Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Tag mit grausigen Details

Im NSU-Prozess versucht ein Rechtsmediziner, den Mordanschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn zu rekonstruieren. Der Anklage zufolge soll Uwe Mundlos den tödlichen Schuss auf Michèle Kiesewetter abgegeben haben. Der Gutachter hält Blutspritzer auf einer Jogginghose für ein wichtiges Indiz.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Wenn Rechtsmediziner loslegen, werfen sie gern mit Fachbegriffen um sich. So ist es auch am Mittwoch im NSU-Prozess. Es geht an diesem 77. Verhandlungstag erneut um den Mordanschlag am 25. April 2007 auf zwei Polizisten in Heilbronn. Als Sachverständiger ist Heinz-Dieter Wehner geladen, Rechtsmediziner und Physiker. Der Professor aus Tübingen stellt die Obduktionsergebnisse vor.

In näselndem Singsang spricht er von einer "Vermaßung" der Leiche. Die Polizistin Michèle Kiesewetter starb nach einem Schuss in den Kopf. Der Gutachter zeigt Modelle eines Schädels, spricht von Berstungsbrüchen und erläutert in allen grausigen Details die Folgen des Schusses. Zumindest musste die Polizistin offenbar nicht lange leiden. Das Gehirn setzte aus, und sie war tot.

Professor Wehner hat versucht, die Schussverläufe zu rekonstruieren. Die Schützen müssen sich demnach jeweils in geringer Entfernung vor den vermutlich geöffneten Türen des Streifenwagens aufgestellt haben, in dem die Opfer saßen.

In jedem Falle waren die Fensterscheiben heruntergekurbelt, und die Täter schossen den überraschten Polizisten in den Kopf. Der Beamte auf dem Beifahrersitz, Martin A., überlebte schwer verletzt. Er hat vergangene Woche als Zeuge ausgesagt, sich an die Tat selbst aber nicht mehr erinnern können.

Die Anklage geht davon aus, dass Beate Zschäpes Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Schüsse abgaben. Der Professor zeigt Computersimulationen, die etwas über die Größe der Täter verraten sollen. Es geht um Einfalls- und Ausfallswinkel, um die Schussbahn, um das Muster der Blutspuren - alles bedeutungsschwer vorgetragen, obwohl die Ergebnisse so sensationell nicht sind.

Vieles bleibt vage, nur eines ist für den Gutachter klar: Die Täter können nicht allzu klein gewesen sein. Zu Mundlos und Böhnhardt würden die Schussverläufe dagegen durchaus passen.

Es geht dann auch noch um die Blutspritzer an einer Jogginghose, die Uwe Mundlos getragen haben soll. Das Blut stammt von Michèle Kiesewetter, die Hose wurde 2011 im NSU-Versteck in Zwickau gefunden. Warum der Terrorist darauf verzichtet hat, die Hose gründlich zu reinigen oder zu beseitigen, ist unklar.

Eine Art Trophäe

Der NSU hat die Dienstwaffen, die den Beamten entrissen wurden, wie Trophäen im Wohnmobil mitgeführt und auch im Bekennervideo präsentiert. Möglicherweise war die blutbespritzte Jogginghose ebenfalls eine Art Trophäe.

Der Gutachter nimmt an, dass die feinen Blutspritzer direkt nach der Schussabgabe entstanden sind. Es geht nun wieder um große Wissenschaft, um Wurfparabeln und die "Physik des schiefen Wurfs". Am Ende bleibt übrig: Die Indizien legen nahe, dass Uwe Mundlos den Schuss auf Kiesewetter abgab. Und Uwe Böhnhardt könnte demnach auf Martin A. geschossen haben.

Die Terroristen waren am Tattag offenbar mit einem angemieteten Wohnmobil unterwegs. Das zeigen die spätere Ermittlungen. Das Fahrzeug wurde nach dem Entdecken des NSU ausfindig gemacht, Spuren von Böhnhardt oder Mundlos wurden darin allerdings nicht gefunden, wie ein LKA-Beamter am Mittwoch aussagte.

Das Chemnitzer Kennzeichen des Wohnmobils ist bereits 2007, etwa eine halbe Stunde nach dem Mordanschlag, bei einer Kontrollstelle im Rahmen der Ringfahndung notiert worden. Die Polizei erfasste damals mehr als 33 000 Fahrzeuge. Angehalten und durchsucht wurde das Wohnmobil nicht. Unbehelligt fuhren die Terroristen davon.

BKA hält Schwager von Ralf Wohlleben für "glaubwürdig"

Später sagt im Prozess noch ein BKA-Beamter aus, der das Umfeld der ermordeten Polizistin abgeklärt hatte. Es gebe keine Hinweise darauf, dass Kiesewetter Kontakte zur rechten Szene hatte. Der Zeuge spricht auch an, dass Kiesewetters Gruppenführer früher Mitglied in einem deutschen Ableger des Ku Klux Klan war.

Das BKA sieht keinen Zusammenhang zum Anschlag von Heilbronn. Das ehemalige Klan-Mitglied ist weiter im Polizeidienst. Im Ku Klux Klan war in den Jahren 2002/03 auch ein V-Mann des Verfassungsschutzes Mitglied, Deckname Corelli. Dessen Rufnummer stand auf einer Liste von Uwe Mundlos, die 1998 bei einer Razzia gefunden wurde. Corelli sagte bei der Polizei, er habe keinen Kontakt zum NSU gehabt. Ebenfalls wies der BKA-Ermittler im Gericht einen Zusammenhang zwischen dem Mordanschlag in Heilbronn und Kiesewetters Herkunft zurück. Die Polizistin stammte aus einem kleinen Ort in Thüringen. Dort betrieb zeitweise David F. einen Gasthof. David F. hatte nach eigenen Angaben einmal eine Affäre mit Beate Zschäpe.

Er ist zudem der Schwager von Ralf Wohlleben, der als mutmaßlicher NSU-Unterstützer vor Gericht steht. David F. habe jedoch "glaubwürdig", wie der Ermittler sagt, dargelegt, dass er nach dem Untertauchen von Zschäpe und ihren beiden Freunden kein Kontakt mehr zu diesem Trio gehabt habe. Die Möglichkeit, dass jemand das BKA belügt, nennt der Ermittler nicht.

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