Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Uwe, der fremde Sohn

Im NSU-Prozess sagt die Mutter von Uwe Mundlos aus. Was sie erzählt, zeigt vor allem eines: Ilona Mundlos wusste nur wenig über ihr Kind. Dass ihr Sohn und seine Freundin Beate Zschäpe noch andere Interessen als Disco hatten, bekam sie nicht mit.

Von Annette Ramelsberger

Es muss ein sehr atemloses Leben gewesen sein, das Ilona Mundlos führte. Morgens machte sie ihren älteren Sohn Robert fertig für die Schule, sie musste ihm beim Waschen helfen, bei der Toilette, beim Anziehen. Ihr Sohn Robert ist Rollstuhlfahrer, schwerst behindert. Dann ging sie einkaufen, kochte für die Familie, spätestens um zwei Uhr nachmittags rannte sie dann rüber in die Kaufhalle, wo sie jeden Tag arbeitete, die Spätschicht, oft bis 22 Uhr. Am nächsten Tag ging es von vorne los. Sohn versorgen, Haushalt, Kaufhalle.

Es ist nicht ganz verwunderlich, dass diese Frau ihren jüngeren Sohn Uwe ein wenig aus den Augen verlor. Mit dem lief ja alles glatt. Schule, Lehre, Bundeswehr. Und was nicht glattlief, das drang nicht wirklich zu ihr durch. Darum kümmerte sich ja auch ihr Mann, der Informatikprofessor. So hatten sie sich das aufgeteilt: Die Mutter kümmerte sich um den behinderten Robert, der Vater um den pflegeleichten Uwe. Und dann stand Uwe eines Tages im Januar 1998 plötzlich bei ihr in der Kaufhalle und sagte, es sei etwas Schlimmes passiert und er brauche Geld.

Man sieht Ilona Mundlos an, wie gehetzt sie ist. Sie ist an diesem Tag Zeugin im NSU-Prozess und ihre Hände fliegen. Immer wieder streicht sie sich das blonde Haar hinter die Ohren zurück. 63 ist sie nun, sie wirkt jünger, lebendiger, immer in Bewegung. Aber es scheint, als reiche ihre Energie gerade dafür, das tägliche Leben in Schwung zu halten. Sie löst Probleme, sie sucht sie nicht. Und deswegen reagiert sie in der Kaufhalle auch so, wie sie oft zu agieren scheint: schnell, gehetzt, atemlos.

Das letzte Gespräch mit ihrem Sohn dauerte fünf Minuten

Ihr Sohn steht da und braucht Geld. Und sie gibt ihm ihre EC-Karte, ganz schnell, weil ja schon wieder Kunden warten. Zwei Tage später kommt der Sohn wieder in die Kaufhalle. Es ist schon spät. "Der Chef wartete, er wollte fertig machen, ich musste noch das Fleisch abdecken", sagt Ilona Mundlos. "Ich wollte kein Zwei-, Drei-Stundengespräch führen." Es war das letzte Gespräch, das sie mit ihrem Sohn führte. Und es dauerte nur fünf Minuten.

Der Sohn sagt ihr, in einer Garage sei etwas gefunden worden, aber mit den Waffen habe er nichts zu tun. Nur mit dem Schreibkram. Ein Anwalt habe ihnen gesagt, darauf stünden sieben Jahre, sie müssten jetzt weg, in zehn Jahren sei es verjährt, dann könne er wiederkommen. "Er sagte, er will sich verabschieden, er verschwinde jetzt", sagt Ilona Mundlos. "Das waren seine letzten Worte. Ich hab nicht geglaubt, dass es das allerletzte Mal sein sollte. Ich habe verkauft, ich stand im Kittel. Ich hatte Kunden." Sie hatte keine Zeit.

Sie hat ihren Sohn nie wiedergesehen. Erst 13 Jahre später, am 5. November 2011, rief morgens um acht Uhr eine Frau bei ihr an und sagte, sie sei Beate, die Beate von Uwe. Jene Freundin, die er Mitte der Neunzigerjahre hatte und mit der er und Uwe Böhnhardt damals untergetaucht waren. Es sei was Schlimmes passiert, Uwe sei tot. Und sie solle den Fernseher anmachen, da sehe sie schon die Sache mit Eisenach. Dort waren Böhnhardt und Mundlos nach einem Bankraub in ihrem Wohnmobil umstellt worden und hatten sich erschossen.

"Dass Uwe uns lieb hat, so Blabla."

"Was hat sie gesagt, wie die beiden zu Tode gekommen sein sollen", fragt Richter Manfred Götzl. "Sie sagte: Die haben sich in die Luft gesprengt. Und ich fragte dann, auch der Uwe Böhnhardt? Da sagte sie, auch er hat sich in die Luft gesprengt." - "Was hat sie noch gesagt?", fragt der Richter. "Dass Uwe uns lieb hat, so Blabla. Ich fragte noch, Beate rufst du uns noch mal an. Nein, sagte sie. Nein, ich rufe nie wieder an und komme auch nie wieder zurück." Ilona Mundlos sieht die frühere Freundin ihres Sohnes zum ersten Mal seit fast 20 Jahren wieder. Im Gerichtssaal.

Dabei war Zschäpe bei ihr früher zum Kaffeetrinken, zum Mittagessen. Sie war die erste Freundin ihres Sohnes. Er vergötterte sie, sagt die Mutter. Selbstbewusst kam ihr Beate vor, Uwe hörte auf sie. Er zog sogar die Springerstiefel aus, wenn Beate mit ihm in die Disco wollte. Aber dass die jungen Leute auch noch andere Interessen hatten als Disco, bekam die Mutter nicht mit, sagt sie. Dass die Uwes in nachgemachten SA-Uniformen über die KZ-Gedenkstätte Buchenwald marschierten? "Er sagte nur, er habe jetzt ein Verbot, nach Buchenwald zu gehen", sagt die Mutter. "Haben Sie nachgefragt?", fragt der Richter. "Nein, das hat mein Mann gemacht."

Vater Mundlos hatte bei seiner Vernehmung im Dezember den Richter angefaucht, er sei ein "Klugsch . . .". Der Richter wollte nur wissen, ob er mit seinem Sohn Uwe auch tiefere Gespräche geführt habe.

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SZ vom 04.04.2014/ahem
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