Süddeutsche Zeitung

Obama:Entzauberter Präsident

Im Juli 2008 kam Obama als Kandidat nach Berlin und wurde an der Siegessäule wie ein Popstar gefeiert. Nun kehrt er als Präsident zurück, doch das Amt hat ihn verändert. Die Enttäuschung über den ehemaligen Hoffnungsträger ist groß. Die Deutschen werden seinen Worten interessiert, aber kritisch lauschen.

Von Matthias Kolb

Der 24. Juli 2008 ist ein strahlender Tag in Berlin. Die Sonne scheint und auch der Ehrengast aus den USA ist bester Laune. 200.000 Menschen sind zur Siegessäule gekommen, um den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten zu sehen. Sein Team, das weiß Barack Obama, wird prächtige Bilder filmen können, um die Wähler in der Heimat zu beeindrucken. Die Botschaft: Es gibt wieder einen amerikanischen Politiker, dem das Ausland zujubeln kann.

Dass die Obama-Hysterie in Deutschland zu diesem Zeitpunkt untrennbar mit der enormen Verachtung für George W. Bush verbunden ist, gerät leicht in Vergessenheit. Der Republikaner war den Europäern nicht nur wegen seiner Religiosität und seines Cowboy-Stils suspekt; seine Regierung hatte die Welt angelogen und einen blutigen Krieg im Irak begonnen, der die Region destabilisierte und Hunderttausende das Leben kostete.

Nun will Obama, der Anti-Bush, den Glauben an das gute Amerika erneuern. Nachdem der schlaksige Senator aus Illinois im Vorwahlkampf die favorisierte Establishment-Kandidatin Hillary Clinton besiegt hat, stellt sich der Kandidat der Welt vor und kommt nach Stopps in Afghanistan, Irak und dem Nahen Osten in Berlin an. Dass ihm Angela Merkel den Wunsch, wie John F. Kennedy 1963 und Ronald Reagan 1987 vor dem Brandenburger Tor aufzutreten, nicht erfüllt, stört die Deutschen wenig. Die Vorfreude ist so oder so riesig.

Wer sich heute die 26 Minuten lange Rede bei YouTube ansieht, kann die damalige Begeisterung nachvollziehen. Obama wirkt eher wie 36 als 46 und zieht alle Register. Er genießt seinen Auftritt und spielt charmant mit dem Publikum, wie es kein deutscher Politiker jemals vermochte. Dank seines rhetorischen Talents gelingt ihm die Herausforderung, sowohl das Ausland ein wenig mit Amerika zu versöhnen, als auch den Wählern zu zeigen, dass er Außenpolitik beherrscht.

Der Traum der Freiheit

Die Berliner nimmt er mit einem simplen Kniff für sich ein: Er leitet seine politischen Ziele aus seiner Lebensgeschichte ab. "Ich weiß, dass ich nicht so aussehe wie jene Amerikaner, die zuvor in dieser großartigen Stadt geredet haben", kokettiert Obama und erzählt von seiner aus Kansas stammenden Mutter und seinem kenianischen Vater. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung und Freiheit habe den Vater nach Amerika geführt, sagt Obama und dankt den Berlinern dafür, dass sie im Kalten Krieg jene Freiheit verteidigt hätten. Mehrmals erinnert er an die Luftbrücke, mit der die Westalliierten von 1948 an die Berliner mit dem Nötigsten versorgten.

Einerseits wirbt Obama für den amerikanischen Traum, jene Überzeugung, dass es jeder mit Fleiß nach oben schaffen kann. Als er vor der Siegessäule mehr internationale Zusammenarbeit beschwört, um Probleme wie Terrorismus, soziale Ungleichheit, Klimawandel und die Konflikte zwischen den Religionsgruppen zu lösen, wird er mit "Yes we can"-Rufen gefeiert. Der globale Hoffnungsträger endet voller Pathos: "Lasst uns mit einem Blick auf die Zukunft, mit Zuversicht in unseren Herzen uns an diese Geschichte erinnern, dem Schicksal antworten und die Welt wieder erneuern."

Der erste Auftritt in Berlin, das war Obama in Reinkultur. Das Publikum sieht nicht nur sein Charisma, den Humor und die Coolness, sondern auch jenes Denken, das seine erste Amtszeit geprägt hat. Es ist eine Mischung aus Selbstüberschätzung, Naivität und festem Glauben an die Rationalität. Obama ist überzeugt: Wenn jemand die Streitparteien zusammenbringt, ihre Argumente anhört, die Diskussion moderiert und Vorschläge macht, dann ist jedes Problem lösbar - egal ob in Amerikas polarisierter Innenpolitik oder in der Diplomatie. Für sich selbst hat er die Rolle des Vermittlers vorgesehen und so verspricht der Kandidat in der deutschen Hauptstadt Berlin die Lösung nahezu aller Probleme.

An diesem Dienstag, knapp fünf Jahre später, reist ein anderer Barack Obama gemeinsam mit Ehefrau Michelle und den beiden Töchtern Malia und Sasha nach Berlin. Zwar wird er am Mittwoch "auf Einladung" von Kanzlerin Merkel vor dem Brandenburger Tor "über die tiefe und anhaltende Verbindung" zwischen Deutschland und Amerika sprechen, doch seine Haare sind grauer geworden und die Falten tiefer. Die Last des Amtes - und wohl auch die Einsicht, wie eng sein eigener Spielraum ist - wiegt schwer.

