NSU-Prozess:Zschäpe-Anwalt: "Im Saal habe ich solche Emotionen auszublenden"

NSU Prozess

Wolfgang Heer, Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Vor fünf Jahren hat die Welt von der Existenz des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) erfahren.
  • Die SZ hat mit zentralen Akteuren des NSU-Prozesses gesprochen.
  • Hier kommen zu Wort: Wolfgang Heer, Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe; Edith Lunnebach, Anwältin von Opfern des Bombenanschlags in der Kölner Probsteigasse; Alexander Kienzle, Anwalt der Familie des ermordeten Halit Yozgat; Peer Stolle, Anwalt der Familie des ermordeten Mehmet Kubaşık.

Interviews von Annette Ramelsberger und Wiebke Ramm

An diesem Freitag ist es fünf Jahre her, dass sich die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt das Leben nahmen und die Welt kurz darauf von der Existenz des NSU erfuhr. Seit dreieinhalb Jahren läuft der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte vor dem Oberlandesgericht München. Die Süddeutsche Zeitung hat Verteidiger und Nebenklagevertreter gefragt, wie sie den aktuellen Stand der Aufklärung beurteilen. Welche Fragen gilt es noch zu klären? Welchen Verhandlungstag haben sie als besonders schlimm erlebt, welchen in besonders positiver Erinnerung? Entstanden sind persönliche Rück- und Ausblicke von Akteuren im derzeit wichtigsten Prozess der Republik.

Wolfgang Heer, Anwalt aus Köln, verteidigt Beate Zschäpe im NSU-Prozess. Er habe Verständnis für das Aufklärungsbedürfnis der Opfer und ihrer Anwälte, sagt der Verteidiger im Interview. Auch ihn berühre das Leid der Familien. Ein Strafprozess sei jedoch kein Untersuchungsausschuss, sondern habe sich auf die Aufklärung der Anklagevorwürfe zu beschränken.

SZ: Vor fünf Jahren hat die Welt von der Existenz des NSU erfahren. Seit dreieinhalb Jahren läuft der Prozess vor dem OLG München. Welche Frage muss noch dringend geklärt werden?

Heer: Ich sehe meine Aufgabe als Verteidiger darin, die verfahrensmäßigen Rechte meiner Mandantin sicherzustellen und ihr in Ausschöpfung der strafprozessualen Möglichkeiten aktiv beizustehen, wobei ich einseitiger Interessenvertreter bin. Welche Sachaufklärung noch geboten sein mag, hat allein das Gericht zu beurteilen. Zu etwaigen offenen Thematiken kann ich mich öffentlich nicht äußern. Bei allem Verständnis für die Fragen verschiedener Verfahrensbeteiligter: Dieser Prozess ist kein weiterer Untersuchungsausschuss, sondern hat sich auf die Aufklärung der angeklagten prozessualen Taten und auf die beschuldigten Personen zu beschränken.

Welcher Verhandlungstag ist Ihnen als besonders schlimm in Erinnerung?

Natürlich lässt es auch einen erfahrenen Strafverteidiger nicht kalt, wenn Angehörige ihrem Schmerz Ausdruck verleihen und Fotos der Tatopfer an die Wand projiziert werden. Davon gab es viele Momente, die in Erinnerung bleiben. Im Saal habe ich solche Emotionen aber möglichst auszublenden.

Welcher Prozesstag ist Ihnen in besonders positiver Erinnerung?

In einem Verfahren mit derart zahlreichen und massiven Tatvorwürfen von positiven Dingen zu sprechen, fällt schwer. Am Rande des Prozesses sind mir viele interessante Menschen begegnet. Diese insgesamt mindestens fünf Jahre seit Übernahme des Mandats sind zweifellos eine prägende Erfahrung.

Wie hat der Prozess Ihr Leben beeinflusst?

