NSU-Prozess:Wie kamen die Mörder des NSU an ihre Waffen?

  • Ein ehemaliges Bandenmitglied soll als Zeuge im NSU-Prozess bei der Aufklärung helfen.
  • Unter anderem erhofft sich das Gericht Hinweise darauf, woher die NSU-Terroristen ihre Waffen hatten.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Welche Verbindungen bestanden zwischen dem NSU und Gruppen aus der organisierten Kriminalität? Vor dem Oberlandesgericht München tritt am Dienstag ein Mann auf, der darauf möglicherweise eine Antwort geben könnte. Jens L., 49, war in den Neunzigerjahren Mitglied einer Bande, die von Jena aus in Thüringen und darüber hinaus krumme Geschäfte machte. Drogen, Betrug, Prostitution, Waffenhandel, das ganze Programm.

Mehrere Jahre saß Jens L. im Gefängnis, nun ist er Zeuge im NSU-Prozess und sieht genauso aus, wie auch in Vorabendserien die schweren Jungs dargestellt werden: bullige Statur, Stiernacken, kahler Kopf, Tattoos. Er sei "bestimmt kein Hampelmann", sagt er über sich selbst, beruft sich aber immer wieder darauf, dass er nicht alles sagen könne, weil das ihn und seine Angehörigen sonst in Gefahr bringen könne.

Mit knödeliger Stimme, nuschelnd und hastig, berichtet der Berufskraftfahrer aus seinem Bandenalltag. Er habe jede Woche 100 000 Mark eingesammelt, "wir waren keine kleine Nummer". Er habe damals in Jena gewohnt, später in Gera. "Zwischen Koks und Bumsen und Hotelleben war ich jeden Tag woanders. Ich hatte in der Woche viele Termine. Wir haben das Motto: Transport ohne Fragen." Manchmal habe er sich ein paar Gramm Koks durch die Nase gezogen und seine Leibwächter hätten die Geschäfte für ihn abgewickelt. Er habe auch einen "Praktikanten" gehabt, der für ihn Botengänge erledigt habe.

"Die Macht kommt aus den Gewehrläufen"

Jens L. stammt aus einer Soldatenfamilie, war in der Fremdenlegion und als Legionär im Kosovo. Seine Lebensphilosophie sei gewesen: "Die Macht kommt aus den Gewehrläufen." Wenn er von Bandenkämpfen spricht, verwendet er das Wort "Krieg". Bandenmitglieder nennt er "Soldaten". Es habe mehrere Waffendepots gegeben, auch eines bei ihm hinterm Haus. Er habe mehrere scharfe Waffen besessen, darunter auch Kalaschnikows, Handgranaten und zwei Česká-Pistolen. Nähere Angaben dazu, wann er diese Waffen von wem und wo erhalten hat, macht der Zeuge nicht. Aber er berichtet, dass damals in den Neunzigerjahren auch im Gespräch gewesen sei, die rechte Szene mit Waffen auszurüsten. Bisher ist weitgehend ungeklärt, woher die NSU-Terroristen ihre vielen Pistolen, Revolver und Gewehre bekamen. Es erscheint nicht abwegig, dass die Bande, der Jens L. angehörte, tatsächlich in Waffendeals mit den Neonazis verwickelt war.

Jens L. deutet an, er könnte Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gekannt haben; Jena sei ja eine kleine Stadt. Er habe sie womöglich einmal bei einem Treffpunkt der Bande gesehen, sicher sei er sich aber nicht. Der Zeuge sagt, er kenne auch die ehemalige Frau des Bruders von Böhnhardt, und dieser Kontakt soll mehr als nur flüchtig gewesen sein. Im Gerichtssaal deutet Jens L. zudem auf die Angeklagten Ralf Wohlleben und André E., die ihm beide von früher bekannt vorkämen. Er wisse aber nicht mehr, aus welchen Zusammenhängen. Beate Zschäpe hingegen kenne er nicht.

Ein Ziel seiner Gruppe sei es damals gewesen, das Vorrücken ausländischer Banden aufzuhalten. Deshalb habe man auch die Waffen gebraucht. Die rechte Szene, der er selbst Anfang der Neunzigerjahre angehört habe, hätte seine Gruppe in diesem Abwehrkampf unterstützen können. Offenbar war es auch nicht schwierig, an Waffen zu gelangen. "Ich konnte mich damals zudecken mit Pistolen. Die lagen unter meinem Kopfkissen." Ein Teil sei aus alten sowjetischen Beständen gekommen, ein Teil aus Italien und aus der Schweiz.

"Nicht jeder Waffenhändler sieht aus wie ein Verbrecher"

Richter Manfred Götzl würde gerne mehr über die Waffendeals und die Händler erfahren, aber der Zeuge ist wenig willig, etwas davon preiszugeben. "Wenn man sieht, wie viele Bandenmitglieder wir waren, können Sie auch meine Situation verstehen, warum ich hier nicht wie ein Märchenbuch plaudere." Er mag sich auch nicht festlegen, ob dann tatsächlich die rechte Szene bewaffnet worden ist. Solche Entscheidungen hätten die Bandenanführer selbst getroffen, das Brüderpaar E., das in Jena jeder gekannt habe.

Die NSU-Ermittler halten es für erwiesen, dass die Česká-Pistole, mit der die NSU-Terroristen neun Menschen ermordet haben, von der Schweiz nach Jena gelangte. Dabei soll ein Schweizer eine Rolle gespielt haben, der zeitweise in Thüringen lebte und mit Enrico T. befreundet war, den wiederum Jens L. gut gekannt habe. Dieser tut nun jedoch vor Gericht so, als kenne er Enrico T. nicht oder kaum, und auch über die Schweizer, mit denen er früher Waffen gehandelt hat, macht er keine näheren Angaben: "Ich kann dazu nichts sagen, das sind normale Leute gewesen. Nicht jeder Waffenhändler sieht aus wie ein Verbrecher."

"Sie bringen mich mit solchen Fragen in große Schwierigkeiten"

Die Angaben des Zeugen bleiben vage, aber bereits seine Andeutungen sind interessant: "Jena ist eine Kleinstadt, und die rechte Szene war mit uns verknüpft." Auffällig ausweichend reagiert Jens L. bei Nachfragen zu den Bandenanführern, dem Brüderpaar Ron und Gil E. Ob diese Mundlos und Böhnhardt gekannt hätten und was der Zeuge dazu konkret in Erinnerung habe? "Sie bringen mich mit solchen Fragen in große Schwierigkeiten, Herr Vorsitzender", sagt der Zeuge. Er wolle nicht nach Hause fahren und dann eine Kugel im Kopf haben.

Jens L. verlangt einen Rechtsbeistand. Nach einer Pause beschließt das Gericht, dem nachzukommen. Der Zeuge muss nun erneut geladen werden. Später sollen auch die Bandenchefs, die Brüder E., befragt werden.

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