Süddeutsche Zeitung

NSU-Untersuchungsausschuss:Wie Bouffier die Ermittler bremste

Die Polizei wollte mit V-Leuten reden, Volker Bouffier war dagegen. Warum? Das muss der heutige Ministerpräsident und damalige Innenminister von Hessen dem NSU-Untersuchungsausschuss erklären - als erster amtierender Spitzenpolitiker überhaupt. Dabei dürfte auch sein Umgang mit Opfern der Rechtsterroristen eine Rolle spielen.

Tanjev Schultz

Als Halit Yozgat im April 2006 in einem Internetcafé in Kassel erschossen wurde, hat der CDU-Politiker Volker Bouffier (CDU) nicht ahnen können, wie lange ihn dieser Mordfall noch beschäftigen wird. Bouffier war damals hessischer Innenminister, mittlerweile ist er Ministerpräsident - und an diesem Freitag der erste noch im Amt stehende Spitzenpolitiker, der als Zeuge im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags Rede und Antwort stehen muss.

Der Fall war für Bouffier allerdings schon damals heikel. Als Minister musste er in einem Streit zwischen Polizei und Verfassungsschutz Stellung beziehen. Denn ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes - Andreas T. - wurde eine Zeitlang als Tatverdächtiger geführt, und die Polizei hätte nur zu gerne auch dessen geheime Informanten, sprich V-Leute, als Zeugen befragt. Doch das wollte der Geheimdienst partout verhindern. Und schaffte es auch: Bouffier schlug sich auf seine Seite.

Diese Parteinahme für den Verfassungsschutz wird ihm heute viele kritische Fragen im Ausschuss bescheren. Es gab damals noch einen anderen brisanten Moment. Bouffier bekam im August 2006 Post von den Eltern des Mordopfers. Ein paar Monate nach der Tat schrieben sie einen persönlichen Brief an den Minister. Es war ein höflicher Brief, getragen von großer Trauer und dem innigen Wunsch, dass die Mörder endlich gefasst werden. Die Eheleute Yozgat baten Bouffier darin auch um ein persönliches Gespräch.

Das jedoch verweigert der Minister. In seiner Antwort, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, verwies Bouffier darauf, dass es sich um "ein laufendes Ermittlungsverfahren" handle, das im besonderen Blick der Öffentlichkeit stehe: "Mein Amt gebietet mir in diesem Stadium eine Zurückhaltung, die ich durch ein persönliches Treffen mit Ihnen aufgeben würde."

Mindestens aus heutiger Sicht hört sich das schroff und unsensibel an. Die Familie Yozgat war ja, wie man heute weiß, Opfer des Neonazi-Terrors der Gruppe "Nationalsozialitischer Untergrund" (NSU) geworden. Der Mord in Kassel war bereits die neunte brutale Exekution in der bundesweiten Serie der "Ceska-Morde", die alle mit einer Pistole des Typs Ceska 83 begangen wurden. Die Serie schreiben Ermittler bekanntlicherweise mittlerweile dem NSU zu.

Damals jedoch hatte die Polizei die Idee, die Mörder könnten Türken gewesen sein oder mit angeblichen krummen Geschäften der Opfer in Verbindung gestanden haben. Zwar galt bei dem Mord in Kassel zunächst der Verfassungsschützer Andreas T., der sich um die Tatzeit herum in dem Internetcafé aufgehalten hatte, als Hauptverdächtiger. Die Polizei recherchierte aber auch intensiv im Umfeld der Familie Yozgat. Sie setzte sogar verdeckte Ermittler auf sie an, als der Vater den Laden loswerden wollte.

