NSU-Prozess:Streit der Zschäpe-Gutachter

Fortsetzung NSU-Prozess

Über die Beurteilung von Beate Zschäpe könnte es erneut zum Gutachter-Streit kommen.

(Foto: dpa)
  • Vor genau vier Jahren hat in München der NSU-Prozess begonnen - aktuell streiten Psychiater über die Persönlichkeit der Hauptangeklagten.
  • Ein Gutachter der Verteidigung hält Zschäpe für psychisch krank und vermindert schuldfähig.
  • Eine Opferanwältin kritisiert das Gutachten als methodisch zweifelhaft und fordert das Gericht nun auf, es von einem anderen Gutachter überprüfen zu lassen.

Von Wiebke Ramm

Doris Dierbach, Anwältin der Familie des Kasseler NSU-Opfers Halit Yozgat, hat in einem Schreiben an das Oberlandesgericht München deutliche Kritik an dem Gutachten von Beate Zschäpes Psychiater Joachim Bauer geübt. Bauer hatte im Auftrag von Zschäpes Verteidigern Hermann Borchert und Mathias Grasel vor Gericht vorgetragen, dass er die mutmaßliche Rechtsterroristin für psychisch krank und vermindert schuldfähig hält. Dierbach regt nun an, die weitere Befragung Bauers im NSU-Prozess in Anwesenheit des methodenkritischen Gutachters Pedro Faustmann aus Bochum durchzuführen.

"Es bestehen ganz erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit des bislang erstatteten Gutachtens", heißt es in dem Schreiben von Freitag, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Dierbach kritisiert darin, "dass Herr Professor Bauer meint, zu einer Einschätzung der Persönlichkeit von Frau Zschäpe kommen zu können, ohne eine umfassende Information über den Inhalt der Ermittlungsakten, den Gang der Hauptverhandlung und insbesondere auch eine vollständige Exploration der Angeklagten selbst zu verfügen". Bauer sei durch die Verteidigung extrem selektiv informiert worden. Wegen Zweifeln an "der Methodik der Gutachenerstattung" sei es angebracht, bei der weiteren Befragung Bauers, Professor Faustmann als methodenkritischen Sachverständigen hinzuzuziehen.

Psychiater Bauer ist nach 14 Stunden Gespräch mit Zschäpe zu der Erkenntnis gelangt, dass sich die mutmaßliche Rechtsterroristin im Zeitraum der NSU-Verbrechen aufgrund einer abhängigen Persönlichkeitsstörung nicht von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt trennen konnte. Zschäpe hatte Bauer berichtet, dass Böhnhardt sie über Jahre massiv körperlich misshandelt habe. Sie machte auch Angaben zum Zusammenleben mit ihrer alkoholkranken Mutter und über schwierige familiäre Bedingungen.

Wie glaubhaft sind Zschäpes Angaben? Diese Frage hat sich auch Bauer gestellt. Er machte sich nach eigenen Angaben daran, den realen Hintergrund ihrer Angaben zu überprüfen.

Es fehlen die Realkennzeichen

Zu den Kriterien, anhand derer Rechtspsychologen und forensische Psychiater die Qualität einer Aussage beurteilen, gehört der spontan geäußerte Detailreichtum, die Plastizität einer Darstellung. Auch das Abschweifen in scheinbar nebensächliche Details ist ein Hinweis darauf, dass eine Erzählung auf einem realen Erlebnis basiert. Realkennzeichen heißen solche Merkmale, die eine Aussage glaubhaft erscheinen lassen.

Ein Hinweis darauf, dass Zschäpe einen Übergriff von Böhnhardt noch konkret vor Augen hat, wäre zum Beispiel, wenn sie gesagt hätte: Als Böhnhardt sie geschlagen habe, sei sie hingefallen und dabei gegen den Küchentisch gestoßen, wo noch das Frühstücksgeschirr stand. Sie habe noch das Bild vor Augen, wie sie auf dem Boden liegend auf den Kaffee starrte, der aus der umgeworfenen Tasse das Tischbein runterlief. Etwas in dieser Art.

