Die Sätze hallten durch den Raum und führten zu nachhaltigem Erstaunen: Da stand vergangene Woche die Anwältin Angela Wierig im NSU-Prozess, die die Schwester des Hamburger Mordopfers Süleyman Taşköprü vertritt, und hielt ihr Abschlussplädoyer. Was sie sagte, unterschied sich fundamental von den Schlussvorträgen der anderen Mitglieder der Familie Taşköprü. Die Anwältin sagte, einem der Angeklagten sei die Schuld an der Beihilfe zu neun Morden nicht nachweisbar. Sie sah auch keinerlei institutionellen Rassismus bei den Behörden, die gegen die Familie ermittelten, und sie gab auch gleich noch eine Ehrenerklärung für die Hamburger Polizei ab. Die habe der Vorwurf des Rassismus "unendlich schwer" getroffen.
Die anderen Anwälte der Familie schüttelten den Kopf, man sah sich ungläubig an. Neben Rechtsanwältin Wierig saß ihre Mandantin Ayşen Taşköprü und wusste nicht, wie ihr geschah. Sie hätte am liebsten schreien wollen, sich aber nicht getraut, sagt ihre neue Anwältin Gül Pinar.
Familie: "Wir sind und waren nie gespalten"
Denn die alte Anwältin will Ayşen Taşköprü nicht mehr haben - sie fühlt sich von ihr hintergangen und getäuscht. "Vielen Dank, dass ich als Showbühne benutzt wurde für Ihre eigenen Interessen", richtet sie sich nun an Wierig. Die Anwältin habe im Plädoyer vergessen, zwischen ihrer eigenen Meinung und der der Mandantin zu unterscheiden. Der Familie macht es vor allem zu schaffen, dass im Erstaunen über Wierigs Äußerungen die Worte der Familie zum toten Bruder untergingen - vorgebracht vom Anwalt des Vaters. Und dass die Familie nun gespalten dasteht. "Wir sind und waren nie gespalten", sagt Ayşen Taşköprü. "Am schlimmsten war für uns, dass die Hamburger Polizei im Plädoyer entlastet wurde", sagt Taşköprü. Dabei habe die Familie unter den Ermittlungen besonders gelitten. Das Verhalten sei belastend und erschreckend gewesen. Wie bei den anderen NSU-Mordopfern wurde zunächst in der Familie nach Verdächtigen gesucht.
Die Schwester des Getöteten hat nun den Antrag bei Gericht gestellt, ihre bisherige Anwältin von dem Mandat zu entbinden und dafür die Hamburger Anwältin Gül Pinar zu ihrer Vertretung zu bestellen. Denn das Vertrauensverhältnis sei tief gestört. Anwältin Wierig habe sich verhalten, als wenn sie nicht ihre Anwältin sei, sondern die Anwältin des Angeklagten Ralf Wohlleben, dem Beihilfe zum Mord in neun Fällen vorgeworfen wird. "Sie hat letztendlich gesagt, er sei unschuldig", schrieb Ayşen Taşköprü in einem Brief an das Gericht. "Das wollte ich nicht."
Nun muss das Oberlandesgericht München entscheiden, ob es der bisherigen Anwältin Wierig das Mandat entzieht und die neue Anwältin verpflichtet. Sollte es sich gegen einen Wechsel entscheiden, will Ayşen Taşköprü ganz darauf verzichten, als Nebenklägerin aufzutreten. "Lieber geht sie aus der Nebenklage raus, als Frau Wierig als Vertreterin zu haben", sagt die neue Anwältin Pinar.