Obama-Herausforderer Mitt Romney:Sympathisch wie ein Cyborg

Seltsam und unheimlich, das sind die Attribute, die an Mitt Romney kleben wie Kaugummi. Der Republikaner tut sich schwer, einen Draht zu seinen Wählern zu finden. Obamas Herausforderer schafft es, das banalste Wahlkampfstatement in eine unfreiwillige Selbstparodie zu verwandeln.

Jörg Häntzschel

Mitt Romney geht es gar nicht schlecht. Beim Spendensammeln hat er Obama im Juni zum zweiten Mal überrundet. Und in den Umfragen liegt er unverändert nur zwei Prozentpunkte hinter dem Präsidenten. Die trickreiche Kampagne, mit der Obama seit letzter Woche versucht, Romney, den Über-CEO, in Romney, den perfiden Jobvernichter, umzumünzen, konnte ihm bisher wenig anhaben.

Auch das unangenehme Double Bind, in dem Romney steckt - veröffentlicht er seine Steuererklärungen, kann jeder sehen, wie wenig er für seine enormen Einkünfte abgeführt hat; veröffentlicht er sie nicht, sieht es aus als habe er etwas zu verbergen - konnte er bisher unbeschadet aussitzen. Selbst sein größtes Handicap - es fällt ihm schwer, "Obamacare" zu verdammen, weil er selbst in Massachusetts das Modell dafür schuf - scheint ihn nicht weiter aufzuhalten.

Und doch macht sich im konservativen Lager zunehmend Sorge breit. Eine elementare Frage konnte Romney nämlich bisher nicht überzeugend beantworten: die nach seinem Menschsein. Ist er also einer? Oder verbirgt sich unter der knitterfreien Smart-Casual-Fassade ein "Roboter", ein "Politik-Android", ein "Cyborg"? Der ultrakonservative Kolumnist Jonah Goldberg mutmaßte auf Fox News, Romney sei "von ostdeutschen Wissenschaftlern konstruiert" worden.

Ein anderer klagte ironisch, Romney sei nicht einmal Made in USA: "Klar, der Romnotron X2 wurde hier zusammengebaut. Aber die Teile kommen aus China, Mexiko und Taiwan. Außer dem Haar. Das ist aus Bangladesh." Einigkeit herrscht darüber, dass sein "Smalltalk-Plug-in" (Vanity Fair) dringend eines Updates bedarf. Wenn immer "MittBot" nämlich frei spricht - an Diner-Tischen, bei Q-and-A-Sessions - kommt Bizarres aus seinem Mund. Wie neulich in Michigan:

Ein bisschen Geschichte: Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich liebe diesen Staat. Hier ist alles genau richtig. Die Bäume haben die richtige Höhe. Ich sehe die Seen gerne. Ich liebe die Seen. Es gibt hier etwas ganz Besonderes. Die Großen Seen, aber auch all die kleinen Seen... Ich liebe Autos. Als ich aufgewachsen bin, war ich total verliebt in Autos... Ich liebe Autos. Ich liebe amerikanische Autos. Mögen sie die Welt noch lange beherrschen!"

Dass man weder ein großer Rhetoriker sein, noch auf Schritt und Tritt Profundes und Mitreißendes von sich geben muss, um in den USA Wahlen zu gewinnen, hat Bush junior hinreichend bewiesen. Auch Obama hat lange keine herausragende Rede mehr gehalten. Und wenn er spricht, dann klingt er oft steif und trocken. Niemand erwartet von Romney also oratorische Meisterwerke. Doch eines muss ihm gelingen: Einen Draht zu seinen Wählern zu finden. Egal wie introvertiert und schwierig einer auch ist: Irgendeine authentisch und sympathisch wirkende Version seiner selbst muss er den Leuten schon bieten, damit es beim Händeschütteln auch in Kopf und Herz klick macht.

