In den Reden Barack Obamas liegt die erste Botschaft meist darin, wo er die Rede hält. Zur muslimischen Welt hat er einst in Kairo gesprochen, über Atomwaffen in Prag. An diesem Freitag wird Obama über Amerikas Überwachungs- und Spionageapparat reden. Einige Berater haben empfohlen, nach Fort Meade in Maryland zu fahren, zum Sitz der National Security Agency, NSA. Stattdessen wird Obama nun in der Großen Halle des Justizministeriums in Washington auftreten. Dort wacht man über Verfassung und Bundesgesetze der Vereinigten Staaten. Botschaft: Der Präsident verteidigt Recht und Gesetz. Persönlich gesehen kehrt der Oberbefehlshaber damit ein Stück weit zurück zu sich selbst - in die Rolle des Dozenten für Verfassungsrecht, der er einst war.
Seit sechs Monaten sieht sich die US-Regierung getrieben von immer neuen Enthüllungen über das Lausch- und Spähsystem der NSA. Es hat Vertrauen und Ansehen gekostet, nicht nur bei den eigenen Bürgern, sondern vor allem im Ausland. Während alte Freundschaften litten, wie etwa zu Deutschland, schwieg Obama meist. Jetzt möchte er die Initiative zurückgewinnen, Richtung und Ton der Debatte bestimmen. Obama hat 2014 zum "Jahr der Tat" erklärt.
Doch in Washington gilt es inzwischen als unwahrscheinlich, dass Obama einen neuen Frühling für die Bürgerrechte ausruft. Seit Tagen mehren sich die Indiskretionen, und wenn sie stimmen, wird der Präsident nun viele ernüchtern - wenn auch, wie gewohnt, mit schönen Worten. Er dürfte der NSA ein paar Grenzen setzen, mehr Rechenschaft und Transparenz einfordern, und er dürfte Ausländern zusichern, dass Amerika mehr Rücksicht nehmen wird.
Obama sucht den Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit
Dies aber wäre allenfalls eine Korrektur, kein echter Neubeginn. Weitgehend unberührt bliebe das Grundprinzip, wonach die NSA zu Hause und auf der ganzen Welt sammeln und aufbewahren kann, was sie will. Dieses Grundprinzip bildet den Kern dessen, was der Whistleblower Edward Snowden enthüllt hat, und es ist das, was Amerikaner und Nicht-Amerikaner am meisten überrascht und verärgert hat. Daran aber wird sich wohl nichts ändern: Die NSA dürfte ein globaler Datenstaubsauger bleiben.
Als sein Vorgänger George W. Bush noch regierte, rügte Barack Obama den ewigen Ausnahmezustand im Anti-Terror-Staat. "Diese Regierung tut so, als könne sie uns schützen, indem sie unsere Bürgerrechte missachtet", sagte er 2007. Obama aber hat sich geändert, seitdem er selbst im Weißen Haus wohnt. Er ist jetzt verantwortlich für die Sicherheit des Landes. Im vergangenen Jahr töteten Extremisten in Boston, im Jahr davor im US-Konsulat der libyschen Stadt Bengasi. Mehr als alles andere hat Obama der Versuch eines Nigerianers erschüttert, an Weihnachten 2009 ein US-Passagierflugzeug zu zerstören. Als der Plan fehlgeschlagen war, rügte Obama seine Geheimdienstler. Er erwarte bessere Arbeit, sagte er.
Obama sucht den Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit, indem er einerseits den Krieg gegen den Terror infrage stellt und über dessen Schattenseiten reflektiert, andererseits aber bloß vage Änderungen in Aussicht stellt. "Wie jeder Krieg muss auch dieser Krieg irgendwann enden", erklärte er im vergangenen Jahr in einer Rede zur Außen- und Sicherheitspolitik. Amerikas tödlicher Drohnenkrieg ist deswegen nicht transparenter geworden.
Reformfreundlich ohne den Sicherheitsapparat zu verärgern
Auch jetzt dürfte Obama versuchen, nachdenklich bis reformfreundlich zu klingen, ohne seinen Sicherheitsapparat allzu sehr gegen sich aufzubringen. Das Ergebnis dürfte ein Balanceakt sein, der viele Enttäuschte zurücklässt. Manche sind schon enttäuscht, bevor Obama überhaupt gesprochen hat. "Falls die Rede so ausfällt wie erwartet, wird dieser Präsident als jener in die Geschichte eingehen, der Bushs Überwachungsprogramme verteidigt hat, statt sie zu reformieren", warnt Anthony Romero im Namen der Bürgerrechts-Organisation ACLU.
Dabei wirkten die Reformpläne anfangs noch überraschend ehrgeizig. Kurz vor Weihnachten veröffentlichte Obamas eigene Reformkommission einen ganzen Ideenkatalog. Die fünf Rechts- und Geheimdienstexperten stellten vieles infrage, manches auch sehr grundsätzlich. Zum Beispiel jenen Umstand, der die Amerikaner am meisten empört hat: Dass die NSA die Verbindungsdaten (Metadaten) sämtlicher Inlandstelefonate absaugt und fünf Jahre lang aufbewahrt. Die immense Datenbank, erklärten die Reformer, habe nie maßgeblich einen Anschlag verhindert. Man könne die Datenbank zwar beibehalten, solle sie aber wieder in private Hände legen, zum Beispiel in die der Telefongesellschaften.
