Obama gegen Romney:Amerika fürchtet das Wahlchaos

Lange Schlangen bei der vorzeitigen Stimmabgabe in Florida, zu früh geschlossene Wahllokale: Einen Tag vor der US-Wahl wächst die Sorge vor chaotischen Zuständen wie einst im Jahr 2000 bei Bush gegen Gore. Die Demokraten reichen bereits Klage ein - dabei steht Präsident Obama in den letzten Umfragen vor der Wahl als Sieger da.

Oliver Klasen

Um 22:30 Uhr am Samstagabend hatte der Bürgermeister von North Miami ein Erbarmen. Er konnte das Elend derjenigen, die seit Stunden verzweifelt vor der Stadtbibliothek warteten, nicht mehr mitansehen und beschloss, die Situation wenigstens ein wenig angenehmer zu gestalten. Also besorgte Andre Pierre, so berichtet die Huffington Post, 400 Pizzastücke, die ihm die Menschen in der Schlange dankbar aus den Händen rissen.

Obwohl erst morgen der offizielle Termin ist, hat die Präsidentschaftswahl längst begonnen, genauer gesagt das sogenannte Early Voting also die vorzeitige Stimmabgabe. Die ist in den USA, wo traditionell an einem Dienstag gewählt wird, an dem die allermeisten Bürger arbeiten müssen, von größerer Bedeutung als in Deutschland, wo alle Wahlen stets an einem Sonntag stattfinden. Und schon gibt es Probleme, die die Gerichte beschäftigen könnten.

Teilweise bis zu neun Stunden mussten zahlreiche Bürger in Florida am Wochenende warten, bis sie vorzeitig ihre Stimme abgeben konnten. Jeder, der bis 19 Uhr am Wahllokal erscheine, so hatte es am Samstag im Wahlbezirk Miami-Dade geheißen, durfte seine Stimme abgeben. Um ein Uhr in der Nacht waren noch immer nicht alle rechtzeitig anwesenden Bürger abgefertigt.

Weil der Andrang so groß war, hatten die Behörden kurzfristig noch eine Zusatzmöglichkeit geschaffen. Am Sonntag sollte es möglich sein, zwischen 13 und 17 Uhr abzustimmen. Doch tatsächlich war das Wahllokal nur knapp zwei Stunden geöffnet, weil die Wahlbehörden mit den Menschenmassen überfordert waren. "Wir wollen wählen!", skandierten Hunderte verärgerte Bürger, die draußen vor verschlossenen Türen standen.

Landesweite Mehrheit bei den Wählerstimmen reicht nicht

Die Meldungen aus Florida wecken Erinnerungen an das Jahr 2000. Fehlerhafte Lochkarten und veraltete Lesegeräte machten eine Neuauszählung aller Stimmzettel in dem entscheidenden Swing State erforderlich. Erst 35 Tage später herrschte Gewissheit: Der Oberste Gerichtshof kürte George W. Bush zum Sieger vor dem Demokraten Al Gore, obwohl der landesweit mehr Stimmen auf sich vereinigen konnte als der Republikaner.

Zwölf Jahre später sieht es nach einer ähnlich vertrackten Lage aus. Beide Lager haben Dutzende Anwälte bereitstehen, die bei einem knappen Wahlausgang rechtliche Schritte prüfen werden. In Florida erstattete die dortige Demokratische Partei am Sonntag wegen der chaotischen Zustände vom Wochenende Anzeige. Gouverneur Rick Scott, ein Parteifreund des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney, hatte die Termine für eine vorzeitige Stimmabgabe von 14 auf acht Tage eingeschränkt. Kritiker werfen ihm vor, dass das vor allem den Demokraten schadet, deren Anhänger häufiger vorzeitig wählen als republikanische Wähler.

Dabei sieht es in den Umfragen günstig aus für Obama. Nach einem Bericht der New York Times sahen die Institute den US-Präsidenten mit durchschnittlich 1,3 Prozentpunkten vor seinem republikanischen Herausforderer Mitt Romney. Ausgewertet wurden zwölf nationale Umfragen von diesem Sonntag.

