Obama und die NSA-Reform:Pirouetten auf dünnem Eis

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Will sich an diesem Freitag Grundsätzliches sagen: US-Präsident Barack Obama

(Foto: AFP)

Das Ziel für den US-Präsidenten ist klar: nachdenklich und reformfreundlich klingen, ohne die NSA zu verärgern. An diesem Freitag will Obama eine Grundsatzrede zu Datenspionage und Bürgerrechten halten. Doch kaum jemand rechnet mehr mit einer echten Reform der Geheimdienste.

Von Nicolas Richter, Washington

In den Reden Barack Obamas liegt die erste Botschaft meist darin, wo er die Rede hält. Zur muslimischen Welt hat er einst in Kairo gesprochen, über Atomwaffen in Prag. An diesem Freitag wird Obama über Amerikas Überwachungs- und Spionageapparat reden. Einige Berater haben empfohlen, nach Fort Meade in Maryland zu fahren, zum Sitz der National Security Agency, NSA. Stattdessen wird Obama nun in der Großen Halle des Justizministeriums in Washington auftreten. Dort wacht man über Verfassung und Bundesgesetze der Vereinigten Staaten. Botschaft: Der Präsident verteidigt Recht und Gesetz. Persönlich gesehen kehrt der Oberbefehlshaber damit ein Stück weit zurück zu sich selbst - in die Rolle des Dozenten für Verfassungsrecht, der er einst war.

Seit sechs Monaten sieht sich die US-Regierung getrieben von immer neuen Enthüllungen über das Lausch- und Spähsystem der NSA. Es hat Vertrauen und Ansehen gekostet, nicht nur bei den eigenen Bürgern, sondern vor allem im Ausland. Während alte Freundschaften litten, wie etwa zu Deutschland, schwieg Obama meist. Jetzt möchte er die Initiative zurückgewinnen, Richtung und Ton der Debatte bestimmen. Obama hat 2014 zum "Jahr der Tat" erklärt.

Doch in Washington gilt es inzwischen als unwahrscheinlich, dass Obama einen neuen Frühling für die Bürgerrechte ausruft. Seit Tagen mehren sich die Indiskretionen, und wenn sie stimmen, wird der Präsident nun viele ernüchtern - wenn auch, wie gewohnt, mit schönen Worten. Er dürfte der NSA ein paar Grenzen setzen, mehr Rechenschaft und Transparenz einfordern, und er dürfte Ausländern zusichern, dass Amerika mehr Rücksicht nehmen wird.

Obama sucht den Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit

Dies aber wäre allenfalls eine Korrektur, kein echter Neubeginn. Weitgehend unberührt bliebe das Grundprinzip, wonach die NSA zu Hause und auf der ganzen Welt sammeln und aufbewahren kann, was sie will. Dieses Grundprinzip bildet den Kern dessen, was der Whistleblower Edward Snowden enthüllt hat, und es ist das, was Amerikaner und Nicht-Amerikaner am meisten überrascht und verärgert hat. Daran aber wird sich wohl nichts ändern: Die NSA dürfte ein globaler Datenstaubsauger bleiben.

Als sein Vorgänger George W. Bush noch regierte, rügte Barack Obama den ewigen Ausnahmezustand im Anti-Terror-Staat. "Diese Regierung tut so, als könne sie uns schützen, indem sie unsere Bürgerrechte missachtet", sagte er 2007. Obama aber hat sich geändert, seitdem er selbst im Weißen Haus wohnt. Er ist jetzt verantwortlich für die Sicherheit des Landes. Im vergangenen Jahr töteten Extremisten in Boston, im Jahr davor im US-Konsulat der libyschen Stadt Bengasi. Mehr als alles andere hat Obama der Versuch eines Nigerianers erschüttert, an Weihnachten 2009 ein US-Passagierflugzeug zu zerstören. Als der Plan fehlgeschlagen war, rügte Obama seine Geheimdienstler. Er erwarte bessere Arbeit, sagte er.

Obama sucht den Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit, indem er einerseits den Krieg gegen den Terror infrage stellt und über dessen Schattenseiten reflektiert, andererseits aber bloß vage Änderungen in Aussicht stellt. "Wie jeder Krieg muss auch dieser Krieg irgendwann enden", erklärte er im vergangenen Jahr in einer Rede zur Außen- und Sicherheitspolitik. Amerikas tödlicher Drohnenkrieg ist deswegen nicht transparenter geworden.

Reformfreundlich ohne den Sicherheitsapparat zu verärgern

Auch jetzt dürfte Obama versuchen, nachdenklich bis reformfreundlich zu klingen, ohne seinen Sicherheitsapparat allzu sehr gegen sich aufzubringen. Das Ergebnis dürfte ein Balanceakt sein, der viele Enttäuschte zurücklässt. Manche sind schon enttäuscht, bevor Obama überhaupt gesprochen hat. "Falls die Rede so ausfällt wie erwartet, wird dieser Präsident als jener in die Geschichte eingehen, der Bushs Überwachungsprogramme verteidigt hat, statt sie zu reformieren", warnt Anthony Romero im Namen der Bürgerrechts-Organisation ACLU.

Dabei wirkten die Reformpläne anfangs noch überraschend ehrgeizig. Kurz vor Weihnachten veröffentlichte Obamas eigene Reformkommission einen ganzen Ideenkatalog. Die fünf Rechts- und Geheimdienstexperten stellten vieles infrage, manches auch sehr grundsätzlich. Zum Beispiel jenen Umstand, der die Amerikaner am meisten empört hat: Dass die NSA die Verbindungsdaten (Metadaten) sämtlicher Inlandstelefonate absaugt und fünf Jahre lang aufbewahrt. Die immense Datenbank, erklärten die Reformer, habe nie maßgeblich einen Anschlag verhindert. Man könne die Datenbank zwar beibehalten, solle sie aber wieder in private Hände legen, zum Beispiel in die der Telefongesellschaften.

Wenig später versuchte die Kommission bereits den Eindruck zu zerstreuen, sie stelle das System grundsätzlich infrage. Michael Morell, ein früherer Vize-Chef der CIA und Mitglied der Kommission, beteuerte, er wolle den Diensten keineswegs deren Fähigkeiten wegnehmen. Die Telefondatenbank solle zwar den Besitzer wechseln, aber durchaus fortbestehen. Hätte es sie schon 2001 gegeben, hätte sie "wahrscheinlich" den Terror vom 11. September verhindert, und sie habe das Potenzial, einen nächsten 11. September zu verhindern. "Das Programm muss nur ein einziges Mal Erfolg haben, um unschätzbar wertvoll zu sein", erklärte Morell.

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