Bei rassistischen Anschlägen ist es guter Brauch, dass Spitzenpolitiker die Angehörigen der Opfer persönlich treffen und ihnen ihr Beileid ausdrücken. Doch im Falle der Familie Yozgat traf der Wunsch der Eltern im Ministerium auf Misstrauen. In einem Vermerk für Bouffier schrieb damals ein Mitarbeiter: Die Polizei habe guten Kontakt zu der Familie, "hier kann versucht werden, die tatsächlichen Beweggründe zu dem Schreiben und die wahren Intentionen der Eheleute Yozgat diskret zu erheben". Wieder mal wollte man nicht glauben, dass da eine türkische Familie nichts anderes im Sinn hatte, als ihre Trauer auszudrücken und die Mörder zu finden. Wieder einmal verlegte man sich aufs Ausspähen der vermeintlich verdächtigen Migranten.

In seinem Antwortbrief an die Eheleute Yozgat versicherte Bouffier, "dass die hessische Polizei alles in ihrer Macht Stehende unternimmt, um die Tat aufzuklären". Was der Minister nicht sagte: Die Polizei hätte gerne viel mehr getan, als Bouffier erlaubte. Nur drei Wochen nach seinem ausweichenden Brief an die Familie Yozgat verweigerte er eine Aussagegenehmigung für die V-Leute des Verfassungsschutzes. Die Polizei wollte die Informanten von Andreas T. befragen, der zu der Zeit noch Tatverdächtiger war.

Am Ende hat sich der Verdacht gegen T. zwar nicht bestätigt, doch damals hielten die Kommissare eine Vernehmung der von T. geführten V-Leute noch für sinnvoll. Bouffier entschied indes "nach Abwägung aller Umstände", wie er der Staatsanwaltschaft im Oktober 2006 mitteilte, dass die erbetenen Aussagegenehmigungen "nicht erteilt werden können, ohne dass dem Wohl des Landes Hessen Nachteile bereitet würden".

Bouffier und der Geheimdienst befürchteten, sie könnten wichtige Quellen verlieren, vor allem im Bereich Islamismus, wenn sich die Polizei einmischt. Andreas T. führte mehrere V-Leute aus dem islamistischen Bereich, außerdem einen Informanten aus dem Neonazi-Milieu. Die Opposition in Hessen wirft Bouffier vor, er habe damals den Quellenschutz viel höher bewertet als die Aufklärung einer bundesweiten Mordserie mit neun Toten.

Auch Eva Högl, SPD-Obfrau im Untersuchungsausschuss des Bundestags, spricht von einem "schweren Fehler" Bouffiers. Dieser müsse heute dem Ausschuss erklären, warum er einer Befragung der V-Leute durch die Polizei nicht zugestimmt habe. "Dadurch liefen die Ermittlungen viel zu lange in die falsche Richtung", sagt Högl. Immer wieder hatten Vertreter von Polizei und Staatsanwaltschaft Gespräche mit dem Verfassungsschutz geführt, um zu einer Lösung zu finden.

Der Streit band Zeit, kostete Nerven, lenkte ab von möglichen Recherchen, die zu den wahren Hintergründen der Tat hätten führen können. Auf die kamen die Ermittler erst nach dem Auffliegen des NSU Ende 2011. Im Untersuchungsausschuss muss sich Bouffier auch auf scharfe Kritik von Grünen und Linken gefasst machen. Clemens Binninger (CDU), Obmann der Union, wird dem Parteifreund dagegen erwartungsgemäß den Rücken stärken. Binninger spricht von einem "schwierigen Abwägungsprozess", den Bouffier damals habe eingehen müssen: "Seine Entscheidung ist nachvollziehbar."

Binninger fügt allerdings hinzu, man könne da durchaus "fachlich" unterschiedlicher Meinung sein. Und es gehe ihm bei der Aufklärung rund um den NSU nicht um Parteipolitik. Tatsächlich hat Binninger bereits mehrmals bewiesen (etwa in der Affäre um geschredderte Akten), dass er gemeinsam mit der Opposition auch Leute aus dem eigenen Lager unter Druck setzen kann, wenn er das für notwendig hält. Ein Tag ganz ohne parteipolitische Manöver ist heute im Untersuchungsausschuss allerdings kaum zu erwarten. Ein Ministerpräsident kommt nun mal nicht alle Tage vorbei.

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