Süddeutsche Zeitung

Jahrestag der Entdeckung der NSU-Terrorzelle:Türkische Gemeinde kritisiert Aufklärungsarbeit

Vor einem Jahr wurde die Taten der Terrorgruppe NSU aufgedeckt, acht türkischstämmige Kleinunternehmer wurden mutmaßlich von den Rechtsextremisten ermordet. Bei einer Gedenkfeier erinnerte die türkische Gemeinde an eines der Opfer und forderte bessere Aufklärung und härtere Konsequenzen für alle Verantwortlichen.

Bei einer Gedenkfeier für das Hamburger Mordopfer der rechtsextremen Terrorgruppe NSU hat die türkische Gemeinde die Aufarbeitung der Behörden kritisiert. "Alles läuft schleppend, teilweise verbunden mit Verhinderung", sagte der Vorsitzende Hüseyin Yilmaz am Freitag. Eine Anwältin der Hamburger Opferfamilie, Gül Pinar, erklärte: "Wir haben kein Vertrauen in die Aufklärungsarbeit."

Am Tatort im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld legten Vertreter der türkischen und jüdischen Gemeinde, des Vereins Unternehmer ohne Grenzen und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Blumen neben ein Foto des Gemüsehändlers Süleyman Tasköprü. Der türkischstämmige Tasköprü war am 27. Juni 2001 ermordet worden. Die Hintergründe der NSU-Taten müssten lückenlos aufgeklärt und Konsequenzen gezogen werden, forderte Yilmaz. Anlass der Veranstaltung unter dem Motto "Vernichtet und vergessen?" war der Jahrestag der Aufdeckung der NSU-Terrorzelle.

Leutheusser-Schnarrenberger zu Gesprächen in Istanbul

Auch ein Jahr nach der Aufdeckung der rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle sieht Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger noch viel Aufklärungsbedarf. Einiges sei bereits passiert, die Aufarbeitung sei aber noch längst nicht abgeschlossen, sagte die FDP-Politikerin bei einem Besuch in Istanbul. Bei ihren Gesprächen in der Türkei sei klar geworden, dass auch die Menschen dort noch einiges von Deutschland erwarteten. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag will dazu in der Türkei Gespräche führen.

In der Türkei herrsche Sorge über das Ausmaß des Rechtsextremismus in Deutschland, sagte die FDP-Politikerin. Die Türkei erkenne an, dass sich die Bundesregierung um Aufarbeitung bemühe. "Man erwartet aber noch mehr von uns." Bei ihrem viertägigen Besuch in der Türkei hatte die Ressortchefin zahlreiche politische Gespräche geführt, unter anderem mit ihrem Amtskollegen Sadullah Ergin.

Hans-Peter Uhl, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, erklärte zum Jahrestag der Aufdeckung der NSU-Terrorgruppe in einer Pressemitteilung: "Die Aufklärung der menschenverachtenden Taten dauert immer noch an. Bereits jetzt sind allerdings Mängel in der Arbeit der Sicherheitsbehörden und in ihrer Zusammenarbeit deutlich geworden. Diese müssen nun in den verschiedenen Untersuchungsausschüssen und der Bund-Länder-Kommission detailliert aufgearbeitet werden. Wir sollten uns aber davor hüten, die Arbeit des Verfassungsschutzes auf verantwortungslose Weise zu skandalisieren." Ein Verzicht auf die Arbeit von V-Leuten oder gar des Verfassungsschutzes, wie sie manche fordern, sei abwegig, so der Politiker.

Deutsche Polizeigewerkschaft kritisiert Edathy

Auch der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), will in wenigen Tagen in die Türkei reisen. Für Februar oder März sei zudem eine Reise von mehreren Mitgliedern des Ausschusses angedacht, der seit Jahresbeginn die NSU-Verbrechen und die Ermittlungspannen bei der Aufklärung aufarbeitet.

Edathy hatte am Donnerstag "Struktur- und Mentalitätsprobleme" beklagt und kritisiert, dass in großen Teilen der Sicherheitsbehörden immer wieder hartnäckig geleugnet worden sei, dass es in Deutschland Rechtsterrorismus geben könne. Notwendig sei etwa die Einstellung von besser qualifizierten und sensibleren Mitarbeitern, die nicht "in solchen Stereotypen denken".

Kritik an Edathy kam von der Deutschen Polizeigewerkschaft. "Diese Rassismuskeule gegen die Polizei ist unerträglich", sagte der Bundesvorsitzende Rainer Wendt der rechtskonservativen Wochenzeitung Junge Freiheit. Ein Jahr nach dem Bekanntwerden der Zwickauer Terrorzelle gehe es für die Polizei und andere Sicherheitsbehörden darum, verlorenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen. "Dabei brauchen wir die Unterstützung der Politik und keine unqualifizierten Beschimpfungen einiger Politiker."

Der NSU werden neun Morde zwischen 2000 und 2007 an Einwanderern aus der Türkei und Griechenland und an einer deutschen Polizistin zur Last gelegt. Untersuchungsausschüsse brachte in den vergangenen Monaten viele Pannen bei den Ermittlungen ans Licht. Knapp 14 Jahre lang konnte sich die "Zwickauer Zelle" der mutmaßlichen Neonazi-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Untergrund halten.

Im Sommer war bekanntgeworden, dass Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz noch nach dem Auffliegen der Terrorzelle Akten vernichtet hatten. Der Geschäftsführer des Vereins Unternehmer ohne Grenzen, Kazim Abaci, erklärte dazu in Hamburg: "Wir fordern rechtliche Konsequenzen gegen all diejenigen, die die Vernichtung von relevanten Akten veranlasst und durchgeführt haben." Der Hamburger DGB-Vorsitzende Uwe Grund sagte: "Die Opfer der Terrorzelle müssen rehabilitiert werden." Zu Unrecht hätten die Ermittler manche Ermorderte und ihre Angehörigen in die Nähe der Kriminialität gestellt.

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