Obama auf Twitter und Facebook:Präsident in der Einbahnstraße

Das Weiße Haus eröffnet Accounts auf Facebook und Twitter - ohne den Graswurzel-Geist des Wahlkampfes.

Jannis Brühl

"Wir müssen uns bewusst werden, dass wir den Herausforderungen von heute nicht mit alten Gewohnheiten und starrem Denken begegnen können", erklärte der amerikanische Präsident in seiner jüngsten Videoansprache. Und ließ seinen Worten scheinbar Taten folgen: Seit dem 1. Mai ist das Weiße Haus auf den marktführenden Plattformen Facebook, Myspace und dem Kurznachrichtendienst Twitter mit eigenen Auftritten präsent.

Obama auf Twitter und Facebook: Das Weiße Haus auf Myspace, eingerahmt von Pop-Bands.

Das Weiße Haus auf Myspace, eingerahmt von Pop-Bands.

(Foto: Foto: AFP (Archiv))

Auf den ersten Blick passt die Online-Offensive zum Bild von Obama: Ein moderner Präsident, der den neuen Technologien gegenüber genauso aufgeschlossen ist wie die von der Bush-Regierung frustrierte Jungwählerschaft, die ihm zur Präsidentschaft verhalf. Der mächtigste Mann der Welt ist von Helfern umgeben, die technologisch auf der Höhe der Zeit sind.

Obamas Sprecher Bill Burton beschwerte sich nach der Amtsübergabe sogar bei der Washington Post, mit den alten Computern der Republikaner zu arbeiten, sei "wie von der X-Box wieder auf einen Atari umzusteigen".

Unterstützt vom Facebook-Mitbegründer Chris Hughes, den Obama ins Wahlkampfteam holte, hätschelte der Präsidentschaftskandidat während des Wahlkampfes seine Anhänger im Netz. 95 Mitarbeiter waren allein für die Internet-Kampagne zuständig. Über sein Kandidaten-Profil auf Facebook, vor allem aber über die Seite my.barackobama.com, fanden Zehntausende von ihnen zusammen. Sie organisierten sich in unzähligen lokalen Spendenkomitees und halfen mit, die Rekordsummer von 650 Millionen Dollar für das Präsidentschaftsrennen aufzutreiben. Billiger und effektiver kann man die Massen nicht mobilisieren.

Die Kampagne, immer mit einem Ohr auf das ständige Flüstern der Netzwerk-Seiten, konnte blitzschnell auf Stimmungen und Wünsche der Unterstützer reagieren. Und der Kandidat gewöhnte sich daran, seine Anhänger ernstzunehmen. Schließlich konnten sie seine Behauptungen in Sekunden online überprüfen. "Sie kontrollieren unsere Kampagne", sagte David Plouffe, Obamas Wahlkampfchef, 2008 der New York Times.

Mehr Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten versprach der neue Präsident auch für seine Amtszeit. Die offizielle Website whitehouse.gov wurde vor drei Monaten komplett erneuert, besonders stolz war man auf den ersten Blog aus dem Zentrum der Macht. Viele erhofften sich, die Regierung würde die Erfahrungen aus dem Wahlkampf dazu nutzen, die Seite zu einem "Facebook für Bürger" auszubauen.

Doch einmal im Amt, verstehen Obama und sein Vize Joe Biden die neuen Kommunikationswege offensichtlich als Einbahnstraße. Denn die Informationen fließen vor allem in eine Richtung: Von oben nach unten. Auf den Myspace- und Facebook-Seiten werden lediglich die Einträge des Blogs der offiziellen Regierungswebsite veröffentlicht, die selbst nicht mehr als bebilderte Pressemitteilungen sind. Eine Kommentarfunktion, wie während des Wahlkampfs auf mybarackobama.com und während der Übergangsphase von Bush zu Obama unter change.gov, exisitert nicht mehr.

Das Video einer Rede zu Steueranreizen für Unternehmen, um Jobs im Land zu erhalten, oder Bilder von Gattin Michelle beim Besuch einer hispanischen Grundschule zum Feiertag "Cinco de Mayo": Nichts, was George W. Bushs Team nicht auch online gestellt hätte.

Noch liegt das Netz dem Demokraten zu Füßen: In den ersten sechs Tagen konnte das Weiße Haus je 190.000 "Freunde" auf Facebook und Myspace verzeichnen, 55.000 verfolgen die Nachrichten auf Twitter. Manchmal wird sogar ernsthaft über die Politik des Präsidenten diskutiert, über die richtigen Maßnahmen gegen Schweinegrippe zum Beispiel. Allerdings überwiegen die für Internet-Foren üblichen Banalitäten: Manche sind nur dabei, um einen Kommentar a la "Rock on Barack!" zu verfassen, und einige Konservative lassen ihrer Paranoia freien Lauf und warnen vor dem "Sozialisten" Obama. Die Interaktivität erschöpft sich darin, kurz die Pressemitteilungen zu kommentieren, vom Graswurzel-Geist der Kampagne ist nichts mehr übrig.

Ein Wahlkampfversprechen, echte Transparenz und Interaktivität ins Weiße Haus zu bringen, löst Obama nur teilweise ein. Alle Gesetze, die der Kongress dem Präsidenten vorlegt, sollten fünf Tage lang auf der Homepage des Weißen Hauses einzusehen sein. Besucher der Seite hätten dann laut dem pathetisch als "Sonnenlicht vor der Unterschrift" angekündigte Vorhaben die Möglichkeit, ihre Meinung zu dem Entwurf mitzuteilen. Von den elf Gesetzen, die er während seiner ersten 100 Tage im Amt unterzeichnete, wurden jedoch nur fünf auf der Homepage präsentiert, nur eines davon für den versprochenen Zeitraum.

Immerhin: Jason Furman, Wirtschaftsberater Obamas, beantwortete auf Facebook ganze drei Fragen zu den genannten Steuererleichterungen, die das Weiße Haus aus den hunderten Kurzmitteilungen auf dem Twitter-Kanal gesiebt hatte.

Auch wenn das Weiße Haus sich also in die Kommunikationsströme der Jugend eingeklinkt hat, bleibt es fraglich, ob es eine interaktive "Regierung 2.0" geben wird oder nur deren Simulation. Über die technischen Möglichkeiten verfügt das Weiße Haus, und an Ideen mangelt es nicht. Das "Sonnenlicht"-Versprechen einzulösen und die Gesetzesvorhaben in den sozialen Netzwerken zur Diskussion zu stellen, wäre ein erster Schritt. Es steht schließlich eine der großen Stärken Barack Obamas auf dem Spiel: Seine Glaubwürdigkeit bei der jungen Generation, die er sich mühsam erkämpft hat. Der Wahlkampf hat gezeigt, dass die Möglichkeit, online die Politik mitzugestalten, die Menschen in ungeahntem Maße aktiviert.

Die sozialen Netzwerke haben ihre Aufgabe, die Mobilisierung für den Wahlkampf Obamas, erfüllt. Wenn in drei Jahren seine Wiederwahl ansteht, wird er wieder auf das Potenzial der Netz-Gemeinde zurückgreifen wollen. Ob sie ihn dann noch ernst nimmt, wird sich zeigen.

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