NSU-Prozess:Zschäpes Gutachter wirft Medien Teilnahme an "Hexenverbrennung" vor

NSU-Prozess: Joachim Bauer

Der Freiburger Psychiater Joachim Bauer im Gerichtssaal in München.

(Foto: dpa)
  • In einer E-Mail hat sich der Psychiater Joachim Bauer gegen Kritik an seinem Gutachten über Beate Zschäpe gewehrt.
  • Ausgewählten Medien, darunter die Süddeutsche Zeitung, warf er vor, Teil einer "Hexenverbrennung" zu sein.
  • Die Nebenklage wirft Bauer Befangenheit vor.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger und Wiebke Ramm

Beate Zschäpe schüttelt den Kopf. Offenkundig ist auch sie von der Mail ihres Psychiaters Joachim Bauer überrascht. Opferanwältin Doris Dierbach verliest sie am Mittwoch im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München.

"Haben Sie Interesse an einem exklusiven Beitrag für die Welt über Beate Zschäpe und die derzeitige Situation im Münchner NSU-Prozess?", schreibt Bauer darin einem Journalisten der Welt. Die Mail soll er vier Tage nach seinem letzten Auftritt vor Gericht gesendet haben. Sein Gutachten über Zschäpe hat der Psychiater gleich mitgeschickt. Ein bemerkenswerter Vorgang, der Bauer nun einen Befangenheitsantrag durch die Anwälte der Familie von Halit Yozgat, dem neunten Mordopfers des NSU, eingebracht hat.

In seiner Mail an die Welt nennt Bauer sein Gutachten "ein Stück Literatur darüber, wie man in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung Rechtsextremisten heranwachsen ließ". Vor allem wehrt er sich gegen die Berichterstattung über seinen Auftritt vor Gericht. Es hagelte massiv Kritik an Bauers Handwerk.

Der Süddeutschen Zeitung und dem Spiegel wirft Bauer in seiner Mail vor, sich an einer "Hexenverbrennung" zu beteiligen. Die Hexe ist in Bauers Bild Zschäpe. Er schreibt: "Ich habe im Auftrag der Verteidiger über die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ein Gutachten erstellt, das einigen nicht passt, weil es aufdeckt, dass die Angeklagte jahrelang körperlicher Gewalt ausgesetzt war und eine schwere psychische Störung hat." Ein paar Sätze weiter schreibt er: "Das Stereotyp, dass Frau Zschäpe das nackte Böse in einem weiblichen Körper ist, darf nicht beschädigt werden. Eine Hexenverbrennung soll ja schließlich Spaß machen. Daher wird jeder, der das Stereotyp infrage stellt, von Süddeutscher Zeitung und Spiegel angegriffen und weggeschossen."

Im Namen der Familie Yozgat stellt Anwältin Dierbach am Mittwoch nun einen Ablehnungsantrag gegen Bauer, der "offensichtlich", wie sie vorträgt, befangen sei. "Der abgelehnte Sachverständige diffamiert in seiner Mail alle Prozessbeteiligten, die sein Gutachten kritisch hinterfragt haben", liest sie vor. Dierbach führt unter anderem an, dass Bauer sich in der Hauptverhandlung sogar dazu hinreißen lassen habe, "dass die Angeklagte Zschäpe an den Morden unschuldig sei", womit er "die Grenzen seines Auftrages nicht nur weit überschritten, sondern geradezu verletzt" habe, so Dierbach.

Bauer sehe sich "offenkundig als Retter der Angeklagten Zschäpe vor einer öffentlichen Hexenverbrennung", heißt es in dem Antrag weiter. Damit verkenne er "nicht nur die Funktion des Strafprozesses, sondern auch seine eigene Rolle als Gehilfe des Gerichts". Stattdessen betrachte sich Bauer laut Dierbach "als eine Art Beschützer der Angeklagten". Die Opferanwältin wirft ihm vor, "offenkundig jede professionelle Distanz verloren" zu haben. Sie nennt den "geschmacklosen Vergleich" des Gerichtsverfahrens" mit einer Hexenverbrennung eine "unfassbare Entgleisung".

