Obama und die Gesundheitsreform:Kampf gegen den Volkszorn

Umfragewerte im historischen Sinkflug, die Stimmung aufgeheizt: Nach einer harten Sommerpause muss Obama seine Strategie ändern, um seine Gesundheitsreform doch noch durchzubringen.

G. Babayigit

Was für schreckliche Wochen für die US-Demokraten: Die Sommerpause des amerikanischen Kongresses im August fühlte sich an wie ein Wahlkampfmonat.

Obama und die Gesundheitsreform: US-Präsident Barack Obama: Beobachter zerbrechen sich den Kopf darüber, wieso seine Umfragewerte so einen Sinkflug hingelegt haben.

US-Präsident Barack Obama: Beobachter zerbrechen sich den Kopf darüber, wieso seine Umfragewerte so einen Sinkflug hingelegt haben.

(Foto: Foto: AP)

Die Medien, vor allem die konservativen, berichteten in epischer Breite über örtliche Townhall Meetings, in denen die Washingtoner Politikerkaste hautnah erlebte, welch eine Wut sich inzwischen angesammelt hatte in der Bevölkerung. Ein bestimmendes Thema, welches das Blut der Menschen in Wallung bringt: die geplante Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama.

Fast will man angesichts der Volkszornes Verständnis aufbringen für jene Demokraten, die das Projekt des Präsidenten nicht mehr bedingungslos unterstützen, sondern Kritik üben, moderatere, weniger radikale Vorschläge einbringen. Zusätzlich befeuert wird die Anti-Obama-Stimmung von einer Kampagne der Republikaner, die zwischen Skrupellosigkeit und Hysterie zu verorten ist.

Die Details der ehrgeizigen Reform? Nur ein Nebenaspekt. Medial werden vor allem die Einlassungen der zeternden Opposition und Wortduelle mit den Reform-Verteidigern ausgeschlachtet - auf Kosten von Obamas Beliebtheit. In Zahlen ausgedrückt: Seine Umfragewerte taumeln historischen Tiefstständen entgegen. Innerhalb von nur vier Monaten ist die Zustimmungsrate für den Präsidenten um acht Prozentpunkte gesunken. Mittlerweile denken nur noch knapp mehr als 50 Prozent der Amerikaner, dass Obama einen guten Job macht.

Die statistikbesessenen Amerikaner zogen sofort den Vergleich mit früheren Präsidenten: Sollte Obama in den kommenden Wochen noch unter die magische 50-Prozent-Marke fallen, wäre er an Platz drei. Nur Gerald Ford und Bill Clinton brauchten noch weniger Zeit, um bei mehr als der Hälfte der Bevölkerung in Ungnade zu fallen.

Doch während das Wie von Obamas Sinkflug genau erfasst wird, streiten sich Beobachter über das Warum. Der eher als konservativ geltende Times-Kommentator David Brooks, der seit seiner ersten Begegnung mit Obama 2005 eigentlich zu dessen Fans zählt, urteilt schonungslos: Obama betreibe zu viel "big government", demonstriere also zu sehr den starken Staat, wolle zu viel regulieren und gesetzlich bestimmen.

Die vielen Gesetzesinitiativen hätten zur Folge, dass der Wähler nur noch eine diffuse Ahnung habe, was die einzelne Initiative tatsächlich aussage oder bewirken wolle. Dafür verknüpfe er jeden Vorschlag mit negativen Eigenschaften. "Es wächst die innere Überzeugung, dass alle Vorschläge Obamas mit hohen Ausgaben, Regulierwut und einer fundamentalen Abkehr vom traditionell amerikanischen Weg zu tun haben müssen."

Die Reform gegen alle Widerstände durchzuboxen, hält Brooks für politischen Selbstmord. Vielmehr müsse Obama versuchen, durch Korrekturen seiner Politik wieder die Mitte zu erreichen - also jene Gruppe Unentschlossener, die sich weder als Demokraten noch als Republikaner sehen und die ihm in den vergangenen Monaten in Scharen davonliefen.

Andere Experten lassen das Argument, Obama büße an Popularität ein, weil er eine zu linke Politik betreibe, jedoch nicht gelten. Jonathan Chait von The New Republic sieht in der wirtschaftliche Situation des Landes die Ursache für die Umfragemisere des Präsidenten und nicht sein "big government". Hätte Obama konzeptlos an all den Baustellen von Bankenrettung bis hin zur Gesundheitsreform vorbeiregiert, so würde der Vorwurf heute lauten, er habe für die Probleme der Nation keine Antworten parat gehabt.

Dennoch: Auf eine elementare Ursache können sich die Beobachter einigen. Die Leute wissen schlichtweg nicht mehr, was sie beim heißdiskutierten Thema Gesundheitsreform denken sollen. Eine CBS-Umfrage offenbart, dass zwei Drittel der Bevölkerung die Reformideen als verwirrend empfinden. 60 Prozent meinen, dass Obama es nicht vermochte, seine Reform gut zu erklären.

Obamas Offensive

Genau in diesem Punkt liegt die Chance, die der Präsident nun ergreifen will. Mit einer TV-Botschaft will Obama am kommenden Mittwoch den Kongress - und das Wahlvolk - von seiner Reform überzeugen. Sein Fokus: Transparenz in das Projekt bringen, die Kritik mit Erklärungen kontern, endlich ins Detail gehen.

"Der Präsident wird sehr aktiv an die Sache herangehen", prophezeit David Axelrod, einer der engsten Berater Obamas - und lässt vermuten, dass der Kuschelkurs, den der Präsident bislang mit dem Kongress geübt hat, ein Ende haben wird. Statt nur Leitlinien vorzugeben und das Parlament über Details streiten zu lassen, plant er die Einzelheiten, die in seinem Gesetz stehen sollen, nun selbst auszuführen.

Engagiert will Obama auch in Sachen Wall Street Stimmung machen und so frustrierte Wähler zurückholen. Nach Aussagen von Mitarbeitern des Weißen Hauses plant er - pünktlich zum Jahrestag der Lehman-Brothers-Pleite am 15. September - strengere Regeln für die Verursacher der großen Krise. Eine Initiative, die im Übrigen auch mal nichts kosten wird.

Die Mitarbeiter aus Obamas Umfeld zeigen sich vorsichtig optimistisch, dass es ihrem Chef noch einmal gelingen wird, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und die Gesundheitsreform erfolgreich abzuschließen. Angesichts der tief nach unten geschraubten Erwartungen könnte der selbstauferlegte Aktionismus des Regierungschefs verfangen.

Allerhöchste Zeit, wie Berater Axelrod attestiert. Mit einer Baseball-Metapher drückt er aus, was viele Parteikollegen empfinden: "Wir sind nicht im vierten Schlagdurchgang, sondern im achten oder neunten. Also haben wir keine Zeit zu verlieren." Vergleichbar ist dies mit der 85. Minute in einem Fußballmatch. Neun Innings, also Schlagdurchgänge, dann ist das Spiel zu Ende.

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