NSU-Prozess:"Wir werden nie zur Ruhe kommen"

NSU-Prozess: Gamze Kubaşık vor einer Gedenktafel, die an die Ermordung ihres Vaters erinnert.

Gamze Kubaşık vor einer Gedenktafel, die an die Ermordung ihres Vaters erinnert.

(Foto: Regina Schmeken)
  • Nebenkläger im NSU-Prozess werfen dem Staat vor, die Ermittlungen nach den Terrormorden blockiert zu haben, indem sie Spuren nicht nachgingen.
  • Die Tochter einer Mordopfers bietet Beate Zschäpe Beistand an - sofern diese ein umfassendes Geständnis ablegt.

Von Annette Ramelsberger und Wiebke Ramm

Beide Frauen tragen Schwarz. Schwarz die Bluse. Schwarz die Hose. Schwarz das Haar. Mutter und Tochter sind gekommen, um ihrem Mann, ihrem Vater einen letzten Dienst zu erweisen. Sie wollen Zeugnis ablegen von einem Leben, das so anders war als dasjenige, das sie nun leben: Es gab eine Zeit, als sie fröhlich waren, unbeschwert. Eine Zeit, als der Vater noch lebte: Mehmet Kubaşık, 39, geboren in der Türkei, eingebürgert in Deutschland. Kioskbesitzer, von morgens früh um sechs bis abends um zehn Uhr im Laden. Einer, der dieses Land liebte. Der so stolz war auf seinen deutschen Pass, der seinen Verwandten erzählte, all die Vorurteile stimmten doch gar nicht. Es gebe hier keine Rechten, zu ihm seien die Deutschen nett. "Er war ein so überzeugter Deutscher", sagt seine Tochter Gamze Kubaşık.

Sie und ihre Mutter sind ebenfalls Deutsche. Dortmunderinnen, wie sie betonen. Und sie werden nicht gehen - obwohl die Terrorgruppe NSU sie aus Deutschland vertreiben wollte, obwohl ihr Vater von den NSU-Terroristen ermordet wurde. Als achtes Opfer. Mutter und Tochter sind jetzt nur nicht mehr so harmlos-naiv überzeugt von ihrem Deutschland wie damals. Sie sehen jetzt die Abgründe. Und sie reden darüber.

Enttäuscht von Angela Merkel

Der NSU-Prozess ist nun bei den Schlussvorträgen der Nebenkläger angelangt. Nun, nach fast 400 Verhandlungstagen, dürfen die Angehörigen der Opfer sagen, was sie von diesem Prozess halten. Der Prozess, der auch das Versprechen von Kanzlerin Merkel erfüllen sollte, das sie den Angehörigen nach der Selbstenttarnung der Terrorgruppe gab: Dass alle Helfershelfer und Hintermänner aufgedeckt würden. Elif Kubaşık, die Witwe, sagt vor Gericht: "Frau Merkel hat ihr Versprechen von 2012 nicht gehalten."

Elif und Gamze Kubaşık waren immer wieder in diesem Prozess. Sie wollten hören, was die Angeklagten sagen. Sie wollten wissen, wie sich die Ermittler verteidigen, die immer nur nach dunklen Stellen bei den Familien der Opfer gesucht haben und rechtsextreme Terroristen als Täter ausschlossen. Die alle Nachbarn fragten, ob Mehmet Kubaşık Drogen verkauft hat, eine Geliebte hatte, spielsüchtig war. Und als ein Nachbar sagte, so was mache Mehmet nicht, da sagte der Polizist: Das mache der sehr wohl, der Nachbar wisse es nur nicht. Kubaşıks Sohn wurde in der Schule geschlagen, weil sein Vater ja ein Drogendealer gewesen sei. "Es wurde uns schweres Unrecht angetan", sagt Elif Kubaşık.

