Obama-Berater Jim Messina:Großmeister der Wähler-Durchleuchtung

President Obama's campaign headquarters for the 2012 presidential

Organisator der Obama-Wiederwahl 2012: Jim Messina spricht mit den Medien im Wahlkampfbüro der Demokraten in Chicago (Archivbild)

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Die SPD möchte lernen, wie man Wahlen gewinnt - und engagiert für den nächsten Bundestagswahlkampf den US-Berater Jim Messina.
  • Messina leitete 2012 die Wiederwahl-Kampagne Barack Obamas, die als Vorbild eines modernen, internetbasierten Wahlkampfs gilt.
  • Der Amerikaner arbeitet mit detailreichen Datensätzen von Wählern. Die zu erheben, würde in Deutschland allerdings am Datenschutz scheitern.

Von Paul Munzinger

Jim Messina mag harmlos aussehen mit seinem rotblonden Seitenscheitel und seinem Schuljungen-Lächeln. Zimperlich ist der amerikanische Politik-Berater, der 2012 die Wiederwahl-Kampagne Barack Obamas orchestrierte, aber nicht. Seine Angriffe gehen schon mal unter die Gürtellinie. Er schreckte nicht davor zurück, gegnerische Kandidaten durch unterschwellige homophobe Botschaften zu diskreditieren oder deren körperliche Gebrechen politisch auszuschlachten.

Wie die Partei auf Anfrage bestätigte, wird Messina seine Wahlkampfmaschine demnächst für die deutsche Sozialdemokratie in Gang setzen. Die SPD steht in Umfragen wie festgenagelt bei 25 Prozent. Aus Sicht vieler Sozialdemokraten stehen der Aufwand, den die Partei in der großen Koalition betreibt, und der Ertrag in der Wählergunst in einem frustrierenden Missverhältnis. Hier kommt Jim Messina ins Spiel. Er soll - das berichtet am Samstag der Spiegel - der SPD helfen, die Bundestagswahl 2017 zu gewinnen. Ein Auftrag mit vielen Fragezeichen, denn was in Washington funktioniert, muss in Berlin noch lange nicht klappen. Manche Tricks der amerikanischen Stimmenfänger könnten in Deutschland sogar illegal sein.

Messina, geboren 1969 in Denver, Colorado, gilt als Social-Media-Experte. Als Mastermind, das politikmüde Wähler da abholt, wo sie sind: vor dem Computer, auf Facebook, Twitter und Instagram. Seine strategischen Fähigkeiten werden geradezu mythisch verklärt, derzeit haben ihn die britischen Tories mit einem medialen Facelift beauftragt.

Die SPD erhoffe sich von der Zusammenarbeit mit Messina "Erkenntnisse aus den Wahlkämpfen der Demokratischen Partei der USA", heißt es aus der Parteizentrale. Oder auch "'nen guten Wahlkampf", wie Parteichef Sigmar Gabriel nach der Neujahrsklausur der Parteispitze mitgeteilt haben soll. Das berichtet die Zeit.

Das Kalkül kennt man aus dem Fußball: Eine Mannschaft fühlt sich zu Höherem berufen, dümpelt aber immer nur im Mittelfeld. Also verpflichtet sie einen Meistertrainer aus dem Ausland, der das Team wieder in die Spitzengruppe hieven soll. Der FC Schalke 04 mit Champions-League-Sieger Roberto Di Matteo wäre ein Beispiel.

Kann das für die SPD funktionieren? Kann Messina seine amerikanischen Erfolgsrezepte auf Deutschland übertragen?

Der "Coolste aller Zeiten"

Wenn es darum geht, soziale Medien in der Politik einzusetzen, hinkt Deutschland den USA weit hinterher. Neben dem Wahlsystem und der politischen Kultur ist das einer der fundamentalen Unterschiede zwischen Wahlkämpfen in den USA und in Deutschland. Von den Summen, die sich die Parteien den Wahlkampf kosten lassen, ganz zu schweigen. Das lässt sich mit ein paar Zahlen illustrieren: Barack Obama hat bei Facebook 45 Millionen Fans, Bundeskanzlerin Angela Merkel knapp eine Million, SPD-Chef Sigmar Gabriel weniger als 40 000. Obama hat mehr als 50 Millionen Twitter-Follower, Gabriel knapp 50 000. Merkel ist dort gar nicht vertreten.

