Mehmet Kubasik war ein Patriot. Ein deutscher Patriot. Einer, der voller Überzeugung, voller Freude Deutscher wurde. Der seinen deutschen Pass jedem Gast zeigte, der zu ihm kam - so stolz war er darauf. Und der seinen Verwandten im Ausland die Sache mit dem angeblichen Ausländerhass in Deutschland geharnischt ausredete. So ein Blödsinn, das stimme nicht. Er wohne doch da in Deutschland, mittendrin, in Dortmund. "Und zu mir sind sie nett."
Am 4. April 2006 wurde Mehmet Kubasik von zwei rechtsradikalen Deutschen erschossen, den Mitgliedern des Nationalsozialistischen Untergrunds NSU. Am Dienstag sagten seine Frau und seine Tochter im Münchner NSU-Prozess aus - auch sie überzeugte Deutsche. Die Tochter in perfektem Deutsch, die Mutter mit Übersetzer. Sie taten es sachlich, klar, gefasst. So sehr bemühten sie sich, den Anforderungen des Gerichts zu genügen, dass sich die Mutter sogar dafür entschuldigte, als ihr die Stimme zu versagen drohte. "Entschuldigen Sie meine Emotionen", bat Elif Kubasik den Richter.
Mehmet Kubasik war das achte Opfer der NSU-Mordserie. Bis zum Tag seines Todes war alles gut in seiner Familie. Tochter Gamze arbeitete mit ihm im kleinen Kiosk, der die Familie ernährte, sie machte ihren Abschluss an der Fachoberschule, die kleinen Söhne gingen zur Schule und in den Kindergarten. "Mein Mann und ich liebten uns", sagt Elif Kubasik. "Wir kannten uns schon seit unserer Jugend."
Doch nun wurde die Frau plötzlich gefragt, ob ihr Mann Frauengeschichten gehabt oder mit Drogen gehandelt habe, ob er bei der Mafia gewesen sei. Mit Hunden durchsuchten die Beamten die Wohnung der Kubasiks nach Drogen - sie fanden nichts. Aber nun waren die Gerüchte in der Welt. Da müsse doch was dran sein. Und auf der Straße hörte die Tochter das Getuschel: Das sei die Tochter des Mannes, der Drogen an Jugendliche verkauft habe. Und sie hörte eine Frau sagen, auch die Kinder des Drogenhändlers sollten drogenabhängig werden. "Es klang wie eine Verfluchung", sagt Gamze.
Die Tochter sitzt da, wie eine jüngere Ausgabe ihrer Mutter, dunkles, langes Haar, große Augen. Sie fühlte sich ihrem Vater besonders verbunden, einem fröhlichen Familienmenschen. Und als die Tochter die Gerüchte hörte, konnte sie nicht mehr auf die Straße gehen. Fast ein Jahr verließ sie die Wohnung nicht mehr. Die Mutter bekam Neurodermitis, die Tochter konnte nicht mehr schlafen, die Ausbildungsstelle, die sie schon hatte, konnte sie nicht antreten, sie hatte Angst-Attacken.
Und dann kam die Sorge um den kleinen Bruder. Der prügelte sich plötzlich mit Mitschülern und erzählte nicht, warum. Erst in der Schule erfuhren sie: Ein Mitschüler hatte gesagt, der Kleine solle ihn nicht anfassen: "Dein Vater nimmt Drogen, deine ganze Familie nimmt Drogen."
"Wie würden Sie Ihre heutige Situation beschreiben?", fragt der Richter. "Ich versuche, mich äußerlich stark zu zeigen, innerlich sieht es ganz anders aus", antwortet Gamze. Sie ist nun verheiratet, macht eine Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin. Äußerlich sieht alles gut aus, nur schlafen, das kann sie immer noch nicht. Und erst im März, nach sieben Jahren ist sie das erste Mal wieder zu dem Laden gegangen, wo ihr Vater erschossen wurde. Weil dort ein Gedenkstein gelegt wurde, der an ihren Vater erinnert. Sie bringt immer Kerzen dorthin, abends, wenn sie nicht angesprochen wird.
Im Gericht aber wird sie angesprochen. Olaf Klemke hat Fragen, der Rechtsanwalt, der Ralf Wohlleben verteidigt, den früheren NPD-Funktionär. Klemke will wissen, ob der Junge, den Gamze Kubasiks Bruder damals verhauen hat, Ausländer oder Deutscher war. Ob die Tuscheleien von Deutschen oder Türken kamen. "Was haben diese Fragen für eine Relevanz", fragt der Richter und verbietet sie. Anwalt Klemke protestiert. Gamze Kubasik aber sagt: "Ich habe verstanden, was Sie fragen wollten. Danke."