Obama-Rede zu Trayvon Martin:Vom ganz normalen Alltagsrassismus

Lesezeit: 4 Min.

Nach langem Schweigen äußert sich Barack Obama zum umstrittenen Urteil im Fall Trayvon Martin. Amerikas erster schwarzer Präsident wählt deutliche und persönliche Worte: Er berichtet von eigenen, schmerzhaften Erfahrungen und spricht über die Hoffnung, die er in die Generation seiner Töchter setzt.

Von Matthias Kolb

Geht es um Rassismus in Amerika, achtet jeder Politiker genau auf seine Formulierungen. Barack Obama ist da keine Ausnahme: Sowohl seine Biografie "Ein amerikanischer Traum" als auch seine Reden als Wahlkämpfer waren exakt geplant. Die von vielen erwartete Reaktion auf das Trayvon-Martin-Urteil fiel anders aus: In freier Rede sprach der erste schwarze Präsident sehr persönlich über eines der drängendsten Probleme der USA.

Die Journalisten des White House Press Corps waren sehr überrascht, als Barack Obama am Freitag überraschend den Presseraum des Weißen Hauses betrat. Sechs Tage hatte der US-Präsident, der seine Medien-Auftritte sehr genau dosiert, zum umstrittenen Urteil im Fall Trayvon Martin lediglich ein knappes Statement verbreiten lassen, doch nun wollte er sich äußern.

Die bereits vielzitierte Aussage "Vor 35 Jahren hätte ich Trayvon Martin sein können" erinnerte an seinen Satz vom März 2012, nachdem bekannt geworden war, dass der 17-jährige Afroamerikaner in Florida von dem Nachbarschaftswächter George Zimmerman erschossen worden war. Damals hatte Obama gesagt: "Wenn ich einen Sohn hätte, würde er wie Trayvon aussehen."

Obama zeigte Verständnis für den Unmut vieler Schwarzer über das Urteil und mahnte vor den für den heutigen Samstag geplanten Demonstrationen zur Ruhe. Gewalt würde Trayvons Tod "entehren", sagte er. Dann folgte die eigentliche Überraschung für die Journalisten und die anderen Zuhörer: An diesem Freitag redete Obama so offen wie wohl noch nie über Rassismus in den USA und seine eigenen Erfahrungen. Besonders ein Absatz wird wohl in die Geschichtsbücher eingehen und im ganzen Land diskutiert werden:

"Es gibt sehr wenige afroamerikanische Männer, die noch nicht die Erfahrung gemacht haben, beim Einkaufen in einem Geschäft vom Sicherheitspersonal verfolgt zu werden. Das ist mir auch passiert. "Es gibt sehr wenige afroamerikanische Männer, die noch nicht die Erfahrung gemacht haben, dass sie eine Straße überqueren und hören, wie Autotüren verriegelt werden. Das habe ich auch erlebt - zumindest bis ich Senator wurde. Und es gibt sehr wenige afroamerikanische Männer, die noch nicht die Erfahrung gemacht haben, dass sie in einen Aufzug steigen und bemerken, dass die Frau gegenüber aufgeregt ihre Handtasche umklammert und den Atem anhält, bis sie aussteigen kann. Das passiert oft."

Er wolle diese Erfahrungen nicht überbetonen, sagte Obama, aber man dürfe sie nicht ignorieren. Die "historische Ungleichbehandlung" im Justizsystem bei Afroamerikanern sei weiterhin präsent - auch ein Schwarzer nun zwei Mal ins Weiße Haus gewählt wurde. Die Eltern des toten Trayvon Martin reagierten gerührt. "Die Erklärung des Präsidenten gibt uns große Kraft in dieser Zeit", teilten sie mit. Sie seien dankbar für die Gebete Obamas und seiner Frau Michelle. Wie wohl sehr viele Afroamerikaner zeigte sich etwa Russell Simmons, der Gründer des Hip-Hop-Labels Def Jam, via Twitter sehr erfreut über die Worte des US-Präsidenten.

