NSU-Prozess:Prügelei nach dem Rummel

Beate Zschäpe gehörte schon mit 21 Jahren zur rechten Szene in Jena. Aber war sie auch gewalttätig? Im NSU-Prozess sagen zwei Frauen aus, die Zschäpe 1996 angegriffen haben soll. Weil sie zur linken Szene gehörten. Am Ende der Vernehmung ärgert Richter Götzl sich über die Polizei.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Jena, im Jahr 1996: An der Endhaltestelle der Straßenbahn im Stadtteil Winzerla steigen zwei Mädchen aus. Maria H. und Steffi S. tragen bunte Kleidung und bunte Haare, sie fühlen sich der linken Jugendszene zugehörig. Zwei junge Frauen folgen den beiden, eine von ihnen greift Maria H. an. Die 16-Jährige geht zu Boden, verletzt sich am Fuß, kann sich nicht wehren.

Die Angreiferin soll sich auf ihren Rücken gesetzt und von Maria H. verlangt haben, dass sie sagt: "Ich bin eine Potte!" Was das bedeuten sollte, weiß Maria H. bis heute nicht. Aber sie wisse jetzt, wer die Angreiferin gewesen sei: Beate Zschäpe.

Im NSU-Prozess belasten Maria H. und Steffi S. am Mittwoch die Hauptangeklagte mit ihren Erinnerungen an den Vorfall vor 18 Jahren. Damals war Zschäpe noch nicht untergetaucht. Sie war 21 Jahre alt, wohnte in Jena-Winzerla und gehörte zur rechten Szene. War sie auch gewalttätig?

Maria H. sagt, ein Journalist habe sie nach dem Auffliegen des NSU und der Festnahme Zschäpes auf die Geschichte angesprochen. Sie habe im Internet Fotos angeschaut und Zschäpe auf alten Aufnahmen wiedererkannt. Im Jahr 1996 habe sie den Namen Zschäpes noch nicht gekannt, eine Strafanzeige stellte sie damals gegen unbekannt. Die Akten dazu gibt es nicht mehr.

Vor dem Angriff hatte Maria H. einen Rummel in der Altstadt besucht. Anschließend sei sie nach Hause gefahren. Zschäpe sei mit einer Begleiterin, die ebenfalls zur rechten Szene gehört habe, in die Bahn eingestiegen, und die beiden hätten sich provokativ neben Maria H. und Steffi S. gesetzt.

"Geübte Handgriffe wie beim Kampfsport"

Nach dem Aussteigen soll Zschäpe Maria H. angesprochen und behauptet haben, sie hätte Zschäpe beleidigt. Dann habe Zschäpe Maria H. geschubst, Steffi S. spricht sogar von "geübten Handgriffen wie beim Kampfsport". Weder Steffi S. noch die Begleiterin der Angreiferin hätten eingegriffen, es sei alles sehr schnell gegangen, sagt Maria H.

Nach all den Jahren sind die Erinnerungen der Zeuginnen mittlerweile etwas blass, aber Unterlagen eines Arztes belegen, dass Maria H. im September 1996 wegen eines angebrochenen Fußes in Behandlung war. Zu der Zeit fand in Jena ein Altstadtfest statt, die Angaben der Zeuginnen passen dazu. Maria H. vermutet, dass Zschäpe sie verwechselt haben könnte. Auf dem Fest könnte es eine Auseinandersetzung zwischen Zschäpe und einer anderen jungen Frau gegeben haben, die Maria H. sehr ähnlich gesehen haben soll.

In den Neunzigerjahren gab es in Jena oft Kämpfe zwischen Neonazis und Linken. "Wenn man nach Hause gefahren ist, hat man schon geguckt: Na, sind da Rechte unterwegs? Es war immer ein bisschen Angst dabei", sagt Maria H. Ein Ex-Freund von ihr sei mal grün und blau geschlagen worden. Sie selbst habe sich nicht so sehr für "dieses Rechts-links - wir wollen uns prügeln - interessiert. Ich fand eher die Gedanken interessant, weniger die Straßenkämpfe", sagt Maria H.

Steffi S. schildert den Vorfall in Winzerla ähnlich wie H., sie erwähnt zudem eine Jacke, die Zschäpe dem Opfer abgenommen haben soll. Die Angreiferin habe Steffi S. zugerufen, wenn sie etwas unternehme, sei auch sie "dran".

Richter Götzl ist am Ende ungehalten

Anders als Maria H. will Steffi S. schon damals Zschäpes Namen gekannt haben. Sie habe sie ab und zu gesehen und sich vor ihr in Acht genommen: "Ich hab's mehr als einmal gehört, dass es hieß, Frau Zschäpe hat keine Skrupel, auf Leute loszugehen." Zschäpe habe ein "krasses Auftreten" gehabt, habe es geheißen. Auf Nachfragen des Richters Manfred Götzl kann die Zeugin nicht mehr sagen, von wem sie diese Einschätzungen gehört habe. Ihre Wahrnehmung sei jedenfalls gewesen, dass andere Angst vor Zschäpe gehabt hätten.

Götzl hakt bei einem weiteren Punkt nach: "Ist denn bei der Polizei nicht über die Täterin geredet worden?" Steffi S. will ja bereits 1996 gewusst haben, wer die Angreiferin war. Sie sagt: "Genau an diese Aussage - das weiß ich nicht mehr, das ist weg." Maria H. soll erst Jahre später den Namen Zschäpes erfahren und damals bei der Polizei noch keinen Namen genannt haben. Hatte S. ihr denn nichts über Zschäpe erzählt? "Das weiß ich auch nicht mehr. Wir waren auch nicht gut befreundet, wir kannten uns nur so", sagt Steffi S. Beate Zschäpe verfolgt die Aussagen mit verschränkten Armen.

Götzl wirkt am Schluss ebenfalls ungehalten. Die Polizei hatte den Zeuginnen bei einer Vernehmung bereits die Vorgabe gemacht, dass es um Zschäpe gehe. Warum sei denn nicht offen nach dem Vorfall im Jahr 1996 gefragt worden, will Götzl von einer Beamtin wissen. Auch seine Frage ist nun nicht wirklich offen. Man kann sie als Vorwurf verstehen.

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