Süddeutsche Zeitung

Verletzte OB-Kandidatin Reker:Kämpferin gegen den Parteienfilz

Henriette Reker gilt als aussichtsreiche Kandidatin für die OB-Wahl in Köln - auch wegen ihrer Aura der Unabhängigkeit.

Von Bernd Dörries, Köln

Verletzlich sah sie in den vergangenen Wochen aus. Henriette Reker, die schon immer schmal gewesen war und im Wahlkampf noch einmal neun Kilo abgenommen hatte. Das Umfeld machte sich Sorgen, Reker machte Wahlkampf: Jeden Morgen um 5:30 Uhr raus, abends erst um elf ins Bett, 1000 Auftritte seit März. "Ich bin in der Sache unterwegs", das hatte sie immer wieder gesagt. Die 58-Jährige ist nicht frei von Eitelkeit. Aber in Köln haben die Bürger ihr abgenommen, dass es der Kandidatin für die OB-Wahl am Sonntag zuallererst darum geht, die Stadt zu verändern - und danach erst um sich selbst.

In Köln ist das schon eine Menge wert. Nicht wenige hatten den Eindruck, dass sich die großen Parteien die Stadt ein wenig zum Eigentum gemacht hatten in den vergangenen Jahren. Es gab Korruption und Verfilzung und Stillstand. Sich selbst bezeichnete Reker stets als den Gegenentwurf zu einer "politisch gesteuerten Stadtverwaltung". Dabei war sie selbst so etwas wie ein Produkt der Verwaltung, arbeitete sich in den Ämtern nach oben, auch mit Hilfe der Parteien, denen sie dann aber nie beitrat. Das machte die Karriere nicht immer einfacher. Für die Wahl in Köln war die Aura der Unabhängigkeit nun aber von Vorteil.

Viele Flüchtlinge, wenig Platz

Reker studierte Jura und arbeitete bei der Berufsgenossenschaft Holz und Metall in Bielefeld und dann beim Landesverband der Innungskrankenkassen in Münster. Keine wirklich glamourösen Jobs, mit denen man sich für höhere Aufgaben empfiehlt. Im Jahr 2000 wurde sie Beigeordnete für Soziales und Gesundheit in Gelsenkirchen - einer Stadt, in der es um das Soziale nicht sonderlich gut steht. Die Schulden sind dort, im Herzen des Potts, so hoch wie die Arbeitslosigkeit. Zehn Jahre versuchte Reker, aus wenig möglichst viel zu machen. Das gelang ihr so gut, dass die Grünen sie 2010 nach Köln holten, wo sie auch für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständig ist.

Viele Flüchtlinge, wenig Platz: Die Probleme hier waren nicht anders als anderswo. Reker mietete Hotels an und kaufte das Bonotel gleich ganz, was sie bundesweit in die Schlagzeilen brachte: Im Bonotel war Christoph Daum zu seinen Koks-Zeiten gern zu Besuch gewesen, nun sollen Flüchtlinge dort einziehen. "Vier Sterne für Asylanten", titelte der Boulevard.

Die Umfragen sahen Reker bei 51 Prozent

Im Juli ließ sich Reker von ihren Aufgaben als Dezernentin beurlauben, um sich ganz auf den Wahlkampf zu konzentrieren. In dem machte eher ihr Gegenkandidat Jochen Ott (SPD) die Flüchtlinge zum großen Thema, sprach von den Sorgen der Bürger und davon, dass die Flüchtlinge von der Stadt vor allem in die armen Stadtteile geschickt würden, nicht in die Villenviertel am Rhein. Reker sah das anders, wich dem Thema im Wahlkampf aber eher aus.

Den Parteienfilz zu durchbrechen, das war ihr großes Ding. Obwohl sie ja von fast allen Parteien außer der SPD unterstützt wird, von CDU, Grünen, FDP und der Kölner Partei "Deine Freunde". In den Umfragen lag Reker zuletzt bei 51 Prozent. So, wie die Stimmung ist, werden nun viel mehr Leute zur Wahl gehen in Köln an diesem Sonntag. Sie werden ein Zeichen setzen für die Demokratie und für Reker. Und dann werden die Bürger auf ein paar Worte der Kandidatin warten, von der man derzeit nicht wirklich weiß, wie es ihr geht. Und ob sie ihren Traum überhaupt noch leben will, der nun auch ein Albtraum ist.

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