Und auch die Deutschen, die sich zwar an den Hype von 2008 erinnern, haben sich verändert. Einer aktuellen Umfrage zufolge geben 53 Prozent an, dass sie sich auf den Besuch freuen, 32 Prozent verneinen die Frage. Selbst die Unter-30-Jährigen, die Frauen und Ostdeutschen - bei diesen ist der Amerikaner besonders beliebt - haben sich an Enttäuschungen gewöhnt und sehen Obama nur noch bedingt als Hoffnungsträger.

Die Ankündigung, das ungesetzlich auf Kuba errichtete Gefängnis in Guantánamo binnen eines Jahres zu schließen, hat er nicht einhalten können, weil die Republikaner wie so oft seine Pläne blockierten. Den Kampf gegen den Klimawandel hat Obama bisher nicht zur Priorität gemacht, obwohl er in Berlin 2008 voller Pathos ausrief: "Dies ist der Moment, in dem wir zusammenkommen müssen, um den Planeten zu retten. Lasst uns vereinbaren, dass wir unsere Kinder nicht in einer Welt zurücklassen, in der Ozeane anschwellen und Hungersnöte sich ausbreiten und furchtbare Stürme unsere Länder verwüsten." Der Klimagipfel in Kopenhagen war einer jener Anlässe, bei denen der mächtigste Mann der Welt entzaubert wurde und nicht liefern konnte.

Den Krieg im Irak hat Obama beendet, 2014 zieht sich die Nato aus Afghanistan zurück - in den Augen vieler Deutscher ein überfälliger Schritt. Doch dass Obama seitdem Gefallen an der "Machtpolitik per Joystick" gefunden hat und den Drohnenkrieg verstärkt, bei dem neben mutmaßlichen Terroristen viele Zivilisten in Pakistan, Afghanistan und im Jemen sterben, macht viele in Europa sprachlos. Und ausgerechnet der frühere Jura-Professor geht mit großer Härte gegen Whistleblower wie Bradley Manning oder Edward Snowden vor, die Fehlverhalten des amerikanischen Staats publik machen.

Der Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern steht still und Obamas Bemühen um eine atomwaffenfreie Welt kommt auch nicht voran. Es bleibt nicht verborgen, dass der Berliner Satz "Amerika hat keinen besseren Partner als Europa" zur Phrase verkommt: Obama ließ sich nicht nur viereinhalb Jahre Zeit, Europas größte Wirtschaftsnation zu besuchen, sondern blickt nach Osten und verkündet den "Asiatischen Schwenk". Für den US-Präsidenten, der einige Jahre in Indonesien lebte und sich als "pazifischer Präsident" bezeichnet, liegt die Zukunft in Asien, weshalb Washington sich dort stärker militärisch engagieren und die Wirtschaftsbeziehungen ausbauen will. Europa kann von so viel Aufmerksamkeit nur träumen.

Gewiss: Wie viele linksliberale Amerikaner haben zahlreiche Deutsche die Beharrungskräfte in Washington unterschätzt, die Obamas Spielraum einschränken. Doch zugleich ist es ihm und seinen Beratern nur selten gelungen, hier die nötigen Bündnisse zu schmieden. Und fraglos hat er selbst zu hohe Erwartungen geweckt. Dass ihm Norwegen 2009 den Friedensnobelpreis verlieh, war mehr Bürde als Hilfe.

Entfremdeter Stargast

Die deutsche Obama-Ernüchterung dokumentierte bereits im Juni 2012 eine Pew-Umfrage. Damals gaben nur noch 52 Prozent der Deutschen an, die USA wohlwollend zu betrachten. Als Person ist Obama noch immer populär: Laut Pew hatten vor einem Jahr 87 Prozent der Deutschen eine positive Meinung über den Friedensnobelpreisträgers und eine YouGov-Erhebung ergab kurz vor der Wahl im November, dass 85 Prozent der Deutschen für den Demokraten stimmen würden - Mitt Romney erhielt vier Prozent. Allerdings haben die Enthüllungen rund um den Prism-Spähskandal dem Image des US-Präsidenten weitere Kratzer zugefügt und noch mehr Leute von der Supermacht entfremdet.

Es geht wohl ein wenig zu weit, Barack Obama als "verlorenen Freund" zu bezeichnen, wie der Spiegel jüngst titelte. Die Wirtschaftsbeziehungen sind eng und Deutschlands Rolle in Europa zu wichtig, als dass Berlin künftig in Washington nicht mehr Gehör finden würde. Und nicht nur die Zeit erinnert daran, dass Obama 2012 die Kanzlerin nannte, als er nach seinem wichtigsten Partner für die Bewältigung der Krise gefragt wurde.

Wenn sich die Meteorologen nicht irren, dann wird der 19. Juni 2013 wieder ein strahlender, sonniger Tag in Berlin werden. Das Spektakel in der "Festung Berlin" und die Rede am Brandenburger Tor werden die Deutschen auch dieses Mal mit Interesse verfolgen. Doch sie werden den Worten des Staatsgastes anders lauschen: kritischer und weniger euphorisch.

Linktipp: Die Rede von Barack Obama vor der Siegessäule ist hier im englischen Original und in deutschen Auszügen nachzulesen.

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