NSU-Prozess:Wohllebens Anwälte lassen alle Hemmungen fallen

392 Verhandlungstag im NSU Prozess Der Angeklagte Ralf Wohlleben und seine Anwaelte Nicole Schneide

Die Bundesanwaltschaft hält Ralf Wohlleben (Mitte) für die "steuernde Zentralfigur" bei der Unterstützung des NSU. Die Verteidiger Nicole Schneiders (li.) und Olaf Klemke (re.) stilisieren ihn als Opfer des Systems.

(Foto: Sebastian Widmann/imago)
  • In ihren Plädoyers stellen die Verteidiger des mutmaßlichen NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben ihre rechte Gesinnung zur Schau.
  • Die drei Anwälte provozierten im ganzen Prozess immer wieder. Sie sind der rechtsradikalen Szene eng verbunden.
  • Die Bundesanwaltschaft wirft Wohlleben Beihilfe zum neunfachen Mord vor und fordert zwölf Jahre Haft.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger

Jetzt, ganz am Schluss, ist Tarnung nicht mehr nötig. Fünf Jahre lang haben die Verteidiger des früheren NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben die schwarze Robe getragen und immerhin so getan, als respektierten sie die formalen Regeln des Rechtsstaats. Nun aber ist klar: Sie halten das, was im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München geschieht, nur für ein Schauspiel im "vermeintlich demokratischen Gesinnungsstrafrecht". Sie haben schon bisher alles getan, um diesen Prozess zu sabotieren: mit immer neuen Befangenheitsanträgen. Nun lassen sie alle Hemmungen fallen.

Verteidigerin Nicole Schneiders hatte den Ton gesetzt und den Richtern schon angekündigt, sie müssten sich mit ihrem Urteil vor "dem Richterstuhl des Ewigen" verantworten - ein Zitat des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß. Ihr Kollege Olaf Klemke bemühte dann Reichsmarschall Hermann Göring. Der hatte einst gesagt: "Wer Jude ist, bestimme ich." Und Klemke warf Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten vor, er wolle - wie Göring - nun bestimmen, wer Nazi sei und wie "schön menschenverachtend" er zu sein habe. Er benutze den Angeklagten Wohlleben nur als Sündenbock für die Morde des NSU, weil er "nach wie vor nationaler und volkstreuer Gesinnung ist, weil er seine Ideale nicht verraten hat". Der Staatsanwalt wolle "um jeden Preis einen Nazi zur Stecke bringen".

Die Anwälte stehen auf der ganz rechten Seite

Klemke macht noch nicht halt. Nun wendet er sich an das Gericht. Er sei sich sicher, dass die Richter Wohlleben verurteilen würden, obwohl er unschuldig sei. "Ralf Wohlleben wird mit diesem Urteil leben müssen, aber Sie auch", sagt er. Und dann fügt er leise an: "Ich hoffe, Sie können das nicht." Es fühlt sich genauso an, wie es gemeint ist: Die Richter sollen keine ruhige Nacht mehr haben.

Es war immer da, die ganze Zeit, all die fünf Jahre: diese Verachtung, dieser drohende Unterton, diese Angriffe, die unvermittelt um die Ecke kamen. Die drei Verteidiger des bekennenden Rechtsextremisten Wohlleben ließen immer wieder durchblitzen, auf welcher Seite sie stehen: auf der ganz rechten. Und nun nutzen sie diese letzten Tage des Prozesses zu einem Schaulaufen für die rechte Szene, für ein Fanal ihrer Unbeugsamkeit, für die Stilisierung ihres Mandanten als Opfer des Systems.

Bundesanwaltschaft fordert zwölf jahre Haft für Wohlleben

Und sie teilen nun so aus, wie man es aus der rechten Szene kennt: ohne Hemmung, bewusst persönlich. Der Verteidiger des Aussteigers Carsten S., der Wohlleben schwer belastet, sei "weichgeklopft und gehirngewaschen durch die öffentliche Meinung". Der Angeklagte Carsten S. wolle sich "den Judaslohn" sichern, indem er Wohlleben zu Unrecht belaste. Und die Presse, die über den Prozess berichtet, ist natürlich "links-grün durchsetzt". Außerhalb des Gerichtssaals heißt das in diesen Kreisen dann "links-grün versifft". Aber ein wenig Zurückhaltung im Saal muss ja sein. Es ist nah an der Beleidigungsgrenze, an der sich Wohllebens Verteidiger bewegen. Die Angegriffenen ertragen es stoisch. Sie wissen, wer da spricht.

