NSU-Untersuchungsausschuss:Was sich ändern muss

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Die Bilanz des Abschlussberichts: Polizei und Verfassungsschützer haben die Gefahr des Rechtsextremismus völlig falsch eingeschätzt. Nach eineinhalb Jahren Arbeit einigen sich die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses auf 47 Empfehlungen. Ein Überblick.

Von Tanjev Schultz und Ronen Steinke

Die Aufklärung hat gerade erst begonnen, in Baden-Württemberg zumindest, wo der Innenminister erst seit Kurzem nach Verbindungen der Neonazi-Terrorzelle NSU in den Südwesten forschen lässt. Und auch in München, wo der Ausgang des NSU-Prozesses noch völlig offen ist.

"Überall geht die Aufklärung weiter, nur der Bundestag will seine Ermittlungen einstellen", empörte sich Hartfried Wolff deshalb am Donnerstag vor der Hauptstadtpresse, "das kann nicht sein." Wolff ist Obmann der FDP im NSU-Untersuchungsausschuss. Wenn im Herbst ein neuer Bundestag zusammentrete, sollten die Ermittlungen wieder aufgenommen werden, forderte er. Doch die SPD-Obfrau Eva Högl erwiderte: "Dieser Auftrag ist abgearbeitet." In diesem Moment, nach eineinhalb Jahren der gemeinsamen Arbeit, schien er schon zerstoben zu sein, der Konsens, auf den so lang alle stolz waren.

Schlussbericht zum NSU-Terror in Deutschland
:1357 Seiten gegen das historische Desaster

Aufklärung gelungen, Ansehen gerettet? Gemeinsam legen Union, SPD, FDP, Grüne und Linke den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zum NSU-Terror vor. Bundestagspräsident Norbert Lammert hält die Arbeit für "stilbildend". Doch die Anwälte der Opfer sind unzufrieden - und verweisen auf Hitlergruß-Fotos aus Berlin.

Von Michael König, Berlin

Unter den 49 Untersuchungsausschüssen in der Geschichte des Bundestags war dies der erste, der von allen Fraktionen gemeinsam eingesetzt wurde, als Ausdruck nicht eines Vorwurf des einen politischen Lagers gegen das andere, sondern von einträchtigem Entsetzen. "Für parteipolitische Profilierung nicht geeignet", betonte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) deshalb noch einmal, und die Linkspartei-Obfrau Petra Pau fügte hinzu: Alle beteiligten Regierungsstellen hätten versagt, im Bund wie in den Ländern, "egal welche Konstellation dort regierte".

Die FDP sieht wichtige Fragen weiter unbeantwortet. Sie hat dem gemeinsamen Abschlussbericht deshalb ein paar eigenständige Klarstellungen angefügt, auf 80 Seiten. So haben es auch Grüne, Linke und Sozialdemokraten getan. Wäre dies ein Gerichtsurteil, man würde die vier Sondervoten wohl als Anzeichen für ein heftiges Zerwürfnis der Richter werten. Doch hier sind es nur Ergänzungen - zu einem Bündel von 47 politischen Empfehlungen, die durchaus alle mittragen. Zumindest was die politischen Konsequenzen angeht, ist die Schnittmenge der Aufklärer groß. Hier ein Überblick.

Augenmerk auf Rassismus

Bevor die Ermittlung zu einem Gewaltverbrechen zu den Akten gelegt werden kann, soll in Zukunft in jedem Fall überprüft werde, ob ein rassistischer Hintergrund auszuschließen ist. Schon wenn ein rassistisches Motiv denkbar ist, soll die Polizei verpflichtet werden, entsprechende Ansätze in ihrer Arbeit zu dokumentieren. Grundsätzlich sollen dann auch Beamte der Staatsschutzabteilungen, die sich um politische Straftaten kümmern, beteiligt werden.

