NSU-Prozess:Wohllebens Verteidiger greift Mitangeklagten an

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Dass Wohlleben zwölf Jahre Gefängnis wegen Beihilfe zum Mord drohen, hat der mutmaßliche NSU-Unterstützer dem Mitangeklagten Carsten S. zu verdanken. (Foto: dpa)
  • Es ist der zweite Tag des Plädoyers der Verteidigung von Ralf Wohlleben im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München.
  • Wohllebens Anwalt versucht, die Glaubhaftigkeit der Angaben von Carsten S. infrage zu stellen - dieser hatte Wohlleben belastet.
  • Der Anwalt prangert zudem an, dass heutzutage alles "rechts der CDU/CSU" als "nazistisch, rassistisch und menschenverachtend verunglimpft" werde.

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Es fällt ihm sichtlich schwer, die Attacken über sich ergehen zu lassen. Immer wieder redet Carsten S. auf seinen Verteidiger ein. Sein Anwalt wirkt eher amüsiert denn empört. Der Angeklagte Carsten S. aber scheint am liebsten lauthals widersprechen zu wollen. Doch er muss schweigen. Das Wort hat die Verteidigung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Es ist der zweite Tag ihres Plädoyers im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München.

Dass Wohlleben zwölf Jahre Gefängnis wegen Beihilfe zum Mord drohen, hat der mutmaßliche NSU-Unterstützer dem Mitangeklagten Carsten S. zu verdanken. Anders als Wohlleben hat Carsten S. früh geredet. Carsten S. hat schon im Ermittlungsverfahren gestanden, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eine Waffe mit Schalldämpfer gebracht zu haben. Wohlleben soll bei der Waffenbeschaffung geholfen und Carsten S. auch das Geld für den Kauf gegeben haben. Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft hat S. mit Wohllebens Hilfe den NSU-Terroristen die Česká-Pistole beschafft, mit der sie neun Menschen erschossen.

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Am Mittwoch haben Wohllebens Anwälte versucht, die Glaubhaftigkeit der Angaben von Carsten S. infrage zu stellen. Verteidiger Olaf Klemke sagte, S. sei von einem Belastungseifer gegen Wohlleben getrieben. Schließlich sei es sein Mandant gewesen, der Carsten S. dazu "animiert" habe, Beate Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt im Untergrund zu unterstützen, was Carsten S. letztlich auf die Anklagebank gebracht habe. "Herr Wohlleben ist damit mitverantwortlich dafür, dass Carsten S. aus seinem neuen, schönen, offen schwulen Leben herausgerissen wurde", sagte Klemke.

Der Bundesanwaltschaft warf Klemke vor, den Belastungseifer von Carsten S., seine starke Beeinflussbarkeit und seine Gewissensbisse zu ignorieren, die sein Aussageverhalten prägten. "Carsten S. will sich gerne erinnern, deshalb unternimmt er geradezu verzweifelte Anstrengungen, Erinnerungen hervorzuholen", sagte Klemke. Den Anklagevertretern hingegen betrieben "die wahrheitsfreieste aller Beweiswürdigungen" und "Beweisakrobatik". Es ginge ihnen nicht um Aufklärung, sondern darum, "den Nazi Ralf Wohlleben um jeden Preis zur Strecke zu bringen". Der Verteidiger provoziert gern. Scheu davor, sich selbst rechtsaußen zu positionieren, hat er nicht. Am Mittwoch prangerte er an, dass heutzutage alles "rechts der CDU/CSU" als "nazistisch, rassistisch und menschenverachtend verunglimpft" werde.

Der ehemalige NPD-Funktionär Wohlleben und der schwule Aussteiger Carsten S. sind sich in vielen Punkten uneinig. Eines aber beteuern beide: Sie hätten es niemals für möglich gehalten, dass ihre untergetauchten Kameraden morden würden. Und sie beteuern auch, niemals einen Schalldämpfer bestellt zu haben. Carsten S. hatte zugegeben, von Wohlleben in den damaligen Jenaer Szeneladen "Madley" geschickt worden zu sein. Dort will er nach einer Waffe gefragt haben. Doch von einem Schalldämpfer sei nie die Rede gewesen. Im "Madley" bekam Carsten S. beides: Pistole und Schalldämpfer.

Nach Ansicht von Klemke hilft auch die Aussage des "Madley"-Mitarbeiters, Andreas S., bei der Frage, ob Carsten S. damals doch einen Schalldämpfer bestellte, nicht weiter. Andreas S. hat im Ermittlungsverfahren erst bestritten, überhaupt irgendetwas mit der Waffe zu tun zu haben. Später räumte er ein, die Waffe Carsten S. verkauft zu haben. Einen Schalldämpfer erwähnte er zunächst nicht. Später sei ein solcher "vielleicht" dabei gewesen. Und schließlich sagte Andreas S., dass Carsten S. einen Schalldämpfer bestellt habe. Aussage stehe also gegen Aussage, so Klemke.

Wohllebens Verteidiger sehen es auch nicht als erwiesen an, dass es sich bei der Waffe überhaupt um die Mordwaffe des NSU handelte. Verteidiger Klemke sagte: "Die Beweisaufnahme hat weder zweifelsfrei ergeben, dass es sich bei der von Carsten S. und Ralf Wohlleben beschafften Waffe um die Tatwaffe handelte noch, dass Carsten S. einen Schalldämpfer bestellte." Und dass S. die Waffe mit Geld bezahlte, das er von Wohlleben bekam, sei erst recht nicht bewiesen. Ihr Mandant sei unschuldig und vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord in neun Fällen freizusprechen, hatte Wohllebens Verteidigung schon am Vortag gefordert.

Wohlleben leugnete schon in seiner Einlassung Ende 2015 nicht, Carsten S. wegen der Waffe ins "Madley" geschickt zu haben. Ansonsten erzählte er eine gänzlich andere Geschichte. Böhnhardt habe für eine mögliche Selbsttötung eine Waffe haben wollen, sagte er damals. Wohlleben habe den Wunsch ignoriert, weil er einem Freund nicht beim Sterben helfen wollte. Dann habe Carsten S. ihn gefragt, woher er eine Waffe für die Untergetauchten bekommen könne. Wohlleben habe ihn ins "Madley" geschickt, weil er dachte, dort bekäme S. niemals eine Waffe. Er habe doch nicht ahnen können, dass es dort tatsächlich Schusswaffen gibt, behauptete Wohlleben. Die meisten Prozessbeteiligten halten dies für eine aberwitzige Geschichte.

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