Doch die deutschen Parteien ziehen nach, das zeigt sich zum Beispiel gerade in Hamburg. "Social Media hat in einem Wahlkampf in Deutschland noch nie eine so große Rolle gespielt", sagt der Politik-Berater und Blogger Martin Fuchs im Hinblick auf den Bürgerschaftswahlkampf. "Soziale Medien sind mittlerweile auch in Deutschland überlebensnotwendig geworden." Doch die Parteien nutzten Facebook oder Twitter noch immer recht ungeschickt, als zusätzliche Verlautbarungsorgane, wo man eine Pressemitteilung zweit- oder drittverwerten kann. Der Dialog mit den Wählern, sagt Fuchs, werde zu wenig gesucht, das "Social" in Social Media nicht ausgeschöpft.

Sigmar Gabriels Postings auf Facebook sehen häufig so aus: "Hier der Mitschnitt meiner Pressekonferenz zum Auftakt der Klasursitzung (sic!) des Parteivorstands". 58 Nutzern gefällt das.

Obama ließ sich im Wahlkampf 2012 auf Reddit interviewen, einem schmucklosen Nischen-Netzwerk, das unter dem Ansturm von 200 000 Fragestellern zusammenbrach. Er wurde anschließend als "coolster Präsident aller Zeiten" gefeiert.

Wann hat man so etwas je über Sigmar Gabriel gehört?

Wie man Politik auf Facebook oder Twitter verkauft, in dieser Frage können die deutschen Parteien von Jim Messina sicherlich lernen, nicht nur die SPD. Doch es wäre falsch, ihn in erster Linie als Facebook-Flüsterer und Twitter-Guru zu sehen, Messina ist vor allem ein Großmeister der Wähler-Durchleuchtung.

Erst im Netz, dann an der Haustür

Seine erfolgreiche Obama-Kampagne aus dem Jahr 2012 baute auf Daten auf. Zusammen mit Tausenden freiwilligen Helfern warf er das Schleppnetz aus, um Wahlwerbung und Spendenaufrufe zielgenau und individuell auf die heiß umkämpften unentschlossenen Wähler zuschneiden zu können. Durch die Synchronisation unterschiedlicher Datensätze - öffentliche Wählerverzeichnisse, Facebook-Likes oder Bonus-Karten - entstanden kleinteilige Wählerprofile, in denen selbst die bevorzugte Biersorte, die Automarke oder Startseite im Browser verzeichnet waren. Bei manchen Bürgern sollen es bis zu 500 Einzelinformationen gewesen sein.

Direkt angesprochen wurden diese Wähler dann auch auf Facebook, per Mail oder per Brief, aber vor allem auf dem klassischen analogen Weg. "Die Haustür ist der magische Ort, an dem du jeden Wähler erreichst", sagte Messina 2012. Der Unterschied zu früher: Wenn die ehrenamtlichen Helfer Obamas klopften, wussten sie schon genau, mit welchen Themen sie einen Unentschlossenen ansprechen konnten - und mit welchen nicht.

"Der wird nicht Generalsekretär"

Für eine derart aufwendige Kampagne fehlt in Deutschland nicht nur das Geld, sondern vor allem die rechtliche Grundlage. Öffentliche Wählerverzeichnisse wie in den USA gibt es hier nicht, die systematische Auswertung und Synchronisierung von Datenpaketen verbieten die Datenschutzrichtlinien. Es ist das unterschiedliche Verständnis von Datenschutz jenseits und diesseits des Atlantiks, das Messina in Deutschland ausbremsen könnte.

Vielleicht liegt es auch daran, dass Sigmar Gabriel die Erwartungen schon mal vorsorglich dämpft. "Der wird nicht Generalsekretär", sagte der SPD-Chef der Zeit zufolge im Hinblick auf Messina. "Der wird Berater."

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