Wohlleben, 43, ist eine Szenegröße, früher NPD-Funktionär, für den seine rechten Kameraden mit T-Shirts auflaufen, auf denen sie "Freiheit für Wolle" fordern. Sie sitzen oft auf der Besuchertribüne. Die Solidarität mit ihm ist ungebrochen. Er hat - bevor er am 241. Verhandlungstag sein Schweigen vor Gericht brach - ausdrücklich auf rechten Internetseiten betont, dass das nichts an seiner Verbundenheit mit seinen Kameraden ändere. Er war mit Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eng befreundet. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, die "steuernde Zentralfigur" bei der Unterstützung des NSU-Trios gewesen zu sein. Sie hat zwölf Jahre Haft für Wohlleben gefordert - wegen Beihilfe zum neunfachen Mord, weil er die Tatwaffe Ceska organisiert haben soll.

Wohllebens Anwälte kommen aus der Szene

Auch Wohllebens Anwälte sind Szene-Exponenten. Verteidigerin Schneiders, 38, begrüßte Wohlleben am ersten Verhandlungstag mit Küsschen, sie sind befreundet. Sie haben sich kennengelernt, als sie in Jena Jura studierte. Sie haben dort gemeinsam die NPD aufgebaut, sie gab den rechten Kameraden Rechtsschulungen. Zum Beispiel, wie man sich bei Hausdurchsuchungen durch die Polizei verhält. Mit ihrer Familie lebt Schneiders in Baden-Württemberg - und beschwert sich, dass in ihrem Ort Zettel aufgehängt wurden, die die Nachbarn vor ihrem Treiben warnten.

Olaf Klemke aus Cottbus ist das Gegenstück zur bürgerlich wirkenden Schneiders. 53 Jahre alt, kahlköpfig, mit schneidender Stimme. Er verteidigt immer wieder rechtsradikale Straftäter. Er war im Verfahren gegen Neonazis in Koblenz dabei, das die Verteidiger zum Platzen brachten. Er ist im NSU-Prozess derjenige, den die anderen Juristen fachlich ernst nehmen.

An seiner Seite ist Wolfram Nahrath, 55, früher Vorsitzender der verbotenen Wiking-Jugend. Er stammt aus einer Familie, die sich seit drei Generationen dem Rechtsextremismus verschrieben hat. Ein bekennender Rechter, schon lang NPD-Mitglied. Manche Prozessbeteiligten flüchten aus der Herrentoilette, wenn er auftaucht. Nahrath ist bekannt dafür, überall zu agitieren.

Wohllebens Verteidiger provozierten immer wieder

Der Anwalt ruft nun seitenweise Hitler, Goebbels, Heß als Kronzeugen dafür auf, dass der Nationalsozialismus nur Frieden und Völkerverständigung wollte. Nahrath folgert: Die NSU-Täter Mundlos und Böhnhardt könnten sich also nie wirklich mit dem Nationalsozialismus befasst haben. Im Saal breitet sich Fassungslosigkeit aus. Sein Mandant Wohlleben sei kein Ausländerfeind, sagt Nahrath. Wohlleben habe seine Unterstützung für Mundlos und Böhnhardt im Jahr 2001 eingestellt. "Wenn er ein überzeugter Unterstützer gewesen wäre, dann hätte er nicht aufgehört." Wohlleben sei freizusprechen und zu seiner Familie zu entlassen. Wohllebens Frau sitzt als Beistand neben ihm auf der Anklagebank und tätschelt ihm das Knie.

Die Verteidigung Wohllebens hat immer wieder provoziert in diesem Prozess. Doch oft verstanden das nur Kundige. Einmal schickte Verteidigerin Schneiders ihren Kanzleipartner Steffen Hammer als Vertretung. Der Mann trug Anwaltsrobe, das schon, aber er war auch 20 Jahre lang der Leadsänger der rechtsextremen Band Noie Werte. Er sang die Hassgesänge, mit denen der NSU eine Version seines Bekennervideos unterlegt hat. Der Sänger der Gewalt als Organ der Rechtspflege. Fünf Meter entfernt saßen an diesem Tag die Witwe und der Sohn des vom NSU getöteten Enver Şimşek. Der Sohn wusste genau, wer da vor ihm stand.

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