Sie wollen das deutlich machen vor Gericht. Aber sie möchten noch etwas: Sie wollen der Frau ins Gesicht sehen, die beschuldigt wird, Mittäterin der zehn NSU-Morde zu sein - Beate Zschäpe. Es ist nicht leicht für die Angehörigen. "Besonders schwer ist es für mich, den Anblick dieser Frau auszuhalten", sagt Elif Kubaşık. Ihre Stimme ist erregt, fast ein bisschen heiser vor Aufregung. Sie blickt Beate Zschäpe an. "Ekelhaft, einfach ekelhaft war ihre Aussage. Es ist alles Lüge, was sie sagte. Sogar die Form, wie sie sich entschuldigt hat, war verletzend. Das war so, als würde sie uns beleidigen." So sehr habe sie sich zusammenreißen müssen, dass ihr der Arm taub wurde vor lauter Anspannung. "Ich hatte das Gefühl, sie macht sich lustig über mich."

Die Tochter eines Opfers will sich für Zschäpe einsetzen

Zschäpe hört ihr zu, man erkennt keine Regung. Dann hebt Elif Kubaşık an: "Die, die die Taten begangen haben, sollen nicht denken, dass wir das Land verlassen werden. Ich lebe in diesem Land und ich gehöre zu diesem Land. Ich habe zwei Kinder in diesem Land zur Welt gebracht. Mein Enkel ist hier zur Welt gekommen. Wir sind ein Teil dieses Landes."

Die Mutter ist noch sehr in der Vergangenheit gefangen. "Mein Herz", sagt sie, "wurde mit Mehmet begraben." Auch die Tochter ist berührt. Doch sie blickt in die Zukunft. Sie will nicht in Zorn verharren, schon wegen ihres kleinen Sohnes, den sie - zu Ehren ihres Vaters - Mehmet genannt hat. Gamze Kubaşık ist heute Anfang 30, eine Frau, die mitten im Leben steht. Und sie tut einen einzigartigen Schritt.

Gamze Kubaşık will sich für Beate Zschäpe bei Gericht einsetzen. Dann, wenn über ihre Haftentlassung nach vielleicht 20 oder 25 Jahren entschieden werden wird. Dann will die Tochter des Ermordeten selbst für Zschäpe sprechen - wenn, ja wenn die Angeklagte das sagt, was die Familie so dringend wissen will: "Warum mein Vater ausgewählt wurde, wer unseren Kiosk ausspioniert hat." Und: Wer da draußen noch frei herumläuft von den Helfern? "Ich habe großen Respekt vor diesem Angebot von Frau Kubaşık", sagt ihr Anwalt Sebastian Scharmer. "Überlegen Sie es sich gut, Frau Zschäpe." Zschäpe setzt sich ihre Brille auf, sie blickt Gamze Kubaşık aufmerksam an, aber sie sagt nichts.

"Ich verstehe nicht, warum sie nicht zu ihren Taten steht"

Die Tochter spricht über jeden Angeklagten. Über Holger G., der doch "kein Trottel" sei und genau gewusst habe, wobei er seinen alten Freunden helfe. Aber auch über Carsten S., den Aussteiger, der als Kronzeuge gilt. "Ihm nehme ich als Einzigem persönlich ab, dass es ihm leidtut." Auch wenn er seine eigene Verstrickung nicht schonungslos erzählt habe. Carsten S. sackt zusammen, er weint.

Und Gamze Kubaşık redet - wie ihre Mutter - noch einmal über Zschäpe. Man merkt, wie angespannt sie ist. "Ich verstehe nicht, warum sie nicht zu ihren Taten steht. Das finde ich feige. Sie hat doch selbst die (Bekenner-)Videos verschickt. Ich glaube kein Wort, was ihre Anwälte für sie vorgelesen haben. Es ergibt keinen Sinn und ist total unpersönlich. Wenn ich höre, dass Zschäpe das Haus in Zwickau angezündet hat und nur ihre Katze retten wollte, zeigt mir das, was für eine Persönlichkeit sie hat."

Ihr Anwalt sagt, Gamze Kubaşık wolle kein Mitleid, nur die Aufklärung des Mordes an ihrem Vater. Die Familie geht von Helfern in der Dortmunder Neonazi-Szene aus, rund um den "SS-Siggi" genannten Anführer Siegfried Borchardt. Ein Munitionspäckchen mit der Aufschrift "Siggi" mit SS-Runen wurde im Unterschlupf des NSU gefunden. "SS-Siggi" wurde nicht einmal befragt. Gamze Kubaşık sagt: "Ich hatte so viel Hoffnung, dass endlich Gewissheit kommt. Diese Hoffnung gibt es nicht mehr. Wir werden nie zur Ruhe kommen."

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