NSU-Prozess:Ralf Wohlleben - noch einer, der von nichts weiß

Ralf Wohlleben

Nach Jahren des Schweigens nun doch aussagebereit: Ralf Wohlleben.

(Foto: dpa)

Der im NSU-Prozess Angeklagte grüßt die Neonazis im Gericht, sagt aber, er sei kein Ausländerfeind und verliest seine Aussage selbst. Sein Auftritt hat viel mit Werbung zu tun.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz

Für die Bundesanwaltschaft ist Ralf Wohlleben die Spinne im Netz, der Mann, der die Hilfe für die drei untergetauchten mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gesteuert hat. Ein ehemaliger NPD-Funktionär, der genau wusste, was er tat. Der wichtigste Angeklagte im NSU-Prozess, nach Beate Zschäpe. Er hat in 250 Verhandlungstagen kein Wort gesprochen. Am Mittwoch hat er nun geredet, überraschend. Und er hat seine Erklärung selbst abgegeben, nicht verlesen lassen durch einen Anwalt wie Zschäpe. Fast zwei Stunden lang zeichnete Wohlleben ein völlig anderes Bild von sich und dem NSU, als es die Anklageschrift tut.

Wohlleben hat eigens ein Video mitgebracht, das er an den Wänden des Gerichtssaals abspielen lässt. "Xenophopie" ist es überschrieben - mit einem P in Phobie, doch das tut nichts zur Sache. Was Wohlleben mit dem Video zeigen will: dass er kein Ausländerfeind ist. Dass er gegen Gewalt ist. Dass er nur aufrütteln will, dass der weltweite Kapitalismus, dass "Industriellengangster und ihre Helfer in der Politik" die Heimat verkaufen und für "Massenzuzug von Ausländern" verantwortlich sind. Lauter coole junge Menschen mit Sonnenbrille und vor Graffiti reden da, und fast könnte man das alles für ein Werbevideo für die nächste linksalternative "Blockupy"-Demo halten.

Was wusste der V-Mann Tino Brandt wirklich über den NSU?

Dieser Auftritt hat sehr viel mit Werbung zu tun. Sorgsam inszeniert. Auf der Anklagebank sitzt Jacqueline Wohlleben und hält ihrem Mann vor der Aussage lange die Hand. Er selbst hat sich die Haare, die er sonst millimeterkurz trägt, in den vergangenen Wochen ein wenig wachsen lassen. Da sitzt ein glückliches, bürgerliches Paar, getrennt durch vier Jahre Untersuchungshaft. Zu Hause warten die kleinen Töchter, auch das betont Wohlleben.

So, wie er immer wieder sagt, wie verantwortungsvoll er sich verhalten habe; dass er selbst dann von Gewalt abgeraten habe, als ihm von Linken das Auto angezündet worden sei - und dass er als treuer Freund nur deswegen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sein Auto zur Flucht geliehen habe, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass die Männer Gewalttaten begehen würden: "Ich war mit ihnen befreundet und hab' sie nur deshalb bei der Flucht unterstützt. Hätte ich gewusst, wie sie sich entwickeln, hätte ich ihnen nicht geholfen."

Von diesem harmonischen Bild lenkt er den Blick weg von sich und der rechten Szene hin zum Staat. Und er streitet ab, was die Anklage ihm vorwirft. Er habe die Beschaffung der Mordwaffe für neun der zehn Morde, die dem NSU angelastet werden, keineswegs in Auftrag gegeben. Er habe auch nicht das Geld dazu gegeben. Er habe selbst keines gehabt. Auch eine zweite Waffe habe er nicht bestellt. Wenn einer Geld gehabt habe, dann doch Tino Brandt, der später als Verfassungsschutz-Spitzel aufgeflogene Anführer des "Thüringer Heimatschutzes". Zu dem hätten Böhnhardt und Mundlos doch auch Kontakt gehabt.

Wohlleben weist die Schuld von sich weg und dem Staat zu

Wohlleben erzählt, wie er sich nach Brandts Enttarnung im Jahr 2001 mit den drei Untergetauchten in Zwickau getroffen habe. Da waren die ersten Morde bereits geschehen. In einem Park in der Nähe des Bahnhofs hätten sie sich getroffen. "Die V-Mann-Tätigkeit von Brandt war das beherrschende Thema. Sie fragten mich, ob er etwas verraten hätte. Ich hielt das für gut möglich. Aus der Bemerkung schloss ich, dass Brandt wusste, wo sie sich aufhalten. Wenn man sie hätte finden wollen, wäre es durch Brandt möglich gewesen."

