NSU-Prozess:Zschäpe - angeblich nur aus Liebe und Angst im Untergrund

  • Die Angeklagte zeichnet im NSU-Prozess von sich das Bild einer ahnungslosen Frau - die Taten hätten Böhnhardt und Mundlos alleine begangen.
  • Nur aus Liebe zu Böhnhardt soll sie jahrelang im Untergrund gelebt haben - und aus Angst vor einer langen Haftstrafe, wenn sie sich der Polizei gestellt hätte.
  • Offenbar will Zschäpe mit ihrere Erklärung eine Verurteilung als Mittäterin verhindern, Zeugen rückten ihre Geschichte aber in ein anderes Licht.

Analyse von Tanjev Schultz, Annette Ramelsberger und Oliver Das Gupta

Was für eine Erklärung. Nur aus Liebe und Angst will Beate Zschäpe all die Jahre im Untergrund gelebt und ihren Freunden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Treue gehalten haben. Aus Liebe und Loyalität zu den Mördern - und aus Angst vor einer langen Haftstrafe, wenn sie sich gestellt hätte.

Angeblich war Zschäpe selbst überhaupt nicht in die Planung und Durchführung der NSU-Verbrechen eingeweiht. Von den Morden will sie immer erst hinterher erfahren haben. Dann sei sie jedes Mal entsetzt gewesen, sei sogar ausgeflippt und schwer enttäuscht gewesen von Mundlos und Böhnhardt. Dennoch habe sie keinen Ausweg für sich gesehen. Und auch weiterhin das Geld ausgegeben, von dem sie wusste, dass es die Beute von Raubüberfällen war.

Am Ende ihrer 53-seitigen Erklärung hat sich Beate Zschäpe entschuldigt: Sie entschuldige sich "aufrichtig" bei allen Opfern und Angehörigen der Opfer. Sind diese Worte aufrichtig? Sie fühle sich moralisch schuldig, dass es ihr nicht gelungen sei, auf Mundlos und Böhnhardt so einzuwirken, dass sie keine unschuldigen Menschen töteten.

Damit hat sich Zschäpe erstaunlich deutlich von den Taten ihrer beiden Freunde distanziert, die sie als ihre "Familie" bezeichnet. Doch am Schluss macht sie erneut deutlich, dass sie keine Fragen der Nebenklage-Vertreter beantworten wolle. Das bedeutet: Den Angehörigen der Opfer will sie keine weitere Auskunft geben. Sie will nur auf Fragen der Richter und eventuell der anderen Angeklagten antworten - und das auch nur schriftlich.

"Mit ihrer Erklärung versucht Frau Zschäpe sich aus der Verantwortung zu ziehen. Dieser Aussage glaube ich kein Wort", sagt Gamze Kubaşık, die Tochter des 2006 in Dortmund ermordeten Mehmet Kubaşık.

Mit 19 Jahren in Böhnhardt verliebt

Zschäpe gibt zu, dass sie zu einer rechtsradikalen Clique gehörte, bevor sie, Böhnhardt und Mundlos 1998 untertauchten. Vor allem durch Uwe Böhnhardt, in den sie sich als 19-Jährige verliebt habe, sei sie in Kreise gekommen, die eine "intensive nationalistische Einstellung" gehabt hätten. Zschäpe stellt sich nicht nur als Opfer der Umstände und des Staates dar, sondern auch als Opfer ihrer eigenen Freunde. Sie habe sich nicht von Mundlos und Böhnhardt trennen können. Die beiden hätten damit gedroht, sich selbst zu töten, falls sie aus dem Untergrund auftauchen und sich der Polizei stellen wollte. Zschäpe gleichsam als Gefangene des NSU - eine kühne These.

Angeblich mietete sie vor allem aus Liebe zu Böhnhardt jene Garage an, in der die Polizei 1998 TNT-Sprengstoff und rechtsextreme Propagandaschriften fand, woraufhin das Trio in den Untergrund floh. Sie habe Böhnhardt kennengelernt, sich von Mundlos getrennt - doch nach einiger Zeit habe sich Böhnhardt seinerseits von ihr getrennt, weil sie "zu viel klammern" würde. Um ihn zurückzugewinnen, sagt Zschäpe, habe sie die Garage gemietet. Tatsächlich habe sich der Kontakt zu Böhnhardt, aber auch zu Mundlos dadurch wieder intensiviert. Von dem in der Garage deponierten TNT will Zschäpe nichts gewusst haben.