Bauer hat im Auftrag der Verteidiger Hermann Borchert und Mathias Grasel bei Zschäpe eine schwere sogenannte dependente Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Aufgrund dieser Störung sei die mutmaßliche NSU-Terroristin im Zeitraum der zehn Morde, zwei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle nur eingeschränkt schuldfähig gewesen. Bauer ist kein forensischer Psychiater und kennt nach eigenen Angaben die Mindestanforderungen an ein Gutachten zur Schuldfähigkeit nicht. Aber er hat rund 16 Stunden lang mit Zschäpe gesprochen.

Einige Teile des Gutachtens sind durchaus beachtenswert

Mit seiner Mail hat Bauer seine Arbeit nun selbst desavouiert. Seine Ausführungen zu Zschäpes Kindheit und deren möglichen Folgen für ihre psychische Entwicklung sind durchaus beachtenswert. Dass sich bei Zschäpe eine Persönlichkeitsstörung entwickelt habe, führt er insbesondere auf die widrigen Bedingungen ihres Aufwachsens zurück: von der Mutter allein gelassen, zwischen mehreren Betreuungspersonen hin und her gereicht. Auch Zschäpes Angaben über jahrelange Misshandlungen durch Uwe Böhnhardt hätte es ohne Bauer nicht gegeben.

Nun muss der Senat über den Ablehnungsantrag entscheiden. Die meisten Prozessbeteiligten rechnen damit, dass er Erfolg haben wird. Damit wäre Bauers psychiatrische Überlegungen zu Zschäpe vom Tisch und der vom Gericht bestellte Psychiater Henning Saß könnte dennoch ihre Aussage gegenüber Bauer für sein eigenes Gutachten verwenden. Saß, ein Experte der forensischen Psychiatrie, hält Zschäpe für psychisch gesund, voll schuldfähig und gefährlich.

Auch der Auftritt von Beate Zschäpes Mutter, der mit Spannung erwartet worden war, half ihrer Verteidigung an diesem Tag nicht wirklich weiter. Annerose Zschäpe, 64, die heute als Altenpflegehelferin arbeitet, musste am Mittwoch noch mal ins Gericht kommen, weil sie zu Beginn des Prozesses erklärt hatte, sie werde nicht aussagen - ein Recht, das ihr als Mutter gesetzlich zusteht. Und sie hatte erklärt, auch ihre Vernehmung durch die Polizei aus dem Herbst 2011 dürfe nicht verwendet werden. Dann aber erlaubte sie Psychiater Bauer und auch dem Gericht doch, auf ihre Aussage zurückzugreifen. So hatte es Zschäpes Verteidiger Grasel erklärt. Der Richter wollte nun persönlich von ihr hören, dass dies so ist.

Annerose Zschäpe kam, nahm Platz und sagte ja. Und das ist nicht unbedingt hilfreich für ihre Tochter. Denn in ihrer Aussage bei der Polizei hatte die Mutter ihre Tochter als ausgesprochen selbstbewusst bezeichnet - gar nicht so wie Psychiater Bauer, der bei Beate Zschäpe eine unterwürfige und abhängige Wesensart meinte festzustellen. Mutter Zschäpe hatte im Polizeiverhör über ihre Tochter stattdessen Sätze wie diese gesagt: "Sie zeigte sich selbstbewusst. Ich würde nicht sagen, dass sie leicht beeinflussbar war. Wenn sie von etwas überzeugt war, dann vertrat sie die Sache konsequent."

Ein Beispiel war ihr noch in Erinnerung. So habe die kleine Beate in einer Fechtgruppe Fechten gelernt, sollte aber nach längerer Krankheit in eine andere wechseln. Das hatte sie abgelehnt und auch durchgesetzt. Diese Aussagen der Mutter passen sehr viel mehr zum Gutachten des Gerichtspsychiaters Saß, der Zschäpe als dominant und selbstbestimmt beschrieben hatte.

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