Es ist ein heimtückischer Satz. Wohlleben weist damit die Schuld von sich weg und dem Staat zu. Der hätte nur seinen V-Mann fragen müssen, wo sich die drei Gesuchten aufhielten. Und dann hätte man sie finden können. Aber es ist nicht nachzuweisen, ob diese Unterhaltung wirklich so stattfand. Hier steht einfach eine Behauptung im Raum. Am Schluss sagt Wohlleben: "Es ist mir unerklärlich, warum der Staat trotz lückenloser Überwachung und der Durchsetzung der Szene mit Spitzeln nicht fähig war, die drei aufzuspüren."

Auf der Tribüne: Männer mit Runen auf der Kleidung

Wohllebens Erklärung ist geschickt durchkomponiert. Er bestreitet zwar nicht, dass er einmal eine Waffe in der Hand hatte, die dann an Böhnhardt geliefert wurde. Doch er streut Zweifel daran, dass es tatsächlich jene Ceska-Pistole war, mit der die Terroristen später neun Migranten ermordeten. Die Waffe, die er gesehen habe, habe anders ausgesehen als die Ceska. Und Wohlleben sagt außerdem, er habe niemals damit gerechnet, dass die ehemaligen Freunde vorhatten, andere zu töten. Er habe gedacht, Böhnhardt wollte nur deshalb eine scharfe Pistole haben, damit er sich notfalls selbst erschießen könnte. So hat es Böhnhardt angeblich angekündigt für den Fall, dass die Polizei ihn entdeckt.

Wohlleben widerspricht den beiden Angeklagten Carsten S. und Holger G., die ihn schwer belastet und erklärt hatten, er habe die Pistolen beschaffen lassen. Carsten S. hatte sogar berichtet, Wohlleben habe lachend mit der Waffe auf ihn gezielt. Das alles dementiert Wohlleben. Er sagt, die beiden würden ihn belasten, um sich selbst zu entlasten. Sie würden sich an viele Dinge nicht richtig erinnern.

Doch auch Wohlleben erinnert sich oft nicht genau: nicht daran, ob Zschäpe oder die Uwes ihn in Zwickau vom Bahnhof abholten, nicht daran, wer ihm vom Untertauchen des Trios berichtete. Wenn man über Gewalt geredet habe, dann nur darüber, wie man sich gegen die Angriffe der "Linken" verteidigen konnte. Solche Angriffe hat es, glaubt man Wohlleben, ständig gegeben, und immer waren die Rechten die Opfer. Selbst als die Neonazis eine Puppe mit einem Judenstern an der Brust an einer Autobahnbrücke aufhängten, sei es nur darum gegangen, die Journalisten in Jena zu zwingen, endlich wieder über die Rechten zu berichten. Um Beate Zschäpe und ihre Taten macht Wohlleben einen großen Bogen. Fast so, als wenn sie überhaupt keine Rolle spielen soll. Nur einmal hebt er sie ausdrücklich heraus: Man habe mir ihr schöne, lange Gespräche führen können.

Nur einmal treffen sich die Blicke der beiden Hauptangeklagten

Nur einmal schaut Zschäpe ihn im Gerichtssaal an. Als er gefragt wird, ob er das Passwort für eine verschlüsselte Festplatte preisgeben wird, die in seinem Computer gefunden wurde. Da wendet sie sich zu ihm und fixiert ihn, die Stirn in Falten gelegt. Er gibt das Passwort nicht heraus.

So wie Zschäpe am Schluss ihrer Erklärung über die Opfer sprach, so sagt auch Wohlleben am Ende: "Ich bin entsetzt, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kaltblütig Menschen ermordet haben. Ich kann es kaum glauben und habe kein Verständnis dafür. Den Angehörigen der Opfer gilt mein Mitgefühl." Seine Frau drückt ihm danach die Hand.

Oben auf der Tribüne sitzt eine Reihe Neonazis rund um Karl-Heinz Statzberger, der wegen eines geplanten Anschlags auf das Jüdische Gemeindezentrum in München verurteilt worden war. Männer mit Runen und Frakturschrift auf der Kleidung. "Brutal Combat" steht da oder "Brigade Giesing". Sie wussten offenbar, was an dem Tag bevorstand. Wohlleben grüßt zu ihnen hinauf.

Schon zuvor hatte er über seine Anwälte auf einem Facebook-Account der NPD auf seine Erklärung einstimmen lassen. "Herr Wohlleben ist seinen Idealen und politischen Überzeugungen treu geblieben und wird dies auch in Zukunft bleiben", erklärten die Anwälte, die selbst zur rechten Szene gezählt werden. Sie stellen Wohllebens Aussage als "Akt der Notwehr" dar, gegen Lügen und Unterstellungen. Wie bei Zschäpe wird das Gericht noch viele Fragen an Wohlleben haben.

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