OB-Wahl in Stuttgart:Schwarzer Pirat

Er ist der gemeinsame Stuttgarter OB-Kandidat von CDU, FDP und Freien Wählern. Nun wird Sebastian Turner auch noch bei den Piraten vorstellig. Die finden die Bewerbung des parteilosen Werbeprofis "in jedem Fall überraschend". Und die CDU? Die findet Turners Schritt in Ordnung.

Barbara Galaktionow

"Wir können alles. Außer hochdeutsch." Als die CDU unter Ministerpräsident Erwin Teufel mit diesem Slogan für Baden-Württemberg warb, war die Welt für die CDU noch in Ordnung. Inzwischen ist das ganz anders: Mit Winfried Kretschmann regiert ein Grüner das Ländle.

Sebastian Turner will OB werden

Sebastian Turner auf dem Schlossplatz in Stuttgart: Der OB-Kandidat von CDU, FDP und Freien Wählern bewirbt sich nun auch bei den Piraten. 

(Foto: dpa)

Und nun treibt die Konservativen die Angst um, sie könnten nach fast vier Jahrzehnten auch die Macht im Stuttgarter Rathaus verlieren. Denn mit dem Konflikt um das Bahnprojekt Stuttgart 21 hat die CDU viel Ansehen verspielt. Zudem kandidiert auf Seiten der Grünen mit Fritz Kuhn ein politisches Schwergewicht für das Amt des Oberbürgermeisters.

Ein guter Ausweg erschien es da zumindest der großen Mehrheit der CDU, einmal andere Wege zu gehen, um neue Wählerschichten anzusprechen: Statt eines Parteimannes nominierten sie im März Sebastian Turner. Der war früher Vorstandschef bei der Werbeagentur Scholz & Friends und soll den Hochdeutsch-Slogan erfunden haben. In dem Parteilosen sieht die CDU ihre "Riesenchance" für die Wahl, wie der Kreisvorsitzende Stefan Kaufmann sagte. Denn Turner trete nicht auf wie ein typischer Politiker.

Das könnte für die CDU nun zum Problem werden, denn Turner handelt auch nicht wie ein typischer Politiker: Der 45-Jährige belässt es nämlich nicht dabei, sich auch die Unterstützung von FDP und Freien Wählern zu sichern, sondern bewirbt sich zudem als OB-Kandidat der Piratenpartei. Wie sechs weitere Bewerber nutzte Turner die Möglichkeit, sich bei dem offenen, per Internet ablaufenden Bewerbungsverfahren "Alle warten nur auf Dich!" der Stuttgarter Piraten direkt ins Spiel zu bringen.

Ein gemeinsamer Kandidat von CDU und Piratenpartei - geht das? Ist es ein kluger PR-Coup des Werbeprofis? Oder weiß er schlicht selbst nicht, was er will? Auf Bundesebene jedenfalls stehen sich die Ziele von Christdemokraten und Piraten oft unversöhnlich gegenüber, sei es bei der Vorratsdatenspeicherung oder der Frage eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Normalbetrieb entscheidend

Das weiß auch Turner: "Es gibt ganz viel Trennendes mit den Piraten, da gibt's gar nichts zu übertünchen." Als abwegig empfindet er seine Kandidatur trotzdem nicht. "Wenn Sie in Stuttgart OB werden, dann regieren Sie mit allen Parteien", stellt er fest. Denn bei den Bürgermeistern seien alle Parteien vertreten. Es sei notwendig, mit allen ins Gespräch zu kommen - und das könne man ja auch schon im Vorfeld tun.

Zudem sieht er durchaus einige Überschneidungen: Freiheit, Offenheit für neue Technologien und Partizipation nennt er als Schlagworte. Sie finden sich auch auf dem Fragebogen, den Turner für seine Piratenbewerbung im Internet beantwortet hat.

Doch selbst in gegensätzlichen Positionen sieht Turner nicht unbedingt ein Problem. Beispiel Volksentscheid: Während die CDU - und auch Turner selbst - eher auf eine Stärkung des Parlamentarismus setzt, fordern die Piraten eine verstärkte Einbindung der Bürger in konkrete Entscheidungen. Ein Unterschied, den Turner sieht, aber nicht in erster Linie als wichtig erachtet.

Beteiligung müsse ansetzen "im Normalbetrieb des städtischen Lebens und nicht im Ausnahmefall des Volksentscheides", sagt er. Entscheidend sei Transparenz - die ja auch von den Piraten gefordert werde. Relevante Informationen und Interessen müssten frühzeitig auf den Tisch kommen, Konflikte auf diese Weise ausgeräumt werden, bevor sie eskalieren.

Doch was halten die Piraten von Turners Vorstoß? Wollen sie ihn denn? "Die CDU ist unser größter inhaltlicher Gegner", sagt Martin Eitzenberger, Piratenchef in Stuttgart. Daher sei die Bewerbung des christdemokratischen OB-Kandidaten "auf jeden Fall überraschend". Vorbehalte äußert Eitzenberger jedoch nicht. Seine Partei hätte bewusst ein offenes Verfahren zur Bestimmung ihres OB-Kandidaten gewählt.

Sicherlich habe Turner "eine Menge sehr bürgerlicher Positionen", er komme aus einem anderen Umfeld und sei älter als die meisten Piraten, sagt der Softwareentwickler, der seit Oktober 2011 an der Spitze der Stuttgarter Piraten steht. Letztlich ginge es den Piraten darum, für ihre Positionen zu werben. Wenn CDU oder Grüne diese vertreten würden, wäre es ihm nur recht.

Auch in der CDU hat das Bemühen des eigenwilligen OB-Kandidaten um die Piraten kein Befremden ausgelöst - sagt zumindest Kreischef Stefan Kaufmann. "Seine Bewerbung ist mit den Spitzen von CDU, FDP und Freien Wählern abgestimmt", versichert er. Man habe keine großen Debatten geführt, sondern nur das Für und Wider gemeinsam erläutert.

Zudem gehe es ja nicht darum, einen Koalitionsvertrag mit gemeinsamen Positionen zu erarbeiten. Den einen oder anderen CDU-Stammwähler könne Turners Interesse an den Piraten zwar womöglich irritieren, aber das wisse man auch erst nach der Wahl sicher.

Kritik von Gegenkandidat Kuhn

Sehr viel kritischer sieht der grüne Konkurrent Fritz Kuhn Turners Hinwendung zu den Piraten. Turner nenne sich unabhängig, sei aber tatsächlich Kandidat der CDU und scheine mit Doppel- und Mehrfachbewerbungen kein Problem zu haben, schreibt Kuhn in einem offenen Brief an die Piraten - und macht deutlich, was er davon hält: "Ich persönlich finde ja, dass es oft kein weiter Weg von der behaupteten Unabhängigkeit zur faktischen Beliebigkeit ist." Kuhn selbst wollte sich nicht als Kandidat der Piraten bewerben, da es "nicht zur Verklarung oder Transparenz" beitragen würde.

Was die Stuttgarter Piraten von Turners Bewerbung halten, können sie am nächsten Sonntag zeigen. Bei einer Mitgliederversammlung dürfen alle - durchweg männlichen - Bewerber ihre Positionen präsentieren. Dann wird abgestimmt. Angst vor einer Niederlage hat der Werbemanager Turner nicht: "Wenn ich da krachend durchfalle, war's das trotzdem wert."

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