Lob verwandelt sich in Beleidigungen

Bush wurde für seinen erfundenen Texas-Akzent, sein abgeschmacktes Pathos und seine Einfältigkeit ausgelacht. Palin machte sich als Hockey-Mom, Elchtöterin und Ignorantin zum Gespött. Doch ihre Fans kauften ihnen die Nummer ab und liebten sie: nicht als Politiker, sondern als Menschen, die schienen wie sie selbst. "Likability" heißt diese Qualität. Es ist das eine "asset", das in Romneys Portfolio fehlt. "Weird" - seltsam - und "creepy" - eklig oder unheimlich - sind die Adjektive, die an Romney kleben wie Kaugummi.

Romney versucht durchaus, dem Mensch in ihm Konturen zu geben. Deshalb redet er ständig vom Lieben. Doch statt Leidenschaft und Emphase, derer er offenbar nicht fähig ist, gelingen ihm nur pedantische Redundanz-Kaskaden, die ihn klingen lassen wie ein Navigationsgerät, das den Kontakt zum Satelliten verloren hat. Es ist ganz egal, ob es um Kuchen geht - "Ich liebe Kuchen. Es gibt fast keinen Kuchen, den ich nicht mag. Ich liebe Rhabarberkuchen. Ich liebe Kokosnuss-Kuchen und Bananencreme-Kuchen. Ich liebe guten Apfelkuchen, Kirschkuchen, Blaubeerkuchen. Ich mag ganz einfach Kuchen." - oder über die Nation: "Ich liebe dieses Land. Ich liebe, dass wir Chancen haben. Ich liebe Unternehmertum. Ich liebe sogar den Kapitalismus ... Ich liebe unsere Verfassung. Ich liebe alle Zusatzartikel, sogar den zehnten. Ich liebe die Hymnen unserer Nation." Romneys rhetorischem Autopilot gelingt es, das elementarste und banalste aller Wahlkampfstatements in unfreiwillige Selbstparodie zu verwandeln. "Die Körpersprache eines Pez-Männchens" rundet das befremdende Bild ab.

Die Fälle, in denen Romneys Worte ihn selbst subvertierten, sind Legion. "Ich mag Witze ebenso wie Dinge, die lustig sind", meinte er, falls jemand seinen Sinn für Humor übersehen hatte. Und auch seine musische Seite ließ er nicht unerwähnt: "Ich mag fast jede Art von Musik, einschließlich dieser." Dem Verdacht, er sei nicht rechts genug, entgegnete er mit dem Bekenntnis, er sei "severely conservative". Offenbar fehlte es ihm an Sprachgefühl, um zu wissen, dass man mit "severely" nur Negatives betont, wie in "severely handicapped" oder "severely damaged".

Noch dramatischer missglücken seine Versuche, die Menschen direkt anzusprechen. Regelmäßig versucht er, das Eis mit abwegigen Fragen nach Alter oder Nationalität seines Gegenübers zu brechen: "Lassen Sie mich raten: Sie sind Franco-Kanadier!" Oder er versucht es mit Gratulationen - doch für was? "Das ist ja eine große Lava-Lampe! Gratuliere!", meinte er zu einem Google-Mitarbeiter. Leider verwandeln sich seine Übungen in Jovialität aber oft in Beleidigungen, schon bevor sie seinen Mund verlassen haben.

Statt die ihm angebotenen Kekse als die weltbesten zu preisen, erschreckte er eine Gastgeberin mit ätzender Kritik: "Ich weiß nicht, diese Cookies: Sie sehen nicht aus, als hätten Sie sie selbst gebacken. Haben Sie die gemacht? Nein, sie kommen von der nächsten 7-Eleven-Bäckerei!" Die Bewohner eines Altersheims begrüßte er so: "Irgendjemand hier über 100? Nein? Aber wir sind unterwegs dorthin, wir sind bald da. Hoffentlich kommen wir bald an."

In den USA, wo sich Wildfremde auf der Straße grüßen, anlächeln und Komplimente machen, wo jede noch so banale Interaktion mit ein paar geschmeidigen Worten geglättet wird, löst Romneys soziales Ungeschick mehr aus als nur Irritation. Was steckt dahinter? Ist der Mann etwa krank?, fragen sich einige Blogger seit Monaten. Viele tippen, wenn auch ohne viel Sachkenntnis, auf Asperger-Syndrom, jene leichte Variante des Autismus. Im Internet wurden einschlägigen Romney-Momente schon Szenen aus "Rain Man" gegenübergestellt.