Fehlerkul tur der Polizei

Die lange Serie aus "Fehlern, Versäumnissen, Fehleinschätzungen" der verschiedenen Sicherheitsbehörden, die es der Neonazi-Zelle ermöglichte, jahrelang unerkannt zu morden, soll nach dem Willen des Untersuchungsausschusses Lehrstoff werden - bei der Ausbildung von Polizisten, als abschreckendes Beispiel. Um einem solchen Versagen in Zukunft vorzubeugen, fordert der Ausschuss eine neue "Fehlerkultur" bei der Polizei. Selbstkritisches Denken sei kein Zeichen von Schwäche, notwendig sei eine professionelle Supervision. Bei komplexen Verfahren soll eine eigene Organisationseinheit gebildet werden, die sich kritisch mit dem Kurs der Ermittlungen auseinandersetzt. Und die Polizei soll eine "Cold Case Unit" einrichten - eine Einheit, die alte, ungeklärte Fälle immer wieder hervorholt und mit neuen Mitteln der Technik überprüft. In ihren Sondervoten fordern SPD, Grüne und Linke, dass eine "unabhängige Beschwerdestelle für polizeiliches Fehlverhalten" eingerichtet wird.

Geld für Anti-Rassismus-Projekte

Gedenkveranstaltung für die NSU-Opfer in Hamburg (Foto: dapd)

Gruppen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, sollen vom Staat stärker unterstützt werden. "Zivilgesellschaftliche Initiativen sind unverzichtbar", heißt es in dem Bericht des Ausschusses. Fördergeld vom Bund floss bisher meist nur zeitlich befristet und vorzugsweise nach Ostdeutschland. Der Ausschuss fordert nun ein "deutlich höheres Fördervolumen" und Planungssicherheit für die Initiativen.

Vernetzung der Behörden

Angesichts dessen, was der CDU-Obmann Clemens Binninger eine "föderal zersplitterte Struktur" der Sicherheitsbehörden nennt, fordert der Ausschuss: mehr Vernetzung, mehr Datenaustausch. Als in der Kölner Keupstraße im Jahr 2004 eine Nagelbombe explodiert war, hatte die Kölner Polizei das Überwachungsvideo mit den beiden mutmaßlichen Bombenlegern lediglich in Schnipseln auf ihre Homepage gestellt. Selbst der Verfassungsschutz konnte die Aufnahmen nur so einsehen. Im Untersuchungsausschuss fiel später der denkwürdige Satz eines Verfassungsschützers: "Wir haben das Video auf der Homepage so oft angesehen, bis die Polizei kam." Warum? Weil die Polizei die Zugriffe auf ihre Homepage überwachte, um herauszufinden, wer sich dafür besonders interessierte - und die Ersten, die ihnen dabei ins Netz gingen, waren die Verfassungsschützer. Bei großen Fällen, die mehrere Bundesländer betreffen, soll es nach dem Willen des Ausschusses deshalb eine "zentrale ermittlungsführende Dienststelle mit klar geregelten Weisungsbefugnissen" geben. Das könne das Bundeskriminalamt sein, je nach Lage des Falles könnte aber auch eine Länderpolizei die Aufgabe übernehmen. Die Computersysteme müssten dabei jederzeit vernetzbar sein.

Machtvollere Bundesanwälte

Der Ausschuss empfiehlt, die Befugnisse des Generalbundesanwalts zu erweitern. Die Behörde in Karlsruhe soll größeren Spielraum bekommen, Fälle an sich zu ziehen, die einen terroristischen Hintergrund haben könnten. Aus Sicht der Abgeordneten hat es die Ermittlungen erschwert, dass es bei der Mordserie an Migranten nicht einmal zu einem sogenannten staatsanwaltlichen Sammelverfahren kam, bei dem die Federführung für alle Fälle in einer Hand gelegen hätte.

Verfassungss chutz unter Kontrolle

Bei Reformen des Verfassungsschutzes liegen die Ansichten der Parteien am weitesten auseinander, als Minimalkonsens setzt sich der Ausschuss für eine stärkere Kontrolle ein. Die Kontrollgremien der Parlamente müssten "schlagkräftiger" werden, heißt es im gemeinsamen Empfehlungsteil des Ausschusses. Die Ausstattung mit Sachmitteln und Personal müsse verbessert werden. Beim Inlandsgeheimdienst sei ein "umfassender Mentalitätswechsel" notwendig: ein "neues Selbstverständnis der Offenheit - und keine ,Schlapphut-Haltung' der Abschottung".

© SZ vom 23.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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