beruhigungspillen wirken die Änderungen, die der Präsident angekündigt hat.

  • So soll etwa der nach dem 11. September 2001 eingeführte Patriot Act in Zusammenarbeit mit dem Kongress so reformiert werden, dass die umstrittene Telefonüberwachung eingeschränkt und transparenter wird.
  • Am Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC), der die Arbeit der Geheimdienste überwacht, soll ein Verteidiger eingeführt werden, der in Verhandlungen Stellungnahmen abgibt, die den Regierungsinteressen widersprechen.
  • Außerdem soll eine Transparenz-Webseite eingeführt werden, auf der Informationen über die Aktivitäten der US-Geheimdienste aufgeführt sein sollen.
  • Obama wird ein Expertengremium einberufen, das innerhalb der nächsten 40 Tage einen vorläufigen und bis Jahresende einen endgültigen Untersuchungsbericht zu den Vorwürfen vorlegt.

Die wichtigen Fragen aber bleiben auch nach der Stellungnahme des Präsidenten ungeklärt. Welche konkreten Erfolge hat die Überwachung gebracht? Wie läuft die Zusammenarbeit der Geheimdienste und Behörden ab? Wer hat Zugriff auf welche Daten?

Zu alledem schweigt Obama bei seiner einstündigen Pressekonferenz. An der grundsätzlichen Notwendigkeit des Überwachungsstaats zweifelt der Präsident nicht. Auch wenn er denjenigen, "die im Einklang mit dem Gesetz ihre Stimme für die Privatsphäre und Bürgerrechte erhoben haben" zugesteht, dass sie ebenso wie die Geheimdienstmitarbeiter nur das Beste für ihr Land wollen und damit einen kleinen Schritt auf seine Kritiker zugeht.

Der Verfassungsrechtler muss die Datensammelwut verteidigen

Obama befindet sich in diesen Tagen - wie so oft in seiner Präsidentschaft - in einer unangenehmen Lage: Ausgerechnet er, der einst Verfassungsrecht lehrte und als Hoffnungsträger des liberalen Amerikas gewählt wurde, muss nun die Sammelwut des Staates verteidigen.

Gewunden und emotionslos trägt er seine Erklärungen vor, wie eine Rechtfertigung. Bei der Pressekonferenz im East Room des Weißen Hauses klingt das so: "Ich war als Senator gegenüber diesen Überwachungsprogrammen sehr skeptisch und habe mich als Präsident dafür eingesetzt, dass diese sehr streng überwacht werden." Ihm sei allerdings bewusst, dass durch die Aktivitäten der NSA das Ansehen Amerikas in der Welt und die globale Führungsrolle der USA als Kämpferin für Freiheit und Demokratie gefährdet sei (eine typische Kritik an Obamas Außenpolitik auf cnn.com).

Und so sagt der 52-jährige Demokrat: "Ich möchte allen Menschen auf der Welt versichern, dass die USA nicht daran interessiert sind, normale Bürger auszuspionieren". Der Rest des Auftritts war dann vor allem an die Bürger im eigenen Land gerichtet und diente dazu, die ohnehin nicht sonderlich aufgebrachte amerikanische Öffentlichkeit weiter zu besänftigen.

NSA spielt Ausmaß der Überwachung herunter

Ein Memorandum, das die NSA am Freitag veröffentlicht hat, spielt das Ausmaß der Überwachung herunter. Demnach würden nur 1,6 Prozent des weltweiten Internetverkehrs von der NSA mitgeschnitten. Von diesem Anteil wiederrum würden nur 0,025 Prozent überprüft. "Wenn ein normales Basketball-Feld die weltweite Kommunikationsumgebung darstellen würde, dann würde die gesamte Sammlung der NSA von einem Bereich, der kleiner als ein Zehn-Cent-Stück ist, repräsentiert werden", heißt es in dem Schreiben. Die Botschaft, die auch Obama verbreitet, lautet: Die Empörung ist übertrieben und grundsätzlich ist alles in Ordnung.

Die Frage eines Journalisten während der Pressekonferenz am Freitag, ob der ehemalige NSA-Mitarbeiter und Whistleblower Edward Snowden ein Patriot sei, verneint Obama. Es ist eine Einstellung, die in den USA, das zeigen Umfragen, von weiten Teilen der Bevölkerung geteilt wird.

Es ist gewiss kein Zufall, dass auch die Technologie-Unternehmen jetzt die geforderten Streicheleinheiten genau jener Regierung erhalten, die sie kürzlich noch lautstark für ihre Geheimhaltungspolitik kritisiert hatten. Am Donnerstag waren laut Medienberichten Unternehmer und Bürgerrechtler im Weißen Haus zu Gast. Auf der Gästeliste sollen einflussreiche Unternehmensführer wie Apple-Chef Tim Cook oder der AT&T-Chef Randall Stephenson gestanden haben. Details über Inhalte und Ergebnisse der Gespräche gibt das Weiße Haus nicht bekannt. Die Tatsache, dass die Silicon-Valley-Elite ebenfalls schweigt, spricht für einen aus Obamas Sicht erfolgreichen Abend. Hauptsache es meckert niemand mehr.

Kein tatsächlicher Kurswechsel

Die einflussreiche Politnachrichten-Seite Politico war von der Stellungnahme des Präsidenten dann auch wenig überzeugt. Obama habe ziemlich deutlich gemacht, dass es ihm mehr um die Öffentlichkeitsarbeit gehe als um eine tatsächliche Änderung seiner Politik, schrieb das Medium.

Es ist eine Strategie, die Obama immer wieder angewendet hat. Als in diesem Winter wochenlang erhitzt über das geheime Drohnenprogramm der CIA in Ländern wie Pakistan, Somalia oder im Jemen debattiert wurde, tat der mächtigste Mann der Welt lange so, als ginge ihn dies nichts an. Im Mai hielt er eine Grundsatzrede, in der er - wie schon öfters - mehr Transparenz und stärkere demokratische Kontrolle ankündigte. Die Reaktion der Medien und der Öffentlichkeit war sehr positiv - doch bei Drohneneinsätzen gibt es weiterhin viele Tote.

Die Amerikaner und der Rest der Welt sollten sehr genau darauf achten, dass der US-Präsident alles dafür tut, um zumindest seinen Vier-Punkte-Plan umzusetzen.

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