"Ich schmeiße gerne Leute raus"

So abwegig diese Ferndiagnose ist, so real ist das, was Obamas Wahlkampf-Helfer Romneys "weirdness factor" nannten. Doch nachdem einige von ihnen aussprachen, was alle sahen, pfiff Wahlkampf-Manager David Axelrod sie zurück. Auf das W-Wort steht jetzt die Kündigung. Das hatte auch mit der Verbindung zu tun, die viele zwischen Romneys Verhalten und seiner Verwurzelung in der ja ebenfalls reichlich seltsamen Mormonen-Kultur wähnten, ein Aspekt, den Obama und seine Strategen früh für tabu erklärt haben: Religion ist Privatsache. Doch die These ist ohnehin haltlos. In keiner Religion spielt reibungsarme Kommunikation eine ähnlich zentrale Rolle wie bei den Mormonen. Nach zwei Jahren als Missionar unter skeptischen Franzosen käme auch ein Holzklotz als Soft-Skills-Virtuose wieder. Nicht so Romney.

Bleibt nur eine Erklärung: Als Spross des Geldadels und Patriarch einer der bedeutendsten Mormonenfamilien fehle ihm schlicht die Übung im Umgang mit gewöhnlichen Menschen. Er wisse nichts über ihr Leben. Er selbst hat es ja oft genug bestätigt. Statt beim Nascar-Rennen Volksnähe zu demonstrieren, prahlte er von seinen Freundschaften zu "einigen Teamchefs". Seine Frau fahre "ein paar Cadillacs" meinte er andernorts lächelnd, ganz zu schweigen von ihrem teuren Hobby, dem Reiten: "Manchmal will ich sie in die Betty-Ford-Klinik für Pferdesucht schicken." Und allen, die noch Zweifel haben, wirft er regelmäßig eines seiner programmatischen Bonmots hin: "Ich schmeiße gerne Leute raus." "Ich mache mir keine Sorgen um die ganz Armen." Und, besonders bemerkenswert: "Unternehmen sind Menschen, mein Freund!"

Sprüche wie diese passen zu dem, was von Romneys Praktiken bei Bain Capital bekannt ist. In Wahrheit jedoch müsste man schon lange suchen, um unter amerikanischen Superreichen einen zu finden, der sich mit ähnlich grotesken Sprüchen selbst ein Bein stellt. Falls Romney aber glaubt, er begeistere damit das rechte Lager wie Sarah Palin mit ihren grobschlächtigen Rhetorik-Bomben, täuscht er sich. Romneys Provokationen klingen tonlos, so als sei er sich selbst nicht ganz im Klaren über das, was er da rede. Nicht einmal in der Rolle des Radikalkapitalisten, der er ist, überzeugt er.

Und weil er sich nach wie vor weigert, seine älteren Steuererklärungen zu veröffentlichen, als auch dem Publikum mehr vom Menschen Romney zu offenbaren als nur Urlaubsbilder mit Motoryacht und verstörende Anekdoten wie die von dem Hund, den er für eine achtstündige Fahrt aufs Autodach schnallte, bleibt er eine Chiffre, ein "weißer Schatten" wie Frank Rich im New York Magazine schrieb.

Romney sieht aus wie ein Präsidentschaftskandidat aus dem Versandhauskatalog, doch er wirkt fremder als der in Hawaii geborene und in Indonesien aufgewachsene schwarze Präsident. Vier Jahre lang war von Obamas "Anderssein" die Rede, der Hauptursache des Hasses, der ihm weiterhin entgegenschlägt. Nun ist Romney der "Andere", nur ist er so anders, dass sich nicht mal ein Begriff dafür finden lässt: Als "Eine Wand. Eine Hülle. Eine Maske" beschreiben ihn frühere Kollegen in dem Buch "The Real Romney".

Bei einer Wahlkampfveranstaltung fragte kürzlich eine Zuschauerin den republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses John Boehner, ob sie ihm helfen könne, Mitt Romney zu lieben. "Nein", antwortete Boehner. "Das amerikanische Volk wird Romney wahrscheinlich nicht lieben können."

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