Obama schießt gegen Romney:Ich Held, du Heuschrecke

Eigene Erfolge sind Mangelware, deshalb teilt Obama im US-Wahlkampf umso härter aus. Sein Kontrahent Mitt Romney habe Jobs ins Ausland verlagert, dem Multimillionär fehle es an Ehrlichkeit und Kompetenz. Die Strategie ist schmutzig, aber wirksam. Obama hat sie sich bei den Republikanern abgeguckt.

Matthias Kolb, Washington

Staatsmännisch schreitet der Präsident im Video durchs Weiße Haus. Dann ist sein Gegenspieler zu sehen, wie er bei einem Wahlkampfauftritt mehr krächzt als singt. Eine Hymne auf Amerika. Und doch, das suggeriert das Video der Obama-Kampagne mit diversen Einblendungen, war Mitt Romney bei dem Unternehmen Bain Capital verantwortlich, US-Jobs zu exportieren. Er hat, so der Vorwurf, Geld in der Schweiz gebunkert. Romneys Lied, America, the Beautiful, bekommt da gleich einen ganz anderen Klang.

Dass viele Anschuldigungen nicht belegt sind, kümmert Obama ebenso wenig wie Romneys Konter, der Präsident agiere stillos. Obamas Berater wollen dem Republikaner ein mieses Image verpassen - und kopieren damit erfolgreiche Strategien der Konservativen.

Ähnliche Schmutzkampagnen haben bereits zwei Männern aus Massachusetts den Weg ins Weiße Haus versperrt: 1988 schalteten die Republikaner Werbespots (Youtube-Video), die behaupteten, Michael Dukakis habe den Mörder Willie Horton begnadigt, der anschließend wieder vergewaltigte. 2004 gelang es den Beratern von George W. Bush durch Aussagen der Swift Boat Veterans, John Kerrys Image als tapferer Held des Vietnamkriegs in Frage zu stellen (Youtube-Video).

"Mitt Romneys Vietnam"

Die Zeit beim Finanzinvestor Bain Capital könnte nun "Mitt Romneys Vietnam" werden, orakelt das National Journal. Ähnlich wie John Kerry oder auch John McCain ihre Politiker-Karrieren auf ihre Jahre als Soldaten aufbauten, fußt die Marke "Wirtschaftsfachmann Mitt Romney" auf seiner Zeit bei dem Investment-Unternehmen. Und seit Tagen nutzen die US-Demokraten jede Chance, den Republikaner mit Outsourcing, Firmenschließungen und bankrotten Unternehmen in Verbindung zu bringen und so seinen Ruf zu untergraben.

Angestoßen wurde die Kampagne durch einen Artikel der Washington Post, die am 21. Juni meldete, dass Bain Capital in Unternehmen investiert hatte, die darauf spezialisiert waren, amerikanische Jobs nach Mexiko, China oder Indien zu verlagern. Die Wahlkampfzentrale des Obama-Herausforderers betonte, dass Romney die Finanzfirma im Februar 1999 verlassen habe, um die Organisation der in Not geratenen Olympischen Spiele in Salt Lake City zu übernehmen. Deswegen sei er für spätere Bain-Entscheidungen nicht verantwortlich. Auch in seinem Buch Turnaround nennt Romney Februar 1999 als das Ende seiner Zeit bei Bain.

Widerspruch in der Dauerschleife

Kurz darauf veröffentlichten der Boston Globe und die Website Talking Point Memo Unterlagen, die Bain Capital an die Finanzaufsicht SEC geschickt hatte - und in denen Mitt Romney in den Jahren 2000 und 2001 unter anderem als Vorsitzender und Präsident geführt wurde. In mindestens sechs Berichten an die SEC findet sich die Unterschrift des heute 65-Jährigen.

Diesen Widerspruch betonen Obamas oberste Wahlkampfmanager wie Stephanie Cutter oder David Axelrod seither ständig in Tweets, Interviews oder Videos (hier vom "Obama Truth Team"). Ihr Argument lautet: Mitt Romney hat entweder eine Straftat begangen und die Finanzaufsicht SEC belogen - oder er belügt gerade die Amerikaner.

