Obama-Besuch:Die Unwucht

Es wäre eine neue transatlantische Balance erstrebenswert, in der Deutschland nicht mehr so wichtig ist. Andernfalls besteht immer auch die Gefahr, dass es sich selbst zu wichtig nimmt.

Von Nico Fried

Barack Obama, dem stets nachgesagt wurde, er interessiere sich nicht für Europa, kann plötzlich gar nicht genug davon bekommen. Nachdem er im April ein letztes Mal da war, kommt er nun noch ein allerletztes Mal. Auch kann der US-Präsident, dessen Verhältnis zur Kanzlerin so lange distanziert blieb, plötzlich nicht genug kriegen von Angela Merkel. Hat es je einen europäischen Regierungschef gegeben, den der Führer der westlichen Welt binnen sieben Monaten gleich zweimal zu Hause besucht hat?

Wenn Obama im November einfliegt, ist sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin bereits gewählt. Merkel und ihre Kollegen François Hollande, Theresa May und Matteo Renzi, die mit dem scheidenden Präsidenten in Berlin zusammentreffen, können deshalb mit Obama vor allem Bilanz ziehen. Doch das Gruppenfoto eines einträchtigen Quintetts wird die mangelnde Effektivität der transatlantischen Beziehungen nicht abbilden. Es ist nicht besonders gut gelaufen in den vergangenen Jahren. Und das Treffen im November bewirkt bestenfalls, dass man daraus noch einige Schlüsse für die Zukunft zieht.

Das Verhältnis zu Angela Merkel sei "die wichtigste Beziehung, die wichtigste Freundschaft, die ich in meiner Amtszeit hatte", hat Obama im Frühjahr in Hannover gesagt. Dass es so weit kommen würde, war nicht zu erwarten, als die Kanzlerin dem Senator aus Illinois im Präsidentschaftswahlkampf den Auftritt am Brandenburger Tor verwehrte. Mit Merkel und Obama, die sich erst finden mussten, verhielt es sich genau umgekehrt wie zuvor mit George W. Bush und Gerhard Schröder, die einander über den Irak-Krieg verloren, wenn man die tiefe gegenseitige Verachtung denn poetisch formulieren möchte. Der jetzige Zustand der deutsch-amerikanischen Beziehungen ist deshalb erfreulich, aber das allein hilft noch nicht viel in der Welt von heute.

Im Gegenteil steht die persönliche Wertschätzung zwischen Präsident und Kanzlerin in erkennbarem Gegensatz zu den politischen Problemen. Obamas Rückzug aus der Rolle Amerikas als allgegenwärtiger Ordnungsmacht und die damit verbundene Erwartung an Europa, mehr Verantwortung zu übernehmen, haben zu einer neuen Aufgabenteilung geführt, die noch nicht ausgewuchtet ist. In vielen Konflikten muss es der Westen schon als Erfolg betrachten, wenn eine Eskalation vermieden wird. Doch mitnichten ist das in allen Konflikten der Fall.

Hinzu kommt, dass - trotz des Krieges gegen den "Islamischen Staat" - die militärische Intervention für Europa und die USA als Mittel der Politik insgesamt an Bedeutung verloren hat. Vor allem der Irak-Krieg hat dieses Instrument diskreditiert. So begrüßenswert Skrupel und Zurückhaltung erscheinen, so offenkundig ist, dass der Verzicht das politische Instrumentarium reduziert. Nirgends ist das so deutlich geworden wie im Syrien-Konflikt, als Obamas rote Linie keine rote Linie mehr war. Einen Massenmord, wie er mit dem Eingreifen im libyschen Bengasi noch verhindert wurde, muss man in Aleppo nun hilflos geschehen lassen.

Der Ukraine-Konflikt zeigt Deutschland seine Grenzen auf

Was bleibt, sind im Wesentlichen wirtschaftliche Sanktionen und Verhandlungen. Man könnte auch sagen: klassische europäische Außenpolitik. Am weitesten ist man damit im Umgang mit dem Iran und seinem Atomprogramm gekommen, auch wenn noch niemand wissen kann, wie nachhaltig dieser Erfolg sein wird. Hier hat Europa den USA den Weg gewiesen. Auch im Konflikt mit Russland um die Ukraine gelang es den Europäern zumindest, zu deeskalieren; Ausgang freilich völlig offen. In Syrien hingegen ist ein Ende des Desasters nicht abzusehen.

Europa und nicht zuletzt Deutschland haben in den Obama-Jahren in der Weltpolitik an Bedeutung gewonnen. Das lag gewiss auch daran, dass die deutsche Außenpolitik sich geduldig und ausdauernd engagiert hat. Manche Betrachtung dieser Situation gipfelt nun darin, dass Merkel nach dem Abgang Obamas der letzte Stabilitätsanker des Westens sein könnte. Das aber sollte sich niemand wünschen.

Denn der Bedeutungszuwachs ist ambivalent, weil ihm nicht so sehr eigene Stärke als eher amerikanische Zurückhaltung, ja Schwäche zugrunde liegt. Der Ukraine-Konflikt und die Abstinenz der Amerikaner hat Deutschen (und Franzosen) ihre Möglichkeiten aufgezeigt - aber auch ihre Grenzen. Und dass die Bemühungen von Merkel und Frank-Walter Steinmeier im Syrien-Konflikt immer wieder darauf abzielen, Russen und Amerikaner an einen Tisch zu bekommen, spiegelt ebenfalls die wirklichen Machtverhältnisse.

Nach Obama wäre eine neue transatlantische Balance erstrebenswert, in der Deutschland nicht mehr so wichtig ist. Andernfalls besteht immer auch die Gefahr, dass es sich selbst zu wichtig nimmt.

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