NSU-Prozess:Verräterische Zeilen an den Neonazi-Brieffreund

NSU Prozess

Beate Zschäpe am 1. Dezember beim NSU-Prozess

(Foto: dpa)
  • Im NSU-Prozess geht das Münchner Gericht einen ungewöhnlichen Schritt: Es beschlagnahmt einen Brief der Hauptangeklagten.
  • Denn der verschaffe Einblick in die "zeitüberdauernden Persönlichkeitsmerkmale" von Beate Zschäpe.
  • Und die stellen sich ganz anders dar, als es ihr lieb sein kann.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger und Wiebke Ramm

Sie hat sich als schwache Frau dargestellt, als eine, die ganz auf ihre Gefährten angewiesen war und nicht die Kraft hatte, sich von ihnen zu lösen. Vor genau einem Jahr hat die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, zum ersten Mal gesprochen. Und das Bild, das sie von sich zeichnete, beschäftigt seitdem das Gericht.

Ist sie wirklich nur die Hausfrau, die ihren Männern die Wäsche machte, aber nichts wusste von den Morden - so wie sie sagte? Oder ist sie die selbstbewusste Mittäterin - gleichberechtigt mit den NSU-Mördern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt -, wie die Anklage findet?

Nun will das Gericht dieser Frage mit einem ungewöhnlichen Schritt auf den Grund gehen: Es hat einen Brief beschlagnahmt, den Zschäpe im Jahr 2013 aus der Haft heraus an einen Brieffreund schrieb - einen früheren Neonazi, der wegen eines bewaffneten Raubüberfalls in Bielefeld in Haft saß.

Der Brief hat es in sich: Zschäpe zeigt sich darin dominant und sehr selbstbewusst, sie weist ihren Brieffreund in die Schranken und ist darin alles andere als das arme Hascherl, als das ihre neuen Anwälte Mathias Grasel und Hermann Borchert sie zeichnen.

Sie schreibt dem Mann, es könne sein, dass er in ihr "seine Meisterin" gefunden habe. Sie macht auch deutlich, wie cool sie sein kann: Übersteigerte Illusionen seien etwas "für dumme Gänse". Und sie gibt Einblick in ihre Persönlichkeit: Sie habe den nötigen Durchblick, schreibt sie, und es liege ihr nicht, jemanden im Stich zu lassen. Die Umstände müssten mehr als verfahren sein, als dass sie jemanden im Dreck liegen lasse. Auch stehe sie überschwänglichen Gefühlsausbrüchen eh skeptisch gegenüber.

Das alles lässt tief blicken. Offenbar sieht auch das Gericht das so. Es setzte sich mit der Beschlagnahme über alle Einwände von Zschäpes Altverteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm hinweg, die darin eine Verletzung von Zschäpes Persönlichkeitsrechten und ihres Privatbereichs sehen.

Das Gericht beschloss nun, der Brief sei wichtiger als diese Einwände. "Das Interesse an einer effektiven Strafverfolgung und die gerichtliche Wahrheitsfindung überwiegen das Persönlichkeitsrecht von Beate Zschäpe und ihrem Brieffreund", erklärte das Gericht in seinem Beschluss. Den Briefpartner hatte das Gericht eigens angeschrieben, auch er hatte sich gegen die Beschlagnahme des Briefes gewandt.

Gericht sieht "zeitüberdauernde Persönlichkeitsmerkmale"

Der wichtigste Satz in dem Gerichtsbeschluss: Aus dem Brief ließen sich Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der Angeklagten ziehen, "insbesonders zu ihrem Selbstverständnis, ihrer Selbstständigkeit und zu ihrem Verhalten zu Dritten" - also alles, was für die Beurteilung ihrer Rolle in dem Dreierteam des NSU von Bedeutung ist.

Und das Gericht geht noch weiter: Die Selbstbeschreibung könne für ihre potenzielle Mitwirkung bei den angeklagten Taten von Bedeutung sein - das hatten auch eine ganze Reihe von Nebenklägern um Alexander Hoffmann so gesehen, die beantragt hatten, den Brief zu verlesen.

In dem Brief kämen "zeitüberdauernde Persönlichkeitsmerkmale" von Zschäpe zum Vorschein, begründet das Gericht diese Sichtweise. "Der Angeklagten liegen schwerwiegende Staatsschutzdelikte zur Last, für deren Beurteilung die Persönlichkeit der Angeklagten von Bedeutung ist. Der Brief ist geeignet, die Angaben der Angeklagten hinsichtlich ihrer Persönlichkeit zu überprüfen."

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