Rechtsterrorismus:Verteidiger im NSU-Prozess setzen auf Verzögerungstaktik

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Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe und ihre Verteidiger am Mittwoch im Oberlandesgericht München. Sie werden erst in drei Wochen wieder hier sitzen. (Foto: Tobias Hase/dpa)
  • Mit einer Serie von Befangenheitsanträgen haben zwei der Angeklagten im NSU-Prozess das Gericht unter Druck gesetzt.
  • Nach drei Wochen Unterbrechung konnte das Gericht erst kurz vor Ende der gesetzlichen Frist wieder verhandeln, ab der das Verfahren ausgesetzt und von vorn begonnen werden müsste.
  • Der Beginn der mit Spannung erwarteten Plädoyers der Nebenklage verzögert sich mindestens auf den 24. Oktober.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger und Wiebke Ramm, München

Es ist ein Machtkampf. Ein Kampf zwischen Gericht und Verteidigung, ein Kampf darum, ob dieser Prozess fortgeführt werden kann oder nicht. Ob er auf den letzten Metern platzt. Seit dem 13. September ist der NSU-Prozess unterbrochen, wenn es an diesem Mittwoch nicht weitergeht, dann müsste der ganze NSU-Prozess von vorne beginnen, all die 383 Verhandlungstage, die seit Mai 2013 vor dem Oberlandesgericht München stattgefunden haben. So sieht es Paragraf 229 der Strafprozessordnung vor. Dieser Paragraf ist allen im Saal bekannt. Und für die meisten ist er ein Albtraum.

Aber nicht für den Verteidiger des engsten Freundes und Unterstützers des NSU-Trios, Andre E. , den Berliner Anwalt Michael Kaiser. Seinen Mandanten, einen bekennenden Neonazi, hat das Gericht am 13. September in Haft nehmen lassen, er sei dringend verdächtig der Beihilfe zum versuchten Mord. Die Bundesanwaltschaft hatte für ihn zwölf Jahre Haft gefordert, ein Paukenschlag, mit dem Andre E. und sein Anwalt Kaiser offenbar nicht gerechnet hatten.

Mehr als vier Jahre lang hatte Andre E.s Verteidigung kaum ein Wort gesagt, nun dreht sie auf. Kaiser hat bereits in den vergangenen drei Wochen eine ganze Reihe von Befangenheitsanträgen gegen das Gericht gestellt, am Mittwochmorgen um 8.30 Uhr kommt noch ein neuer dazu. "Es wundert mich schon, dass Sie diese Sitzung überhaupt eröffnen", sagt Kaiser zum Vorsitzenden Richter Manfred Götzl. Und schiebt in der ersten Pause gleich den nächsten Befangenheitsantrag nach und in der zweiten Pause dann den dritten.

Zschäpe drohen 20 Jahre Haft

Die Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben stellt ebenfalls zwei Befangenheitsanträge. Um 11.30 Uhr sind es bereits fünf, dazu kommen noch drei ältere, die noch nicht entschieden sind. Das Gericht sieht sich nun acht Befangenheitsanträgen gegenüber. Um 12 Uhr sind es dann schon zehn, Kaiser und die Verteidigung von Wohlleben haben zwei weitere für Donnerstagmorgen avisiert. Es ist eine Kaskade von Befangenheitsanträgen, die es bisher in diesem Verfahren noch nicht gegeben hat.

Normalerweise wird in so einem Fall die Verhandlung unterbrochen. Aber Richter Götzl unterbricht nicht. Denn er weiß, er darf jetzt nicht unterbrechen - sonst könnte alles von vorn beginnen. Denn die Verhandlung darf nur 21 Tage ruhen - diese Frist ist um. Götzl beruft sich auf den Beschleunigungsgrundsatz, immerhin säßen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben schon fast sechs Jahre in Haft. Die Verteidiger beanstanden diese Verfügung. Das Gericht geht raus, berät, kommt wieder ein, erhält einen neuen Antrag, geht wieder raus, kommt wieder rein.

Götzl will sich nicht beugen, er will etwas Wichtiges sagen - auch, um die Frist einzuhalten. Endlich, nach vier, fünf Unterbrechungen schafft er es dann: Er gibt eine ganze Reihe rechtlicher Hinweise an die Angeklagten, der Wichtigste: Die Hauptangeklagte Zschäpe muss im Fall einer Verurteilung damit rechnen, dass das Gericht bei ihr die besondere Schwere der Schuld feststellt - das bedeutet, dass sie sicher länger als 20 Jahre in Haft bleiben wird.

Das Gericht ist offensichtlich gewillt, sie als gleichberechtigtes Mitglied der Terrortruppe NSU zu sehen. Auch das hat es in einem rechtlichen Hinweis deutlich gemacht: Denn es sieht sie als Miteigentümerin der Waffen des NSU, der elektronischen Ausstattung und der Datenträger, auf denen das Bekennervideo gespeichert war. All diese Dinge würden, so ein Hinweis des Gerichts, dann eingezogen. Es muss alles seine Ordnung haben.

Der Prozess, der sich seit viereinhalb Jahren mit zehn Morden, 15 Raubüberfällen und drei Sprengstoffanschlägen befasst, behält auch die kleinen Dinge im Blick: So gibt Götzl den Hinweis, dass die Angeklagten Andre E. und Holger G., bei denen das NSU-Trio vor Jahren mehrere Tausend Euro aus Raubüberfällen für den Notfall deponiert hatte, das Geld nicht einfach behalten dürfen - ein Gericht wird darüber entscheiden, wie sie den Wert an die Geschädigten zurückerstatten müssen. Und beim Angeklagten Holger G. macht das Gericht deutlich, dass es ihm im Fall einer Verurteilung die bürgerlichen Ehrenrechte aberkennen könnte.

Das Gericht hat schon jedes Detail bedacht - doch es kann nicht zum Ende gelangen. Über diesen Verhandlungstag hat sich Götzl gerettet, doch am Ende der Verhandlung setzt er den Prozess bis zum 24. Oktober aus - das sind fast drei Wochen. Bis dahin soll über die Befangenheitsanträge entschieden sein. Damit kommt Götzl schon wieder haarscharf an die Frist heran, über die hinaus er nicht unterbrechen darf. Dabei warten die Nebenkläger darauf, dass sie endlich mit ihren Plädoyers beginnen dürfen.

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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