Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Verteidiger fordert sofortige Freilassung Zschäpes

  • "Beate Zschäpe ist keine Terroristin. Sie ist keine Mörderin und keine Attentäterin", sagt Verteidiger Wolfgang Heer im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München.
  • Zschäpe habe sich lediglich der einfachen Brandstiftung schuldig gemacht - sie sei daher unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
  • Das Verfahren gegen die Hauptangeklagte sei von Anfang an von Vorverurteilung geprägt gewesen, sagt der Verteidiger zu Beginn seines Plädoyers.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Wolfgang Heer redet nicht lange drumrum. Gleich in den ersten Minuten seines Plädoyers fordert er die Freilassung von Beate Zschäpe. "Beate Zschäpe ist keine Terroristin. Sie ist keine Mörderin und keine Attentäterin", sagt der Verteidiger am Dienstag im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Sie sei wegen aller angeklagten Staatsschutzdelikte freizusprechen und unverzüglich aus der Untersuchungshaft freizulassen.

Dass Zschäpe die Wohnung in der Frühlingsstraße in Zwickau nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Herbst 2011 in Schutt und Asche legte, sei auch nicht - wie es die Bundesanwaltschaft tut - als besonders schwere, sondern nur als einfache Brandstiftung zu werten. Einfache Brandstiftung - "dies ist alles, was von der Anklage des Generalbundesanwalts übrig bleibt", sagt Heer. Auf einfache Brandstiftung stehe eine Freiheitsstrafe von ein bis zehn Jahren. Zschäpe ist seit sechs Jahren und sieben Monaten in Untersuchungshaft, daher habe sie den Großteil einer möglichen Strafe in jedem Fall bereits abgesessen, sagt ihr Verteidiger - und fordert ihre Freilassung.

Zschäpe hält sich die Hand vor dem Mund. Sie guckt Heer nicht an. Ihr Verteidiger steht rechts neben ihr. Sie aber guckt konsequent geradeaus, zeigt keinerlei Reaktion. Zumindest aber scheint sie ihrem Verteidiger zuzuhören.

Zschäpe muss sich unter anderem wegen Mittäterschaft an zehn Morden, Dutzenden Mordversuchen, zwei Bombenanschlägen, 15 Raubüberfällen und wegen besonders schwerer Brandstiftung vor Gericht verantworten. Fast 14 Jahre lang hat sie mit Mundlos und Böhnhardt im Untergrund gelebt. Mit den beiden Neonazis soll die 43-Jährige 1998 die rechtsterroristische Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gegründet haben. Die Bundesanwaltschaft hat für Zschäpe eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung gefordert. Verteidiger Heer widerspricht der - wie er sie nennt - "monströsen Anklage" gleich zu Beginn seines Schlussvortrags in nahezu allen Punkten.

"Frau Zschäpe hat keine Morde geplant", sagt Heer: "Sie hat keine Waffen beschafft. Sie hat an den Taten nicht mitgewirkt. Sie war noch nicht einmal in der Nähe auch nur eines Tatortes und hat die Straftaten von Mundlos und Böhnhardt auch nicht vom Küchentisch aus gesteuert." Er sagt auch, dass das Verfahren gegen seine Mandantin von Anfang an von Vorverurteilung geprägt gewesen sei. Es habe eine "Vielzahl von Fairnessverstößen" gegeben, die sich strafmildernd auszuwirken hätten.

Zschäpe spricht seit Jahren nicht mehr mit Heer

Heer wird sein Plädoyer voraussichtlich noch am Mittwoch fortsetzen. Danach - wohl am Mittwoch und Donnerstag - sollen Zschäpes weitere Verteidiger Wolfgang Stahl und Anja Sturm plädieren. Heer verteidigt Zschäpe seit 2011, zeitnah holte er Stahl und Sturm ins Team. Seit 2015 hat sich Zschäpe von den dreien abgewandt. Damals hat sie mit Mathias Grasel einen vierten Pflichtverteidiger bekommen und wird zusätzlich von Wahlverteidiger Hermann Borchert vertreten. Sie spricht seit Jahren nur noch mit Borchert und Grasel.

Nachdem sie zweieinhalb Jahre lang auf Anraten von Heer, Stahl und Sturm im Prozess geschwiegen hatte, ließ sie ihre beiden neuen Anwälte eine Aussage verlesen. Darin teilte Zschäpe mit, dass sie von den Morden und Anschlägen jeweils erst hinterher erfahren habe. Sie sei furchtbar entsetzt gewesen, hätte aber weitere Taten nicht verhindern können. Nur mit den Raubüberfällen sei sie einverstanden gewesen, zur Sicherung des Lebensunterhalts im Untergrund.

Zschäpes Vertrauensanwälte haben bereits im April plädiert. Grasel und Borchert trugen vor, dass für Zschäpe eine Gesamtfreiheitsstrafe von maximal zehn Jahren tat- und schuldangemessen sei. Zschäpe sei nur wegen Beihilfe zu 15 Raubüberfällen und wegen besonders schwerer Brandstiftung zu verurteilen. Zu Unrecht, meinen ihre Altverteidiger. Heer, Stahl und Sturm kommen zu einem anderen Ergebnis - und beantragen, Zschäpe sofort freizulassen.

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