NSU-Prozess:Zeuge K. weicht aus und redet von Atomkraft

Auftritt André K. im NSU-Prozess: Der Rechtsextreme war nahe dran an Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, bevor das Trio untertauchte. Die Befragung ist zäh - doch sie enthält bizarre Augenblicke und erstaunliche Wendungen.

Aus dem Gericht berichtet Oliver Das Gupta

Der 59. Tag des Münchner NSU-Prozesses hätte früh enden können. Der Zeuge André K, ein Rechtextremist, hätte als Angeklagter schweigen können. Doch der 38-Jährige macht von seinem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch.

K. redet. Über die bräunliche Melange, die sich in Jena nach der Wende zusammengebraut hatte und sich zuerst Kameradschaft Jena und dann Thüringer Heimatschutz nannte. Über Zeltlager, Grillen und Ausflüge zum See, über Konzertbesuche und Demonstrationen. Über die Polizei, die ihn mal in ein Auto gezogen und ihm dann "eine Packung" verpasst hätte. Und die Gewalt der Linken. Böse, das versichert der bullige K., seien immer die anderen gewesen.

Politische Betätigung und Freizeit seien ineinander geflossen, sagt K. Uwe Mundlos beschreibt er als "charakterstark", Uwe Böhnhardt als "nicht dumm" mit einem Faible für Waffen. Beate Zschäpe habe er "menschlich sehr geschätzt".

"Sie weichen schon wieder aus"

Zschäpe, die einzige Überlebende des Zwickauer NSU-Trios, hört ihrem ehemaligen Kameraden aufmerksam zu. Die Frau, die verdächtigt wird, an den insgesamt zehn Morden, die Mundlos und Böhnhardt verübten, beteiligt gewesen zu sein, ist angespannt. Meist hat sie die Arme verschränkt, manchmal stützt sie ihren Kopf ab und fixiert den Zeugen. Als Richter Manfred Götzl nach der Gewaltbereitschaft fragt, schaut sie mit leerem Blick an die gegenüberliegende Wand, dann an die Decke.

Die Vernehmung ist zäh. Immer wieder verwendet K. dieselben Phrasen und Verallgemeinerungen, gestelztes Salbadern. K. erinnert sich entweder nicht oder bleibt im Ungefähren. "Sie weichen schon wieder aus", mahnt Richter Gölzl. Aber es wird nicht besser. Immerhin variiert K. seine Erinnerungslücken: "Ich habe die Gespräche nicht vor meinem inneren Auge", "Das ist mir nicht mehr erinnerlich", "Ich kann das nicht genau zuordnen".

Manchmal kommt es zu Dialogen, die bizarr sind. Als K. etwa nach den konkreten Gesprächsthemen der rechtsextremen Gruppe in den neunziger Jahren gefragt wird, nennt er plötzlich die Atompolitik.

K. : "Es kann nicht sein, dass Industrie Atommüll in der Erde verklappt."

Richter: "War Gorleben das maßgebliche Thema?"

K.: "Für mich ein maßgeblicher Punkt."

Daraufhin macht sich Heiterkeit auf der Besuchertribüne breit. Doch die währt nicht lange. Das Geeiere geht weiter. Ab und zu unterbricht ihn sein Anwalt, ein glatzköpfiger NPD-Funktionär aus Hessen. Immer wieder flüstert er unaufgefordert seinem Mandanten zu, knipst dabei das Mikrofon aus. Dann reicht es Götzl: "Es entsteht der Eindruck, dass Sie ihm inhaltlich soufflieren", sagt der Vorsitzende. Das wirkt.

André K.s Wendungen

Nun spricht der Zeuge offener über seine Geisteshaltung. Er sagt etwa: "Wir haben dem Ausländer selbst nicht die Schuld gegeben, dass er hier ist." "Schuld" seien die Politik und die Wirtschaft. Aktionen gegen einzelne Ausländer habe er abgelehnt, sie würden nichts bringen. "Beim Unkraut zupft man doch nicht oben an mit zwei, drei Blättern." Da müsse man schon an die Wurzeln, sagt André K.

Immer wieder verheddert sich der bisweilen wirr formulierende Zeuge in Ungenauigkeiten. Wenn Richter Götzl nachhakt, flüchtet sich K. in Erinnerungslücken. Als er etwa einräumt, mit Böhnhardt und Mundlos nach dem Untertauchen des Trios telefoniert zu haben. Die beiden hatten zuvor Bombenattrappen gebaut, anschließend war eine Bombenwerkstatt der beiden Männer gefunden worden - sie tauchten ab.

K. erzählt nun, dass er kurz danach mit beiden sprach. Und wieder bleibt K. ungenau. Wie oft er mit den Gesuchten telefoniert habe? Zwei bis fünfmal. Mit welchen der beiden Männer? Weiß K. nicht. Was war Thema? Wahrscheinlich eine Flucht ins Ausland. Was noch? Weiß K. nicht mehr.

Der Zeuge schildert immerhin, dass er über verschiedene Telefonzellen mit seinen Kameraden sprach. Die hätten zu einer festgelegten Zeit eine bestimmte Telefonzelle angerufen. So habe man verhindern wollen, abgehört zu werden. Am Gesprächsende hätte man den nächsten Telefontermin vereinbart. Es habe mehrere solcher anrufbarer Telefonzellen gegeben, sagt K.

Und wie ist der erste Termin mit den Abgetauchten zustande gekommen, will der Richter wissen? K. weiß das nicht, sagt er.