Wenig später versuchte die Kommission bereits den Eindruck zu zerstreuen, sie stelle das System grundsätzlich infrage. Michael Morell, ein früherer Vize-Chef der CIA und Mitglied der Kommission, beteuerte, er wolle den Diensten keineswegs deren Fähigkeiten wegnehmen. Die Telefondatenbank solle zwar den Besitzer wechseln, aber durchaus fortbestehen. Hätte es sie schon 2001 gegeben, hätte sie "wahrscheinlich" den Terror vom 11. September verhindert, und sie habe das Potenzial, einen nächsten 11. September zu verhindern. "Das Programm muss nur ein einziges Mal Erfolg haben, um unschätzbar wertvoll zu sein", erklärte Morell.
Die Kommission also sucht den Mittelweg: Datenbank ja, aber nicht in staatlicher Hand. Immerhin läge darin große Symbolik -die Regierung gibt dem Volk zurück, was dem Volk gehört. Allerdings geht Obama anscheinend selbst dieser Kompromiss zu weit. Wie die New York Times berichtet, möchte er die Daten lieber dort lassen, wo sie sind - im Speicher der NSA. Aus Sicht der Geheimdienste sind sie nur dort schnell und leicht greifbar. Die Telefonfirmen möchten den Datenwust ohnehin nicht verwalten. Womöglich vermeidet es Obama, die Frage abschließend zu beantworten. Zum Teil kann er dies auch gar nicht, weil die Befugnisse der NSA per Gesetz geregelt sind, also vom Parlament. Wie schon im vergangenen Jahr, als der Präsident die letzte Entscheidung über einen Syrien-Angriff an den Kongress delegierte, könnte Obama auch diesmal das Parlament in die Pflicht nehmen.
Dort ist das Meinungsbild völlig uneinheitlich. Obamas Experten bekamen eine Ahnung davon, als sie am Dienstag vom Justiz-Ausschuss des Senats befragt wurden. Allein die republikanischen Senatoren widersprachen einander. Lindsey Graham, ein Falke der alten Schule, unterstellte, Obamas Fachleute hätten den Ernst der Lage nicht begriffen. "Wie viele von Ihnen glauben, dass wir uns im Krieg befinden?", forschte er. "In diesem Krieg muss man den Feind angreifen, bevor er uns angreift." Folglich müsse man wissen, wo er ist. Ganz anders klang der rechte Tea-Party-Senator Ted Cruz. Der Staat, sagte er, beobachte zu sehr gesetzestreue Bürger und zu wenig die gefährlichen Leute.
Die Weltöffentlichkeit wird sich vor allem für das interessieren, was Obama über Spionage bei ausländischen Verbündeten sagt. Seine Kommission zeigt sich hier relativ großzügig. "Die USA sollten die Privatsphäre von Nicht-Amerikanern besser schützen", verlangt sie. Die NSA solle zum Beispiel die E-Mails zwischen Ausländern im Ausland nur dann sammeln, wenn dies der Sicherheit der USA diene. Auf keinen Fall dürfe die NSA dabei Geschäftsgeheimnisse stehlen oder jemanden wegen seines Glaubens beobachten. Würde eine Akte angelegt über eine beobachtete Person, so müsse die Person Gelegenheit haben, die Akte zu sehen und zu korrigieren.
Jurist und Oberbefehlshaber
Das ist einerseits ein bemerkenswertes Zugeständnis, weil die US-Verfassung eigentlich keine Ausländer schützt und Amerikas Dienste außerhalb der US-Grenzen weitgehend freie Hand haben. Aber der Vorstoß der Kommission wirft viele neue Fragen auf: Wie merkt ein Europäer, dass die NSA seine Privatsphäre verletzt? Wie geht er dagegen vor? Ist es realistisch (und bezahlbar), vor ein US-Gericht zu ziehen?
Was Staats- und Regierungschefs betrifft, haben nicht alle Politiker so viel Glück wie Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die hatte zwar jahrelang die NSA in der Leitung, immerhin aber hat ihr Obama versprochen, dass der Lauschangriff nunmehr beendet ist. Andere hochrangige Politiker haben Obama vergeblich um solche Zusagen gebeten. Die Kommission hat empfohlen, dass künftig der Präsident selbst darüber entscheidet, welche seiner ausländischen Kollegen er belauschen lässt. So habe er die Möglichkeit, den Nutzen abzuwägen mit den möglichen politischen Kosten. Das bedeutet allerdings im Umkehrschluss, dass die NSA jeden Minister oder Beamten einer fremden Regierung ohne Weiteres belauschen darf.
An diesem Freitag wird der Jurist Barack Obama über das Recht sprechen und über die Grenzen staatlicher Macht. Aber er weiß, dass er anschließend als Oberbefehlshaber ins Oval Office zurückkehren wird. Wer dort sitzt, hat meistens das Gefühl, zu wenig zu wissen, nicht zu viel.