NSU-Prozess:Zschäpes Verteidiger: "Wir sind etwas irritiert"

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Beate Zschäpe soll eine Synagoge in Berlin ausspioniert haben, meinen Opferanwälte. (Foto: picture alliance / dpa)
  • Ein Wachmann will Beate Zschäpe im Mai 2000 vor einer Berliner Synagoge beobachtet haben.
  • Opferanwälte sagen, dass die mutmaßliche NSU-Terroristin das jüdische Gotteshaus als mögliches Anschlagziel ausgespäht habe.
  • Beate Zschäpes Verteidiger sind alarmiert durch ein ungewöhnliches Vorgehen des Gerichts.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Beate Zschäpes Verteidiger sind beunruhigt. Immer wieder stecken Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm am Mittwoch im Saal A101 des Oberlandesgerichts München die Köpfe zusammen. Sie suchen nach einer Möglichkeit, um zu verhindern, dass Richter Manfred Götzl Auszüge aus dem Protokoll einer Vernehmung eines früheren Wachmanns einer Berliner Synagoge vorliest.

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Vieles ist ungewöhnlich am Münchner Neonazi-Prozess, doch der Antrag eies Verteidigers am 323. Verhandlungstag war dann doch überraschend: Ein Sachverständiger soll die Rolle von Hitler-Stellvertreter Heß als Friedenskämpfer belegen.

Von Wiebke Ramm

Die Anwälte sind alarmiert, weil Götzl nach einem Paragrafen aus der Strafprozessordnung - § 253, Absatz 1 - vorgeht, den er im NSU-Prozess nie zuvor angewendet hat. Die Beobachtung des Wachmanns ist für den Senat offenbar von großer Bedeutung. Für Zschäpe wäre dies kein gutes Zeichen. Die Aussage des Wachmanns könnte ein wichtiges Puzzlestück sein, um die Hauptangeklagte im NSU-Prozess wegen Mittäterschaft an sämtlichen Verbrechen des NSU zu verurteilen. Denn möglicherweise hat der Wachmann Zschäpe beim Ausspähen der Synagoge als potenzielles Anschlagziel erwischt.

Es geht um eine Beobachtung von Wachmann Frank G. am 7. Mai 2000. Frank G. hatte damals Dienst an der Synagoge in der Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg. Er sollte das jüdische Gotteshaus, das größte in Deutschland, bewachen. Ihm fiel eine Frau mit schwarzem Haar und Blümchenkleid auf. Sie saß mit einer weiteren Frau und zwei Männern an einem Tisch vor einem Restaurant. Die schwarzhaarige Frau gefiel dem Wachmann, weswegen er sie ganz besonders im Auge hatte. Er sah die Personen mit einem Stadtplan hantieren. Später sah er die Frau und einen der Männer erneut im Bereich der Synagoge. Die beiden liefen an seinem Streifenwagen vorbei.

Im Fernsehen erkennt der Wachmann Zschäpe wieder

Abends nach Dienstschluss schaltete Frank G. in seiner Wohnung den Fernseher an. Im MDR lief die Sendung Kripo Live. Darin wurde nach drei Neonazis aus Thüringen gefahndet. Frank G. sah Fotos von Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt und erkannte Zschäpe sofort als die Frau wieder, die er wenige Stunden zuvor vor der Synagoge gesehen hatte.

G. rief beim Landeskriminalamt (LKA) Thüringen an. Er wurde zur Aussage zum LKA Berlin geschickt. Dort schilderte er am nächsten Tag seine Beobachtungen. Der Beamte zeigte ihm Fotos. Frank G. erkannte erneut Zschäpe wieder. Auch Mundlos kam ihm bekannt vor.

Wachmann Frank G. hat im NSU-Prozess bereits als Zeuge ausgesagt. Auch der Polizist, der Frank G. damals vernommen hat, ist vom Gericht schon befragt worden und erinnerte sich vor allem daran, dass G. sehr sicher in seinen Angaben gewesen sei. Wiederholt hat Richter Götzl dabei auch Passagen aus dem Vernehmungsprotokoll vorgelesen. An diesem Mittwoch nun lässt er den Wachmann ein weiteres Mal im Zeugenstand Platz nehmen, um ihm erneut Auszüge seiner damaligen Aussage vorzulesen.

Die Verteidiger von Zschäpe sind irritiert

Frank G. selbst ist an diesem Verhandlungstag nicht viel mehr als ein Statist. An einem früheren Verhandlungstag hatte er sich nur noch grob an seine Beobachtung von vor 16 Jahren erinnern können. Doch er bestätigte, dass er die Sätze sicherlich so gesagt habe, wie sie im Protokoll stehen. So ist es an diesem Tag erneut. Der Richter liest aus dem Protokoll vor und G. nickt die Sätze ab. Ungewöhnlich ist, dass Götzl diese Prozedur überhaupt noch einmal für nötig hält.

Es ist kein gutes Zeichen für Beate Zschäpe. Sie selbst scheint es nicht zu merken. Auch ihr Verteidiger Mathias Grasel wirkt arglos. Groß ist hingegen das Unbehagen bei Zschäpes weiteren Verteidigern Heer, Stahl und Sturm. "Wir sind etwas irritiert", sagt Stahl zum Richter: "Es ist nach unserer Wahrnehmung das erste Mal in diesem Verfahren, dass Sie nach § 253, Absatz 1 etwas verlesen." Doch die Verteidiger finden kein juristisches Mittel, die Vorlesestunde zu unterbinden. "Es ist ja nicht verboten, was Sie machen, aber es irritiert uns", sagt Stahl. Götzl kann er damit nicht beeindrucken. Der Richter macht einfach weiter.

Das Gericht möchte die Aussagen des Wachmanns womöglich im Urteil nutzen

Opferanwalt Yavuz Narin hatte das Gericht durch einen Beweisantrag auf den Wachmann aufmerksam gemacht. Er wertet die Beobachtungen von Frank G. als Beleg dafür, dass Zschäpe an der Ausspähung von möglichen Anschlagszielen beteiligt war. Zschäpe habe sich von Anfang an für die mörderischen Ziele des NSU eingesetzt, meint Narin. An diesem Mittwoch wirkt es so, als sei der Senat möglicherweise ähnlicher Ansicht. Das Gericht nutzt auffallend viele juristische Wege, um die Angaben des Wachmanns womöglich in einem Urteil gegen Zschäpe verwenden zu können.

Vier Monate nach der Beobachtung des Wachmanns ermordeten die mutmaßlichen NSU-Terroristen in Nürnberg Enver Simsek. Es ist der erste Mord des NSU. Laut Anklage verübten die Neonazis insgesamt zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle. Zschäpe ist wegen sämtlicher Verbrechen als Mittäterin angeklagt. Sie selbst bestreitet, an den Taten beteiligt gewesen zu sein. Sie habe weder einen Mord oder einen Anschlag geplant noch habe sie diese Verbrechen begangen, behauptet sie.

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