Der Zeuge erinnert sich nun detailliert an den 4. November 2011, an dem Böhnhardt und Mundlos sich nach einem Banküberfall in einem Wohnmobil in Eisenach erschossen haben. In früheren Vernehmungsprotokollen hatte er angegeben, sich nicht mehr an den Tag zu erinnern.

Inzwischen hat sich das geändert - nachdem die Ermittler ihm vorgehalten haben, dass sein Handy damals kurz in derselben Funkzelle von Mundlos und Böhnhardt eingeklinkt war. Das deutet darauf hin, dass K. sich zumindest in der gleichen Gegend aufhielt wie die beiden NSU-Täter. K. schildert nun ausführlich, wie er an jenem Tag ein Auto gekauft habe, welche Wege er fuhr. Von dem Selbstmord der beiden Uwes will er erst aus der Bild-Zeitung erfahren haben.

Eine Wendung gibt es auch in einer anderen Causa. Nachdem das Trio untergetaucht war, habe der Kamerad Tino Brandt ihm den Auftrag erteilt, über einen Mittelsmann Reisepässe zu beschaffen, sagt K. Die habe er dann auch bekommen - allerdings seien sie "leer" gewesen. K. wollte sie in der örtlichen Hooligan-Szene für die Untergetauchten bebildern und ausfüllen lassen. Doch die Pässe seien aus Brandts Auto verschwunden, sagt K. Und das, "obwohl keine Scheiben eingeschlagen" worden waren, beteuert er. Damit belastet er Brandt, einen - wie später herauskam - V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes.

K. rechnete mit schnellem Auffliegen des Trios

Doch womöglich ist das auch ein Winkelzug, um seinen guten Freund Ralf Wohlleben zu entlasten. Der frühere NPD-Funktionär sitzt in München ebenfalls auf der Anklagebank und steht im Verdacht, das NSU-Trio unterstützt zu haben.

Bislang kursierte nämlich eine andere Version, wie sich die Sache mit den Pässen abgespielt haben soll. Demnach war nicht Brandt, sondern Wohlleben der Auftraggeber. Und nicht aus Brandts Auto sollen die Pässe verschwunden sein - sondern aus dem Wagen von K. Was angeblich zur Folge hatte, dass Wohlleben mit seinem Kumpel K. jahrelang nicht mehr sprach.

Trotz aller Erinnerungslücken nennt K. auffallend häufig eine Person: V-Mann Brandt. Der habe ihm etwa 1000 Mark für die Pässe zugesteckt. Brandt habe ihm unter anderem auch sein Auto geliehen und zu Frank Schwerdt geschickt. "Der hat ja einige Kontakte" ins Ausland, habe Brandt ihm gesagt. Hatte der dann doch nicht. Das Treffen sei "ne Luftnummer" gewesen, sagt der Zeuge. Schwerdt war schon damals in der NPD und ist inzwischen stellvertretender Bundesvorsitzender und Thüringer Landeschef.

Nach der misslungenen Dokumentenbeschaffung hat André K. sich angeblich nicht mehr mit dem Trio befasst. Er habe auch nichts mehr wissen wollen, "aus Selbstschutz". Niemand sollte glauben, er hätte die Kameraden "angeschissen", verraten. Er habe keinen Kontakt mehr mit den Dreien gehabt.

"Ich habe damit gerechnet, dass die relativ schnell auffliegen", sagt K. Der Zeuge irrte. Mundlos und Böhnhardt sollten jahrelang morden, möglicherweise mit Beteiligung Zschäpes.

Gegen Ende der Vernehmung will Richter Götzl wissen, ob er das Spiel Pogromly kenne. Es ist eine perverse Nazi-Adaption von Monopoly, SS und Konzentrationslager inklusive, die wohl von Mundlos erfunden wurde. Die Flüchtigen haben über Mittelsmänner mit dem Verkauf des Spiels Geld machen wollen, das bestätigt K. Auch er habe einige Exemplare transportiert, von Wohlleben zu Brandt. Der Zeuge K. erzählt von dem Holocaust-Spiel so, als ob es sich um den Vertrieb von selbstgemachter Marmelade seiner Großmutter handeln würde. Einmal habe man einem englischen Reporter sogar eines verkauft, der eine Dokumentation gedreht habe.

Dann entlässt Götzl den Zeugen - und kündigt eine Fortsetzung seiner Einvernahme an. Es gebe noch neue Akten der Bundesanwaltschaft. "Sie müssen nochmal wiederkommen", sagt der Richter und nennt den 20. Dezember als neuen Termin.

Kaum hat Andre K. den Raum verlassen, meldet sich ein Anwalt von Beate Zschäpe zu Wort. Seine Mandantin fühle sich nicht mehr verhandlungsfähig, sagt er und verweist auf die lange Befragung von Böhnhardts Mutter am Vortag. Zschäpe habe sich am gestrigen Tag "zusammengerissen", sagt ihr Rechtsbeistand. Die Hauptangeklagte, die eine Stunde vorher noch mit ihren Anwälten Schokoladenriegel teilte und gemeinsam mit ihnen schäkerte, macht ein schmales Gesicht. Sie schweigt.

Richter Götzl unterbricht die Sitzung. "Vielleicht tritt eine Erholung ein", sagt er. Nach der Pause sagt Zschäpes Anwalt, dass ihr immer noch nicht wohl sei. Götzl hält kurz inne. Dann beendet er die Sitzung.

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