Den richtigen Ton getroffen

Auch der schwarze Autor Tai-Nehisi Coates, der für das Magazin The Atlantic über den Trayvon-Martin-Fall berichtet und sich sehr kritisch über das Schweigen des Demokraten geäußert hatte, ist voll des Lobs: Obama habe genau "den richtigen Ton" getroffen. Die New York Times schrieb auf ihrer Meinungsseite, Obama habe etwas getan, was er sehr selten getan habe - und kein anderer Präsident hätte tun können: "Er hat die in Amerika existierenden Grenzlinien zwischen den Rassen aufgezeigt, indem er über seine eigenen seelischen Schmerzen gesprochen hat."

In den letzten Tagen hatten viele US-Medien wie etwa die Washington Post daran erinnert, wie schwer sich Barack Obama in seiner Rolle als erster afroamerikanischer Präsident tut. Einerseits wollte der Sohn eines kenianischen Vaters und einer weißen Mutter aus Kansas stets zeigen, dass er ein Präsident für alle Amerikaner ist und nicht vor allem für die Interessen einer Minderheit kämpft. Im politisch polarisierten Amerika, so die Überlegung, könnten allzu klare Äußerungen Obamas seinem Anliegen - mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft und weniger Rassismus - eher schaden.

Mit persönlichen Worten sprach US-Präsident Barack Obama über das Urteil im Fall Trayvon Martin - und den Alltagsrassismus in den USA. (Foto: REUTERS)

Und andererseits hatte er schnell lernen müssen, welche Folgen ein unbedachtes Wort haben kann: Nachdem er die Verhaftung eines schwarzen Harvard-Professors, der an seiner klemmenden Haustür rüttelte, als "dumm" bezeichnet hatte, kannten die Kabelsender im Frühjahr 2009 kaum ein anderes Thema. Die Frage, ob sich ein US-Präsident zu einem solchen Vorfall äußern solle, beschäftigte viele Medien. Erst ein "Biergipfel" aller Beteiligten konnte die Wogen glätten.

Obamas gestrige Rede ist sein wichtigster Beitrag zum Rassismus-Thema, seit er sich im Wahlkampf 2008 von den provozierenden Äußerungen seines Pastors Jeremiah Wright distanzierte und dies in einer fulminanten Rede in Philadelphia begründete ( Originaltext hier). Schon damals hatte er die Amerikaner dazu aufgerufen, die Kluft zwischen Schwarz und Weiß endgültig zu überbrücken.

Eigentlich, so wurde später aus dem Weißen Haus bekannt, hatte Obama damit gerechnet, dass er bei einem Gruppen-Interview mit mehreren spanischsprachigen TV-Sender zum Freispruch von George Zimmerman befragt werde. Nachdem es bei diesem Gespräch jedoch vor allem um Fragen der Einwanderungspolitik ging, hatte der US-Präsident am Donnerstagabend mit seinen Beratern überlegt, welche Worte er wählen sollte.

Vor kurzem hatte mit Justizminister Eric Holder der ranghöchste Afroamerikaner in der Obama-Regierung bereits sehr persönliche Worte gefunden. Er sagte bei einer Veranstaltung der National Association for the Advancement of Colored People, seit dem Tod Trayvon Martins auch Angst um seinen eigenen Sohn zu haben.

Barack Obama, Vater zweier Töchter, wählte am Freitag andere Worte. Auch wenn diese ganze Episode "schwer und herausfordernd" für viele Menschen sei, glaube er fest an eine langsame Verbesserung. "Jede nachfolgende Generation scheint Fortschritte zu machen, wenn es um Einstellungen gegenüber der Rasse geht. Das heißt nicht, dass wir eine post-rassistische Gesellschaft sind. Es bedeutet nicht, dass Rassismus ausgelöscht ist. Aber wenn ich mit Malia und Sasha spreche, ihren Freunden zuhöre und sie miteinander sehe, dann wird mir klar, dass sie bei diesen Themen besser als wir sind. Sie sind besser darin, als wir einst waren. Und das gilt für jede Gemeinde, die ich in diesem Land besucht habe."

Linktipp: Der genaue Wortlaut und das Video von Obamas Rede ist unter anderem bei der Washington Post dokumentiert. Weitere Hintergründe über die Benachteiligung von Schwarzen in der US-Gesellschaft finden Sie in diesem SZ-Artikel.

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