NSU-Prozess:Psychiater glaubt Zschäpe nicht

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Die Angeklagte Beate Zschäpe setzt sich am 10. Januar im Verhandlungssaal im Oberlandesgericht in München zwischen ihre Anwälte Hermann Borchert (links) und Mathias Grasel. (Foto: dpa)
  • Der psychiatrische Sachverständige stellt im Münchner Gericht sein Gutachten über Beate Zschäpe vor.
  • Er lässt wenig Zweifel daran, dass er die Eigendarstellung der Hauptangeklagten im NSU-Prozess für wenig überzeugend hält.
  • Weder ergibt sich für ihn das Bild einer schwachen Frau, die nur aus Liebe und Abhängigkeit bei ihren mordenden Gefährten blieb. Noch erkennt er echte Reue.
  • Was das für seine Einschätzung von Zschäpes Schuldfähigkeit heißt, wird er erst am morgigen Prozesstag vortragen. Da wird es auch um die Frage der Sicherungsverwahrung gehen.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm, München

Beate Zschäpe wirkt recht unbekümmert. Sie plaudert auf der Anklagebank angeregt mit ihren beiden Verteidigern Hermann Borchert und Mathias Grasel. Sie scherzt und lacht. Eine besondere Nervosität ist ihr am Dienstag im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München nicht anzumerken. Dabei geht es für sie um einiges.

Denn nach mehrtägigen Verzögerungen beginnt der psychiatrische Sachverständige am Nachmittag, sein Gutachten über Zschäpe vorzutragen. Schnell wird deutlich: Es wird für sie nicht gut ausfallen.

Psychiater Henning Saß hatte die Aufgabe, Zschäpes Schuldfähigkeit zu prüfen, eine Gefährlichkeitsprognose abzugeben und sich zu einer möglichen Sicherungsverwahrung zu äußern. Zschäpe muss sich wegen des Vorwurfs der Mittäterschaft an unter anderem zehn Morden, zwei Bombenanschlägen und 15 Raubüberfällen vor Gericht verantworten. Bei einer Verurteilung und der Feststellung einer besonderen Schwere der Schuld droht ihr eine lebenslange Freiheitsstrafe.

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Im NSU-Prozess lässt die Angeklagte eine Erklärung verlesen, die ihre "wahren Gefühle" beschreiben soll. Vermutlich richten sich ihre Worte vor allem an einen Gutachter.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Sie bestreitet die Vorwürfe. Ihre Anwälte verlasen an früheren Verhandlungstagen mehrere Erklärungen in ihrem Namen. Die 42-Jährige bestreitet nicht, dass ihre Lebensgefährten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sämtliche in der Anklage aufgeführten Verbrechen des NSU begangen haben.

Doch sie behauptet, dass Mundlos und Böhnhardt ihr immer erst hinterher von den Taten berichtet hätten. Zschäpe selbst will weder an der Planung noch an der Durchführung der Taten beteiligt gewesen sein.

Worauf der Experte sein Gutachten stützt

Es ist ein Blick zurück auf fast vier Jahre NSU-Prozess, den Psychiater Saß an diesem 336. Verhandlungstag zunächst vornimmt. Er referiert noch einmal das Leben der Angeklagten. Ihren rumänischen Vater hat Zschäpe nie kennengelernt, mit ihrer Mutter gab es früh Probleme. Ihre besonderen Bezugspersonen seien ihre Großmutter sowie Mundlos und Böhnhardt gewesen.

Der Psychiater erinnert auch an Aussagen von Zeugen, die Zschäpe als selbstbewusste Frau und starke Persönlichkeit beschrieben haben. Sie habe ihre beiden Gefährten "im Griff gehabt". Dies spreche für "Stärke und Selbstbewusstsein nach außen und gegenüber männlichen Partnern".

Saß hat mit Zschäpe selbst nicht gesprochen. Es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass Angeklagte bei einer drohenden Sicherungsverwahrung das Gespräch mit dem Gutachter verweigern. Darauf weist auch Saß am Dienstag hin. Ihm blieb das Studium der umfangreichen Akten, die Aussagen zahlreicher Zeugen, Zschäpes eigene Angaben und ihr Verhalten vor Gericht.

Der Sachverständige lässt wenig Zweifel daran, dass er die Darstellung der Angeklagten für wenig überzeugend hält. Für ihn ergibt sich bei Zschäpe nicht das Bild einer Frau, die die Taten ihrer Gefährten verabscheute und nur bei ihnen blieb, weil sie aus Liebe zu Böhnhardt, aus emotionaler und finanzieller Abhängigkeit keinen Ausweg fand.

Zschäpes angebliches Entsetzen über die Morde und Anschläge nimmt er ihr nicht ab. Ihre Erklärungen vor Gericht hätten "recht formal und unpersönlich" geklungen. Authentische, echte Reue oder Schuldeinsicht hat Saß in ihren Worten nicht erkannt.

Zschäpes Schuldfähigkeit stand nie ernsthaft in Zweifel. Es gebe "keine Hinweise auf eine relevante psychische Störung", stellt der Gutachter gleich zu Beginn seiner Ausführungen fest. Zschäpes geschilderter Alkoholkonsum spreche auch nicht für ein Suchtverhalten.

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Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger und Wiebke Ramm

In seinem schriftlichen Gutachten hatte Saß ihr bereits volle Schuldfähigkeit attestiert. Doch es kommt auf die Ausführungen des Psychiaters in der Hauptverhandlung an. Und seine abschließende Bewertung wird erst für diesen Mittwoch erwartet.

Auch zur Frage der Unterbringung in die Sicherungsverwahrung äußert sich Saß an diesem Tag zunächst nicht. Doch schnell wird klar, dass sich seine Einschätzung im Vergleich zum Vorgutachten nicht geändert hat.

Gefahr, dass Zschäpe erneut zur Täterin werden könnte

Dort stellte er fest: Sollte das Gericht Zschäpe als Rechtsterroristin und wegen Mittäterschaft an zehn Morden, zwei Bombenanschlägen und allen anderen Verbrechen des NSU verurteilen, dann sind auch die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegeben. Denn in diesem Fall müsse bei ihr von einem Hang zu erheblichen Straftaten ausgegangen werden, schrieb Saß nieder.

Zschäpes Biografie weise auf eine kriminelle Neigung hin, macht Saß schon an diesem Tag vor Gericht deutlich. Angefangen mit Diebstählen und ersten rechtsradikalen Aktionen, dann das Untertauchen mit Mundlos und Böhnhardt und schließlich möglicherweise Bombenanschläge und Morde.

Die Einschätzung des Psychiaters im Vorgutachten, die er zunächst noch nicht wiederholt: Wenn die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft in der Anklage gegen Zschäpe zuträfen, dann bestehe die Gefahr, dass Zschäpe in Freiheit erneut zur Täterin werden könnte.

Eine Sicherungsverwahrung dient dem Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Tätern, die ihre Gefängnisstrafe bereits abgesessen haben. Weil sie gefährlich sind, bleiben sie auch nach ihrer Haftstrafe eingesperrt. In Zschäpes Fall könnte dies bedeuten, dass zur lebenslangen Freiheitsstrafe noch die Sicherungsverwahrung kommt.

Der Weg zurück in Freiheit wäre damit dreifach versperrt. Zschäpe bliebe weit mehr als 20 Jahre hinter Gittern. Die meisten Prozessbeteiligten rechnen mit der Höchststrafe für Zschäpe. Die psychiatrische Einschätzung des Gutachters geht in dieselbe Richtung.

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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