Mir war mit Mandatsübernahme klar, dass sich mein Leben grundlegend ändern wird. Die Belastung in diesem Verfahren ist schon angesichts des Aktenumfangs und der ständigen Reisen enorm. Andere Mandate bearbeite ich meist bis in den späten Abend und an den Wochenenden. Zeit für Privates bleibt kaum. Dass die Hauptverhandlung schon mehr als 300 Tage andauert, überrascht mich aber nicht.

Wann, denken Sie, wird das Urteil fallen?

Das Verfahren eignet sich nicht für Spekulationen. Der Vorsitzende hat deutlich signalisiert, mit seinem Beweisprogramm "durch" zu sein. Allerdings stellen sowohl die Verteidigung als auch die Nebenklage an jedem Tag weitere Beweisanträge, denen das Gericht zum Teil nachkommt. Auch die Erkenntnisse aus der jüngsten Zeit zeigen, dass ein Ende des Prozesses nach wie vor offen ist.

Was wird man in zehn Jahren über den NSU-Prozess sagen?

Ein historisches Verfahren.

Edith Lunnebach, Anwältin der Opfer des Bombenanschlags in Köln

An eine vollständige Aufklärung der Hintergründe der Taten glaubt sie nicht. Lunnebach vertritt vertritt Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Probsteigasse. Im Interview wirft Lunnebach einigen Verteidigern unverantwortliches Handeln vor.

SZ: Vor fünf Jahren hat die Welt von der Existenz des NSU erfahren. Seit dreieinhalb Jahren läuft der Prozess vor dem OLG München. Welche Frage muss noch dringend geklärt werden?

Lunnebach: Leider gehe ich davon aus, dass die Hintergründe und damit die Gefährlichkeit des NSU in diesem Prozess nicht geklärt werden konnten. Es ist kaum zu ertragen, dass ideologisch motivierte Mittäter unbekannt blieben und bleiben.

Welcher Verhandlungstag ist Ihnen als besonders schlimm in Erinnerung?

Aus letzter Zeit ist mir als besonders schlimm in Erinnerung, dass es Verteidiger gibt, die mit ihren Anträgen ungefiltert Nazipropaganda verbreiten. Dass Rudolf Heß ermordet wurde, ist eine Behauptung, die ganze Generationen von Jungnazis in den politischen Hass getrieben hat.

Welcher Prozesstag ist Ihnen in besonders positiver Erinnerung?

Einige wenige Male hat man erkennen können, dass sich unter besonderen Bedingungen, die meist mit zunehmender Bildung zu tun hatten, frühere Neonazis von der ideologischen und menschenverachtenden Ideologie haben abwenden können.

Prozess um Mitgliedschaft in terroristischer Vereinigung

Edith Lunnebach, Anwältin von Opfern des Bombenanschlags in der Kölner Probsteigasse

(Foto: picture alliance / dpa)

Wann, denken Sie, wird das Urteil fallen?

Im Frühjahr 2017.

Was wird man in zehn Jahren über den NSU-Prozess sagen?

Justizielle Bewältigung gelingt nur dann, wenn alle Ermittlungen einfließen. Das ist im NSU-Prozess nicht gelungen.

Alexander Kienzle, Anwalt der Familie von Halit Yozgat

Yozgat, der Betreiber eines Internetcafés in Kassel wurde am 6. April 2006 ermordet. Wer immer noch meine, er könne sich rechte Äußerungen erlauben, habe die Botschaft hinter den Taten des NSU nicht verstanden, sagt Kienzle im Interview.

SZ: Vor fünf Jahren hat die Welt von der Existenz des NSU erfahren. Seit dreieinhalb Jahren läuft der Prozess vor dem OLG München. Welche Frage muss aus Ihrer Sicht noch dringend geklärt werden?

Kienzle: Nach wie vor stehen Antworten auf die Verstrickung von Akteuren aus Behörden aus. Zu nennen sind insofern die Verfassungsschutzämter, die Rechtsextremismus und rechtsextremistische Straftaten nicht nur nicht verhindert haben, sondern zur Entstehung und Verwirklichung erheblich beigetragen haben.