Stattdessen heißt es in Bauers Gutachten lediglich: Bei einem Angriff sei Zschäpe "wegen der Schläge gegen das Gesicht zu Boden gegangen und dort von Uwe Böhnhardt mit dem Fuß weiter gegen den Bauch getreten worden, worauf sie sich erbrochen habe". Realkennzeichen lassen sich in dieser Verknappung nicht identifizieren.

Nicht nur die Qualität einer Aussage, auch ihre Entstehungsgeschichte und die Entstehungsbedingungen spielen eine Rolle bei der Bewertung.

Warum die Personalie Pedro Faustmann bemerkenswert ist

Erst ab Dezember 2015 fing Zschäpe an, sich im NSU-Prozess schriftlich als Opfer von Mundlos und Böhnhardt darzustellen. Erst lieferte sie über ihre damals neuen Verteidiger Borchert und Grasel rudimentäre Andeutungen, dann reichte sie über Monate in einem zeitraubenden und zeitverzögerten Frage-Antwort-Prozedere Fragmente nach. Die detaillierteste Schilderung gab sie nun offenbar Bauer, der vor Gericht allerdings darauf verzichtete, zunächst möglichst wortgetreu Zschäpes Bericht wiederzugeben.

Zschäpe ist mittlerweile überaus gerichtserfahren. Vor genau vier Jahren, am 6. Mai 2013, hat der NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München begonnen. Bevor die mutmaßliche Rechtsterroristin mit Bauer sprach, hat sie mehr als 500 Zeugenbefragungen vor Gericht erlebt - Bauer keine einzige. Zschäpe wird auch wissen, dass ihr eine Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und damit gut 20 Jahre Gefängnis bevorstehen. Auch vor diesem Hintergrund ist ihre Aussage zu bewerten.

Bauer glaubt ihr. Er nimmt ihr ab, dass sie entsetzt über die zehn Morde und zwei Bombenanschläge gewesen ist, sich aber aufgrund ihrer pathologischen Trennungsangst nicht von Böhnhardt und Mundlos lösen konnte. Ihre sogenannte Steuerungsfähigkeit sei wegen ihrer schweren Persönlichkeitsstörung erheblich eingeschränkt gewesen, was bei einer Verurteilung strafmildernd zu berücksichtigen sei.

Methodenkritiker stand auch schon in Diensten der Zschäpe-Verteidigung

Dass die Nebenklageseite nun Pedro Faustmann als sachverständigen Methodenexperten benennt, ist bemerkenswert. Denn es waren Zschäpes weitere Verteidiger, Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl, die Faustmann in den NSU-Prozess eingebracht haben. Auf ihre Initiative hin hat Faustmann vor Gericht das Gutachten von Psychiater Henning Saß über Zschäpe methodenkritisch auseinandergenommen.

Das Gutachten von Saß steht im Kontrast zum Gutachten von Bauer. Saß sieht bei Zschäpe eine Neigung zu dominantem und manipulativem Verhalten. Zschäpes Angaben, sie habe die Morde nicht gewollt und immer erst hinterher von ihnen erfahren, überzeugen ihn nicht. Saß hält Zschäpe für psychisch gesund, voll schuldfähig und weiter gefährlich.

Faustmann warf Saß in seiner Methodenkritik vor, er missachte wissenschaftliche Standards und neige zu subjektiven Deutungen. Saß wird vom Gericht wohl nichtsdestotrotz auch zum neuen Gutachten von Psychiater Bauer angehört werden. Und wenn es nach Opferanwältin Dierbach ginge, sollte auch Faustmann sagen dürfen, was er von Bauers Gutachten hält.

Am 16. Mai wird der Prozess fortgesetzt.

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