Süddeutsche Zeitung

NSU-Untersuchungsausschuss:Aufklärung? Aufklärung!

Die Ermittler setzten Geisterbeschwörer ein, sie lagerten ihre Akten in der Rumpelkammer - oder schredderten sie gleich: Jedes Detail, das der NSU-Untersuchungsausschuss ans Licht brachte, steigerte das Entsetzen über die Behörden. Gerade weil der Ausschuss vorbildlich vorging, hat er das Vertrauen in den Staat erschüttert.

Ein Kommentar von Tanjev Schultz

Das Vertrauen vieler Bürger in ihre Politiker ist ja nicht unbedingt riesig, auch die Ehrfurcht vor dem Parlamentsbetrieb hält sich in Grenzen. Wer jedoch erlebt hat, wie engagiert und energisch der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags arbeitet, möchte sich vor diesen Abgeordneten glatt verneigen. Der Ausschuss, der an diesem Donnerstag seine letzte öffentliche Sitzung abhielt, hat viele Vorurteile widerlegt - vor allem den Vorwurf, den Politikern seien der Parteienstreit und das Ringen um Macht wichtiger als das Gemeinwohl und ein Ringen in der Sache.

Das beispiellose Versagen der deutschen Sicherheitsbehörden hat die Abgeordneten nicht weniger schockiert als die Bürger. Ungewöhnlich einmütig haben sie die Aufklärung dieses Versagens vorangetrieben. Trotz mancher Differenzen sind sie gegenüber der Exekutive geschlossen aufgetreten, wann immer es darauf ankam. Was die Parlamentarier zu Tage förderten, hat das Entsetzen über Polizei, Justiz und Geheimdienste leider nur noch steigern können. Am Ende blieb keine Behörde übrig, bei der man guten Gewissens sagen konnte, wenigstens sie habe in jeder Hinsicht richtig gehandelt.

Erschüttertes Vertrauen

Wo die Abgeordneten auch hinschauten, stets tat sich ein Abgrund auf. Manchmal blickten sie tief in ein dunkles Loch, manchmal war es nur eine kleine Senke. Ohne den Ausschuss wäre vielleicht nie ans Licht gekommen, dass die Ermittler in ihrer Naivität sogar einen Geisterbeschwörer einsetzten. Oder dass der Verfassungsschutz in Berlin seine Akten in einer Rumpelkammer aufbewahrte. Dass ein Beamter des Bundesamts in Köln direkt nach Auffliegen des NSU wichtige Dokumente in den Schredder schickte. Dass die Behörden brisante Hinweise für sich behielten, statt sie mit den Fahndern zu teilen, die das Neonazi-Trio suchten.

Es wirkt paradox: Gerade weil der Ausschuss vorbildlich vorging, hat er das Vertrauen in den Staat weiter erschüttert. Dass die Abgeordneten mit großem Ernst und Eifer recherchierten, ist ein gewisser Trost, vielleicht sogar für die Angehörigen der Opfer, die jahrelang falschen Verdächtigungen ausgesetzt waren. Doch die wenigsten Verantwortlichen, die vor dem Ausschuss aussagten, zeigten sich wirklich reumütig. Die Beamten wiesen sich wechselseitig die Schuld zu; ehemalige Minister führten lang und breit aus, was sie Tolles geleistet hätten.

Die traurige Wahrheit ist: Zehn Menschen starben, viele wurden verletzt, und der Staat konnte sie nicht schützen. Er hat die Gefahr durch Neonazis nicht ernst genug genommen und sich Sicherheitsstrukturen geleistet, die es den Tätern leicht machten, unentdeckt zu bleiben. Der Ausschuss hat allerdings keine Belege für den Verdacht gefunden, staatliche Stellen könnten das Treiben der Mörder gedeckt oder sogar gefördert haben.

Letzte Gewissheiten hat der Ausschuss nicht erlangen können, manches blieb im Dunkeln. So ist das Motiv für die Aktenschredderei bis heute unklar. Verschwörungstheorien werden weiter blühen, das ließ sich zuletzt auch im Gerichtssaal beobachten. Dort versuchten die Verteidiger des mutmaßlichen NSU-Helfers Ralf Wohlleben, die Verbrechen als das Werk der Geheimdienste darzustellen. Wer also leichtsinnig unbelegte Spekulationen verbreitet, spielt damit den Rechtsextremisten und ihren Ausflüchten in die Hände.

Veränderungen müssen jetzt beginnen

Der Ausschuss des Bundestags muss noch seinen Abschlussbericht erstellen, in Bayern, Sachsen und Thüringen laufen derweil die Untersuchungsausschüsse der Länder weiter. Dazu kommt die Gerichtsverhandlung, die neue Erkenntnisse bringen kann. Über das Versagen des Staates weiß man aber schon jetzt genug, um endlich Lehren daraus zu ziehen. Von einem echten Umbau der Sicherheitsbehörden ist bisher noch nichts zu sehen; das föderale Gewusel geht munter weiter. Sind wirklich noch 17 verschiedene Verfassungsschutzämter sinnvoll?

Viele Veränderungen werden erst langfristig wirken, eingeleitet werden müssten sie aber jetzt. Das betrifft beispielsweise die Ausbildung der Ermittler. Sie brauchen mehr Wissen und Sensibilität, um auf rassistische Verbrechen richtig reagieren zu können. Rasch sollte zudem entschieden werden, wie man das riskante V-Mann-Wesen reformieren will. Grüne und Linke werden sich mit ihren Forderungen nach einem völligen Verzicht auf die Spitzel nicht durchsetzen können. Dann aber müssen sich die anderen Parteien auf eine deutlich bessere Kontrolle verständigen. Richter und Parlamentsgremien sollten an der Entscheidung über V-Mann-Einsätze beteiligt werden.

Kann man heute schon sicher sein, dass nicht morgen die gleichen Fehler gemacht werden wie beim NSU? Wirklich sicher ist das leider nicht.

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Quelle:
SZ vom 17.05.2013/jasch
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