Dass die Rechercheure von factcheck.org und The Fact Checker zu dem Ergebnis kommen, dass Romney nach 1999 keinen Einfluss mehr auf Bain Capital hatte, ficht die Demokraten ebenso wenig an wie die Appelle von Romney und seiner Unterstützer, solche Vorwürfe seien eines Präsidenten nicht würdig.

Barack Obama persönlich verpasst Romney im Fernduell weitere Schläge. Gelassen spricht er in die TV-Kamera: "Natürlich werden wir uns nicht entschuldigen!" Und: "Mister Romney muss lernen, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Schließlich will er Präsident werden." Und: "Unabhängige Experten haben berechnet, dass durch Romneys Steuerpläne 800.000 Jobs entstehen werden. Doch leider nicht in Amerika, sondern im Ausland."

Romneys kurzlebiger Joker

Die Assoziationskette "Millionär, Auslandskonten, Outsourcing" soll tief in die Köpfe einsickern, bevor die Republikaner Ende August auf dem Parteitag in Tampa versuchen, Romney als Sanierer und Familienmensch zu inszenieren.

Eine Umfrage von NBC und dem Wall Street Journal lässt vermuten, dass die Negativvideos bei den Wechselwählern in den swing states Wirkung zeigen: Hier haben 33 Prozent eine "eher negative" Meinung über Romneys Arbeit als Finanzinvestor, während sich 18 Prozent "eher positiv" äußern. Romneys Beratern dürfte dies ebenso wenig gefallen wie die Tatsache, dass "Bain Capital" zu Wochenbeginn bei Google in den Top Ten der meistgesuchten Begriffe aufgetaucht ist.

Bisher ist es Mitt Romney und den Republikanern nicht gelungen, dieses für sie immer gefährlicher werdende Thema zu entschärfen. Es erscheint nahezu unmöglich, dem TV-Publikum die Besonderheiten der Finanzbranche und des komplizierten Aufbaus von Bain Capital zu erklären.

Der Druck steigt

Wer hier keine Erfahrungen hat, kann kaum verstehen, dass Romney 2001 einen Vertrag unterzeichnete, der seinen Ausstieg auf 1999 festlegte. Und dass Romney in den Jahren 2000 und 2001 jeweils 100.000 Dollar Gehalt bekam, obwohl er doch keinen Einfluss mehr hatte, dürfte auf krisengeschüttelte Amerikaner befremdlich wirken. Genüsslich stellt der Sprecher von "Obama for President", Ben LaBolt, Romney in einem dreiseitigen Memo (einzusehen bei Politico) die Frage: "Kennen Sie irgendjemand, der ein sechsstelliges Gehalt von einer Firma bekommt, mit der er nichts zu tun hat?"

Wie bei vielen Amerikanern verstärkt sich bei den Journalisten mit jedem Tag das Gefühl, dass der Republikaner-Kandidat etwas zu verbergen habe und Antworten auf berechtigte Fragen verweigere. Der Druck auf Romney, die Steuerunterlagen der vergangenen acht oder zehn Jahre zu veröffentlichen, nimmt auch von konservativer Seite zu. Der Ex-Gouverneur sei "verrückt", dies nicht zu tun, sagte Bill Kristol, der einflussreiche Chefredakteur des Weekly Standard, bei Fox News.

Der Vize als Ablenkungsmanöver

Dass es ausgerechnet George Romney war, der 1968 als erster Präsidentschaftskandidat seine Steuererklärungen veröffentlichte - und zwar für die zurückliegenden zwölf Jahre - macht die Lage für seinen Sohn Mitt noch komplizierter.

Unter den Beobachtern in Washington herrscht Einigkeit, dass Bain Capital auch in den kommenden Tagen die Diskussion bestimmen wird. Romney habe eigentlich nur eine Chance, die Debatte zu seinen Gunsten zu verändern und für einige Tage ein ihm genehmeres Thema zu setzen: Indem er verkündet, wen er als Vizepräsidenten nominieren wird. Doch dass er diesen Joker nur ein einziges Mal ausspielen kann, weiß man auch in der Obama-Wahlkampfzentrale in Chicago.

Linktipp: Eine gute Orientierung durch Mitt Romneys turbulente Zeit zwischen 1999 und 2002 bietet die Chronik des Magazins Mother Jones. Sehr lesenswert und ausgewogen ist der ausführliche Faktencheck auf der Website der Washington Post.

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