Alexander Kienzle

Alexander Kienzle, Anwalt der Familie des ermordeten Halit Yozgat

(Foto: picture alliance / dpa)

Welcher Verhandlungstag ist Ihnen als besonders schlimm in Erinnerung?

Als besonders schlimm ist mir - neben den Schilderungen des Leids der Angehörigen der Opfer des NSU - der Verhandlungstag in Erinnerung, an dem Vertreter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz versuchten, ihre Bemerkungen zu der Tat in Kassel, die in einer Telefonüberwachung aufgezeichnet worden waren, als sarkastische "Eisbrecher" darzustellen. Selbst wenn man diese Erklärungen als wahr unterstellen würde, wären sie Zeugnis für eine Verrohung und Abstumpfung in deutschen (Ermittlungs-)Behörden.

Welcher Prozesstag ist Ihnen in besonders positiver Erinnerung?

Positiv bleiben die Hauptverhandlungstage in Erinnerung, an denen der Prozess das leistete, was von einem Strafverfahren erwartet werden kann: Aufklärung der Straftaten, ihrer gesellschaftlichen, behördlichen und persönlichen Bezüge. Diese Verhandlungstage sind in letzter Zeit leider selten geworden.

Wie hat der Prozess Ihr Leben beeinflusst?

Vordergründig durch Aufenthalte in München und häufige Ortsabwesenheiten in Hamburg. Durch die dauerhafte Befassung mit derart menschenverachtenden Taten aus einer rechtsextremen Gesinnung heraus empfindet man angesichts der aktuellen politischen Stimmungslage vollkommenes Unverständnis für alle Äußerungen, die sich an den "rechten Rand" anbiedern, oder solchen Auffassungen aus dem demokratischen Spektrum heraus Vorschub leisten. Wer meint, er könne sich das immer noch erlauben, hat die Botschaft, die hinter den Straftaten und der Radikalisierung in den Neunzigerjahren steht, nicht verstanden.

Wann, denken Sie, wird das Urteil fallen?

Das ist im Moment Spekulation, weil zwar das Gericht die Beweise meint erhoben zu haben, die im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht zu erheben waren, aber noch lange nicht feststeht, wie die Verfahrensbeteiligten das werten. Es kann natürlich noch zu weiteren Prozessverlängerungen kommen durch Beweisanträge oder Ähnlichem.

Was wird man in zehn Jahren über den NSU-Prozess sagen?

Das werden wir frühestens nach dem Urteil abschätzen können.

Peer Stolle, Anwalt der Familie von Mehmet Kubaşık

Die Familie von Mehmet Kubaşık tritt im Prozess als Nebenkläger auf. Der Kioskbesitzer wurde am 4. April 2006 in Dortmund ermordet. Die Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex ist für den Anwalt Peer Stolle noch immer ungeklärt. Im Interview sagt Stolle, dass ihn die Aussagen der Opferfamilien über die vorurteilsbehafteten Ermittlungen nachhaltig beeindruckt haben.

SZ: Vor fünf Jahren hat die Welt von der Existenz des NSU erfahren. Seit dreieinhalb Jahren läuft der Prozess vor dem OLG München. Welche Frage muss noch dringend geklärt werden?

Stolle: Es gibt viele Fragen, die noch ungeklärt sind. Der gesamte NSU-Komplex zeichnet sich ja dadurch aus, dass mit jedem Detail, das bekannt wird, weitere Fragen entstehen. Wenn ich eine Frage raussuchen soll - was mir schwerfällt -, dann ist es die nach der Rolle des Verfassungsschutzes. Die Beantwortung dieser Frage könnte Antworten auf viele weitere Fragen liefern. Fragen wie: Hätten die Taten verhindert werden können? Wie groß war das Unterstützernetzwerk? Wer gehörte dazu?

