NSU-Prozess:Plädoyer gegen Zschäpe könnte bis September andauern

Beate Zschäpe - NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München

Beate Zschäpe sitzt am Oberlandesgericht München zwischen ihren Anwälten Hermann Borchert (links) und Mathias Grasel.

(Foto: dpa)
  • Kommende Woche geht der NSU-Prozess in die Sommerpause.
  • Die Bundesanwaltschaft kann ihr 22-Stunden-Plädoyer deshalb wohl erst nach den Ferien beenden.
  • Bevor die Verteidigung plädiert, müssen noch die Nebenkläger gehört werden - sie sind nicht in allen Punkten mit den Staatsanwälten einer Meinung.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger

Seit drei Tagen spricht die Bundesanwaltschaft bereits, doch schon jetzt ist klar: Sie wird vor der Sommerpause des NSU-Prozesses nicht mehr fertig werden mit ihrem Plädoyer. Wie alles in diesem Mammutprozess vor dem Oberlandesgericht München dauert auch das Plädoyer viel länger als geplant. Von den 22 Stunden, die die Vertreter der Anklage für die Dauer ihrer Schlussvorträge anberaumt haben, waren am Donnerstag erst 13 gesprochen. Und das Gericht will offenbar nicht bis in den Abend tagen, denn es bestünde das Risiko, dass die Angeklagten verhandlungsunfähig werden. Dann würde der Prozess noch länger dauern.

Also machte das Gericht am Mittwoch bereits um 15 Uhr Schluss, auch am Donnerstag gab es immer wieder Pausen. Deswegen reichen für die Plädoyers der Bundesanwaltschaft die zwei Verhandlungstage, die kommende Woche noch angesetzt sind, auf keinen Fall. Vermutlich wird das Riesen-Plädoyer erst am 31. August und 1. September zu Ende gehen - den ersten Tagen nach der Sommerpause.

Und dann sind schon die nächsten Plädoyers geplant. Auch sie werden nicht kurz, aber zumindest überschaubar. Rund 50 Nebenkläger haben sich zusammengefunden und dem Gericht ein Konzept vorgelegt, wie sie sich organisieren wollen - denn noch nie hat es in einem Verfahren so viele Nebenkläger gegeben, insgesamt mehr als 80.

Die Anwälte haben nun abgesprochen, dass sich jeder nur auf bestimmte Schwerpunkte beziehen soll - vor allem auf die Taten, von denen ihre eigenen Mandanten und ihre Familien betroffen sind. Doch selbst mit dieser Selbstbeschränkung kommen nach der Berechnung des Berliner Anwalts Sebastian Scharmer, der die Plädoyers organisiert hat, 57 Stunden zusammen.

Es ist fraglich, ob der NSU-Prozess noch dieses Jahr beendet wird

Die Nebenklagevertreter planen sehr unterschiedliche Plädoyers: Der Berliner Anwalt Mehmet Daimagüler will fünf Stunden plädieren, der Vertreter des schwer verletzten Polizisten Martin A., der beim Anschlag auf seine Kollegin Michèle Kiesewetter in Heilbronn fast gestorben wäre, nur 30 Minuten. Allein die Nebenklage-Plädoyers könnten so bis Ende Oktober dauern. Und erst dann sind die Verteidiger dran. Es ist deswegen schon jetzt fraglich, ob der NSU-Prozess noch dieses Jahr zu Ende gehen wird.

Unterdessen entfaltet Oberstaatsanwältin Anette Greger im Gerichtssaal noch einmal das Bild der NSU-Mordserie. Aus Hunderten von Zeugenaussagen, aus Dutzenden Berichten von Sachverständigen setzt sie zusammen, wie die Morde nach der Beweisaufnahme abliefen. Tat für Tat geht sie durch, beschreibt die Menschen, die die Kugeln trafen, nennt ihr Alter, ihren Beruf, wann sie nach Deutschland gekommen sind, sie sagt auch, wen diese Menschen hinterließen: kleine Mädchen, halbwüchsige Söhne, junge Witwen.

Und dann beschreibt sie die Taten: Wie die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in die Läden ihrer Opfer traten, unmaskiert, oft mit einer Plastiktüte in der Hand, in der sie die Waffe verbargen. Immer zu den normalen Ladenöffnungszeiten. Die Opfer spürten keine Gefahr, sie wandten sich den Mördern freundlich zu, hielten sie für Kunden. Viele duckten sich noch hinter die Ladentheke, als der erste Schuss sie traf. Die Täter aber schossen auf die am Boden liegenden Menschen aus nächster Nähe. Dreimal in die Brust, von hinten in den Kopf. Es waren Hinrichtungen.

Oberstaatsanwältin Greger sagt, der NSU habe gewollt, dass in Deutschland keine Menschen südländischer Herkunft leben. "Vor allem Türken galten ihnen als minderwertig, sie bezeichneten sie abfällig als Ali. Sie waren zu eliminieren", sagt Greger. Die Morde sollten von anderen Migranten als Warnung aufgefasst werden und sie vertreiben. Deswegen habe der NSU gezielt Menschen ausgesucht, die sich eine Existenz aufgebaut hatten.

Rechte Hintermänner an den Tatorten habe es nicht gegeben

Und Greger kommt außerdem zu dem Schluss: Eine Existenz von rechten Hintermännern an den Tatorten habe sich nicht bewahrheitet. Das sehen die Vertreter der Nebenkläger völlig anders. Greger betonte, dafür habe es keine Beweise gegeben und sie kritisiert die Nebenkläger, die die Entdeckung solcher Hintermänner "ihren Mandanten versprochen" hätten. Greger nennt auch den Namen von Andreas Temme - dem früheren Verfassungsschützer, der am Tatort in Kassel gewesen war. Aber das war es dann auch. Sie sagt nur, Temme habe - anders als alle anderen Zeugen in dem Internet-Café - keine Geräusche gehört, die mit den Schüssen auf das Opfer Halit Yozgat zusammenhängen.

Der Nebenklageanwalt Scharmer ärgert sich über diese Äußerung der Ankläger. Es sei "eine Frechheit", zu unterstellen, dass Nebenklageanwälte den Hinterbliebenen und Verletzten des NSU-Terrors "rechte Hintermänner" an den Tatorten versprochen hätten. Dies unterstelle, dass die Mandanten nicht in der Lage wären, sich eine eigene Meinung zu bilden. "Zum anderen ignoriert der Generalbundesanwalt, dass in den letzten mehr als 360 Hauptverhandlungstagen zahlreiche Beweismittel gefunden wurden, die Unterstützer der Gruppe an den jeweiligen Tatorten nahelegen", sagt Scharmer. Auch alle Untersuchungsausschüsse zum Thema NSU gingen im Ergebnis davon aus, dass Mundlos und Böhnhardt Unterstützung bekamen.

Scharmer wirft dem Generalbundesanwalt und den Verfassungsschutzbehörden vor, sie hätten diese Hinweise in den fast sechs Jahren nach Selbstenttarnung des NSU "nicht angemessen verfolgt". Die Behörden hätten Informationen "nicht herausgegeben, vertuscht und geschreddert", sagt der Rechtsanwalt. "Es jetzt so darzustellen, dass alles dazu ermittelt worden wäre - ohne überhaupt Einzelheiten dazu zu nennen -, ist eine schlichte Verdrehung der Wahrheit, eine Diffamierung nicht nur von engagierten Nebenklageanwältinnen und -anwälten, sondern vor allem auch der Opfer des NSU- Terrors selbst."

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