Doch das Morden ging weiter

Dieses Muster zieht sich durch die gesamte Erklärung: Zschäpe zeichnet von sich das Bild einer weitgehend ahnungslosen Frau, die ihrem Geliebten verfallen war - der leider ein Mörder war. Allerdings sagt sie kaum etwas darüber, wie die Beziehung zwischen ihr und den beiden Männern im Untergrund im Alltag war. Sie spricht davon, dass man viel Sport gemacht und oft Computer gespielt habe. Aber das Bekennervideo des NSU? Hat sie angeblich erstmals im Gerichtssaal gesehen.

Zschäpe leugnet keineswegs alles: Ja, sie habe im November 2011 die versandfertigen DVDs verschickt. Und ja, sie habe auch die Wohnung in Zwickau in Brand gesetzt. Aber sie habe das getan, weil Mundlos und Böhnhardt ihr dieses Versprechen abgerungen hätten

Im September 2000 der erste Mord: In Nürnberg erschossen Mundlos und Böhnhardt den Blumenhändler Enver Şimşek. Erst mehrere Monate später, zur Adventszeit, will Zschäpe davon erfahren haben. "Ich war geschockt", behauptet sie. Mundlos habe auf ihre Vorwürfe lapidar reagiert und gesagt, dass ohnehin alles "verkackt" sei. Eine Weile sei die Stimmung im Trio "eisig" gewesen, man habe Weihnachten nicht gefeiert, Silvester sei Zschäpe allein gewesen.

Doch das Morden ging weiter.

Immer wieder soll es dann so gewesen sein: Die Männer gingen ihrer Wege, und irgendwann informierten sie Zschäpe über ihre Taten, und jedes Mal sei sie entsetzt gewesen. Sie habe nicht fassen können, dass Mundlos und Böhnhardt die Polizistin Michèle Kiesewetter nur deshalb erschossen hätten, um an gute Polizeipistolen zu kommen. Sie hätten sich zuvor oft geärgert, dass ihre eigenen Waffen Ladehemmung gehabt hätten.

Zschäpe distanziert sich von den Verbrechen, spricht von einem "brutalen" Anschlag in Köln und von sinnlosen Morden. Aber wieso unternahm sie dann nichts dagegen? Sie sagt, es sei zu spät gewesen, um auszusteigen. Rückblickend betrachte sie ihre Reaktion als Resignation. Sie habe keine Chance mehr gesehen, in ein bürgerliches Leben zurückzukehren.

Zeugen rückten Zschäpes Geschichte in anderes Licht

Zschäpe versucht, sich herauszureden. Ihr Ziel ist offenbar, nicht als Mittäterin verurteilt zu werden, sondern allenfalls - wenn überhaupt - wegen Beihilfe zu den Verbrechen des NSU. Ihre Erklärung bestätigt die Anklage in sehr vielen Punkten, kommt aber zu einem ganz anderen Schluss, was ihre Schuld betrifft. Zschäpe hält sich für schuldig nur in einem moralischen, nicht aber in einem juristischen Sinne.

Die Richter könnten das aber durchaus ganz anders sehen. Denn zum einen bestätigt Zschäpes Aussage große Teile der Anklage, und zum anderen gab es zahlreiche Zeugen, die ihre Geschichte in ein völlig anderes Licht rücken. Sie berichteten von einer sehr selbstbewussten Frau, die sich von den Männern nichts sagen ließ. Von einer willensstarken Person, die selbst an etlichen rechtsradikalen Aktionen beteiligt war (was Zschäpe selbst nicht bestreitet). Und es gab den Nachbar einer Wohnung, in der das Trio im Untergrund lebte, der schilderte, wie seine vietnamesische Schwägerin sich nicht ins Haus gewagt habe, weil bekannt gewesen sei, dass Zschäpe Ausländer nicht gemocht habe.

Zu ihrer politischen Einstellung heute sagt Zschäpe in ihrer Erklärung kein Wort.

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