Welcher Verhandlungstag ist Ihnen als besonders schlimm in Erinnerung?

Da gibt es viele. Das Auftreten der Zeugen aus der Neonaziszene war kaum erträglich, da die meisten mit dem Vortäuschen von Erinnerungslücken oder plumpen Lügen jegliche Form von Aufklärung verhindern konnten, ohne dass ihnen von der Bundesanwaltschaft oder dem Gericht Grenzen aufgezeigt wurden. Das gilt auch für die Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörden. Für unseren Fall, also den Mord an dem Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık, dessen Familie wir in dem Verfahren vertreten, fand ich es besonders schlimm, dass unser Beweisantrag zu den Neonazistrukturen in Dortmund abgelehnt wurde. Das war ein deutliches Zeichen für den begrenzten Willen des Senates, das Umfeld des NSU aufzuklären.

Welcher Prozesstag ist Ihnen in besonders positiver Erinnerung?

Das war der Tag, an dem Elif und Gamze Kubaşık, die Witwe und die Tochter von Mehmet Kubaşık, ausgesagt haben. Ihre Aussagen über die von krassen rassistischen Vorurteilen geprägten Ermittlungen im Familienumfeld waren sehr eindrücklich. Auch die Stärke, mit der sie ausgesagt haben, war beeindruckend. Positiv in Erinnerung ist mir auch der Tag, an dem der Angeklagte Carsten S. davon berichtete, wie ihm Mundlos und Böhnhardt von einem Anschlag in Nürnberg erzählt hatten; einem Anschlag, der bisher nicht in Verbindung mit dem NSU gebracht wurde. Diese Aussage ließ hoffen, dass noch weitere Anschläge und Taten des NSU aufgedeckt werden - diese Erwartung hat sich leider nicht erfüllt. Die Aussage war auch deshalb wichtig, weil sie belegt hat, dass der NSU nicht so abgeschottet war, wie immer behauptet. Wenn Mundlos und Böhnhardt gegenüber jemandem, den sie kaum kannten, so mit ihren Taten prahlten, dann kann man sicher davon ausgehen, dass die Unterstützer und Unterstützerinnen in Chemnitz, die ihnen viel näher standen, auch wussten, was das Trio tat.

NSU-Prozess: Peer Stolle, Anwalt der Familie des ermordeten Mehmet Kubaşık

Peer Stolle, Anwalt der Familie des ermordeten Mehmet Kubaşık

(Foto: Manuela Köhler)

Wie hat der Prozess Ihr Leben beeinflusst?

Dreieinhalb Jahre fast jede Woche Verhandlung in München - das hat schon aufgrund des Umfangs erhebliche Auswirkungen auf das persönliche Leben. Davon unabhängig fand ich es wichtig, durch die Betroffenen der Taten und deren Angehörige mit dem Ausmaß rassistischer Vorurteile in den Ermittlungen noch mal ganz anders konfrontiert zu werden. Diese Perspektive der Betroffenen fand ich ganz wichtig und prägend.

Wann, denken Sie, wird das Urteil fallen?

Viele - auch wir - haben schon oft spekuliert und Termine vermutet, an denen der Prozess zu Ende geht. Wir lagen immer falsch. Mit mehr als der Angabe, dass das Urteil im Jahr 2017 fallen wird, will ich mich nicht aus dem Fenster lehnen.

Was wird man in zehn Jahren über den NSU-Prozess sagen?

Ich hoffe sehr, man wird sagen: Auch wenn in dem Prozess nur unzureichend Aufklärung betrieben wurde, war er doch ein wichtiges Puzzlestück dafür, dass wir nach dann 15 Jahren der Selbstenttarnung des NSU diesen Komplex als weitgehend aufgeklärt ansehen können.

Weitere Interviews, unter anderem mit Gamze Kubaşık. lesen Sie hier:

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