An diesem Freitag ist es fünf Jahre her, dass sich die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt das Leben nahmen und die Welt kurz darauf von der Existenz des NSU erfuhr. Seit dreieinhalb Jahren läuft der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte vor dem Oberlandesgericht München. Die Süddeutsche Zeitung hat Verteidiger und Nebenklagevertreter gefragt, wie sie den aktuellen Stand der Aufklärung beurteilen. Welche Fragen gilt es noch zu klären? Welchen Verhandlungstag haben sie als besonders schlimm erlebt, welchen in besonders positiver Erinnerung? Entstanden sind persönliche Rück- und Ausblicke von Akteuren im derzeit wichtigsten Prozess der Republik.
Gamze Kubaşık ist die Tochter von Mehmet Kubaşık. Ihr Vater wurde am 4. April 2006 in seinem Kiosk in Dortmund ermordet. Er ist das achte Mordopfer des NSU. Gamze Kubaşık nimmt als Nebenklägerin am NSU-Prozess teil. Im Interview erinnert sie sich an den Beginn des Prozesses, als sie voller Hoffnung war, dass das Aufklärungsversprechen, das ihr von allen Seiten gegeben wurde, eingehalten würde. Eine Hoffnung, die sich für sie bisher nicht erfüllt hat.
SZ: Vor fünf Jahren hat die Welt von der Existenz des NSU erfahren. Seit dreieinhalb Jahren läuft der Prozess vor dem OLG München. Welche Frage muss noch dringend geklärt werden?
Kubaşık: Bis jetzt ist, ehrlich gesagt, keine meiner Fragen wirklich beantwortet. Es fällt mir schwer, nun eine Frage von den vielen offenen herauszupicken. Die dringendste Frage für mich ist: Wer war an den Morden noch beteiligt? Wer hat denen geholfen? Ich gehe davon aus, dass viele Mitwisser und Helfer noch frei herumlaufen. Das kann ich schwer ertragen. Auch interessiert mich natürlich, wer alles vom Verfassungsschutz schon vor November 2011 Bescheid wusste und warum niemand von denen die Morde verhindert hat.
Welcher Verhandlungstag ist Ihnen als besonders schlimm in Erinnerung?
Alle Verhandlungstage, an denen ich da war, waren für mich schlimm, weil ich diesen Angeklagten gegenübersaß. Am schlimmsten war aber der Verhandlungstag, an dem es zum ersten Mal um den Mord in Dortmund ging. Es wurden Tatortfotos von meinem ermordeten Vater gezeigt. Ich konnte das nicht sehen. Ich musste rausgehen. Ich wollte auch vor den Angeklagten keine Schwäche zeigen.
Welcher Prozesstag ist Ihnen in besonders positiver Erinnerung?
Der erste Verhandlungstag war für mich sehr wichtig. Ich kam mit gemischten Gefühlen; dachte, jetzt gibt es endlich Gerechtigkeit, jetzt werden endlich alle Fragen beantwortet. Ich wusste, dass der Prozess lange dauern wird, hatte aber große Hoffnungen und habe darauf vertraut, dass die Aufklärungsversprechen, die ich von so vielen Verantwortlichen bekommen hatte, eingehalten werden. In dieser Hoffnung wurde ich nun nach über drei Jahren Prozess enttäuscht. Dennoch ist mir der erste Verhandlungstag positiv in Erinnerung, weil ich das Gefühl hatte, jetzt beginnt ein Prozess, der nach so vielen Jahren der Ungewissheit Antworten bringt.
Wie hat der Prozess Ihr Leben beeinflusst?
Dieser Prozess ist für mich als Angehörige belastend. Irgendwann möchte ich damit auch abschließen können. Auf der anderen Seite will ich aber Gerechtigkeit - will zumindest meine und unsere wichtigsten Fragen beantwortet haben. Aber ich weiß leider auch schon heute, dass das wahrscheinlich nicht passieren wird.
Wann, denken Sie, wird das Urteil fallen?
Da kann ich nicht viel zu sagen. Es kann sich natürlich immer verzögern. Was ich aber jetzt schon weiß, ist, dass die Aufklärung mit diesem Urteil nicht zu Ende sein kann.
Was wird man in zehn Jahren über den NSU-Prozess sagen?
Man wird sagen, dass es noch ganz viele ungeklärte Fragen gibt. Es werden immer noch neue Sachen herauskommen, mit denen wir konfrontiert werden - über die wir schockiert sind. Wir werden als Familie wahrscheinlich nie zu dem Punkt kommen, an dem wir endgültig abschließen können. Wir haben aber als Angehörige das Recht, auf unsere wichtigsten Fragen Antworten zu bekommen. Die werden wir wahrscheinlich auch in zehn Jahren nicht bekommen. Es wird immer etwas offenbleiben.