Wichtiger ist jedoch der Stand der Umfragen in den sogenannten Swing States, die zwischen Demokraten und Republikanern traditionell hart umkämpft sind. Der Süddeutsche.de-Wahlatlas (siehe oben), der auf den Daten des Statistikdienstes Real Clear Politics basiert, rechnet insgesamt elf Staaten dazu. Die New York Times zählt dagegen nur neun Swing States auf und hat alle Kombinationsmöglichkeiten für einen Wahlsieg der jeweiligen Partei zusammengestellt (hier die interaktive Grafik). Demnach gibt es für Obama - abhängig davon in welchen Swing States er gewinnt und in welchen nicht - 431 mögliche Wege ins Weiße Haus, während Romney nur auf 76 gangbare Pfade kommt.

Absehbare Probleme mit den Wahlmaschinen

Im möglicherweise entscheidenden Bundesstaat Ohio liegt Obama der New York Times zufolge in allen Wochenend-Umfragen vorne: Der Vorsprung beträgt je nach Umfrageinstitut ein bis fünf Prozentpunkte. Die Wahrscheinlichkeit eines Obama-Sieges liege bei 87 zu 13 Prozent - schlechte Aussichten für Romney, denn noch nie ist ein Republikaner Präsident geworden, der Ohio nicht gewinnen konnte.

In Florida, wo ein Sieg ebenfalls als absolutes Muss für Romney gilt, stehen die Chancen für den Herausforderer dagegen etwas besser. Hier geht die Auswertung der New York Times von einer Siegwahrscheinlichkeit von 56 zu 44 Prozent für Romney aus. In den Umfragen ist der Republikaner dort bis zu 3,5 Prozentpunkte im Vorsprung.

Knappe Wahlergebnisse in den Swing States könnten den Ausgang der Wahl erheblich verzögern. So müssen in Florida und Colorado Stimmen nachgezählt werden, wenn der Unterschied zwischen den beiden Kandidaten 0,5 Prozentpunkte oder weniger beträgt. In Ohio liegt die Grenze für Neuauszählungen bei einem Abstand von 0,25 Prozentpunkten - was Schätzungen zufolge eine Differenz von weniger als 20.000 Stimmen sein könnte.

Ein Wähler namens Hitler

Absehbar sind auch technische Probleme mit neuen Wahlmaschinen. Häufig kritisiert werden Automaten mit Touchscreen, bei denen keine Sicherheitskopie auf Papier erstellt wird. Der republikanische Haussender TV-Sender Fox News berichtete von Fällen aus Ohio, bei denen das Gerät mehrfach eine Stimme für Obama zählte, obwohl die Wähler das Feld für Romney angetippt hatten. In Cincinnati, ebenfalls in Ohio, soll es außerdem merkwürdige Vorgänge bei der Wähler-Registrierung gegeben haben. So sei auf einen Registrierungsformular der Name John Adolf Hitler aufgetaucht.

Nach den Problemen bei der vorzeitigen Stimmabgabe ist es durchaus denkbar, dass sich die Wahlnacht länger hinzieht als geplant. Der Ansturm der Wähler könnte auch am Dienstag vor einigen Wahllokalen zu langen Warteschlangen führen, deren Öffnungszeiten könnten dann kurzfristig um mehrere Stunden verlängert werden.

Damit alles reibungslos verläuft, hat das Justizministerium nach Angaben des TV-Senders CNN mehr als 780 Wahlbeobachter in 51 verschiedene Wahlbezirke entsendet. Sie sollen kontrollieren, ob etwa körperlich beeinträchtigte Menschen tatsächlich die Wahllokale erreichen können. Und sie sollen verhindern, dass es rassistische Diskriminierungen bei der Stimmabgabe gibt.

Wenn alles normal verläuft, könnte der Sieger bereits gegen halb drei Uhr deutscher Zeit am Mittwochmorgen feststehen. Wenn nicht, sollten alle Beteiligten besser reichlich Pizza vorrätig haben.

Linktipp: Ein Überblick über die Schließung der Wahllokale in den einzelnen Bundesstaaten liefert diese Grafik von Politico, alle Angaben darin beziehen sich auf die New Yorker Zeit, also sechs Stunden vor der MEZ.

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