NSU-Prozess:Nebenklage-Plädoyers im NSU-Prozess verzögern sich

Richter Manfred Götzl

Richter Manfred Götzl (Archivbild).

(Foto: Tobias Hase/dpa)
  • Die Nebenklage-Plädoyers der Nebenklage im NSU-Prozess verzögern sich weiter.
  • Die Hauptverhandlung wurde am 384. Verhandlungstag mehrfach unterbrochen.
  • Die Befangenheitsanträge von André E wurden abgelehnt.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Edith Lunnebach nimmt es gelassen. Nach zuletzt fast dreiwöchiger Unterbrechung im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München war die Kölner Anwältin darauf vorbereitet, an diesem Dienstag als erste Nebenklagevertreterin ihr Plädoyer zu halten. Lunnebach vertritt die Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Probsteigasse. Doch ihr Plädoyer wird sie an diesem Tag nicht halten. Stattdessen gibt es viele Unterbrechungen und ein paar Fotos von einem Schlafsofa.

Erst am Nachmittag beginnt am Dienstag der 384. Verhandlungstag. Das Gericht gibt zunächst bekannt, dass der mutmaßliche NSU-Unterstützer André E. mit seinen Befangenheitsanträgen gegen die Richter keinen Erfolg hatte. Die Beschlüsse liegen noch nicht in Kopie für alle Prozessbeteiligten vor. Der Verteidiger von André E., Michael Kaiser, will erst die Beschlüsse lesen und sie mit seinem Mandanten besprechen. Er beantragt eine Pause.

Richter Manfred Götzl will keine Unterbrechung der Hauptverhandlung, muss aber sowieso unterbrechen, um über Kaisers Antrag zu entscheiden. Nach einer Viertelstunde setzt Götzl die Verhandlung fort. Er teilt mit, es werde keine Pause geben. Stattdessen will das Gericht Auszüge aus einem Durchsuchungsbericht vorlesen und Fotos daraus zeigen.

Die Verteidiger der Angeklagten Andre E., Ralf Wohlleben und Beate Zschäpe beantragen nun eine Unterbrechung von einer halben Stunde, um die entsprechenden Dokumente vorab zu sichten. Bundesanwalt Herbert Diemer meldet sich zu Wort, wirkt genervt. Er sagt: "Man wird es nicht verhindern können, dass Sie es sich angucken, aber vielleicht genügt dafür auch eine Viertelstunde."

Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer scheint kaum glauben zu können, was er da hört. "Man kann es nicht verhindern?", wiederholt er die Worte des Bundesanwalts. Tatsächlich klang Diemers Satz, als hätte der Bundesanwalt am liebsten ein "leider" hinzugefügt.

"Das ist hier ein rechtsstaatliches Verfahren", sagt Heer: "Und Sie sind Bundesanwalt!" Heer ist empört. Mehr noch: "Ich bin entsetzt." Richter Götzl unterbricht die Verhandlung für eine halbe Stunde. In der Pause werden die Beschlüsse über die Befangenheitsanträge von André E. verteilt.

Nach einer halben Stunde will der Richter den Durchsuchungsbericht in Auszügen vorlesen.

3835 Euro unter einem Schlafsofa

Spezialeinsatzkräfte hatten Ende November 2011 frühmorgens die Wohnung des Bruders von André E. gestürmt. Der Angeklagte lag auf einem Schlafsofa. Unter dem Sofa lag eine Tüte mit 3835 Euro. Was das für Geld ist, sagten die Brüder den Ermittlern nicht. André E. wurde vor Ort als mutmaßlicher Unterstützer des NSU verhaftet. Er blieb knapp sieben Monate in Untersuchungshaft. Als der NSU-Prozess begann, war er wieder frei.

Seit rund sechs Wochen ist André E. wieder im Gefängnis. Die Bundesanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer Mitte September überraschend zwölf Jahre Haft für E. unter anderem wegen Beihilfe zum versuchten Mord und seine sofortige Inhaftierung wegen Fluchtgefahr beantragt. Am Folgetag erließ das Gericht Haftbefehl. Seither sitzt André E. wieder in Untersuchungshaft. Und seither wehrt er sich gegen das Gericht mit einer Serie von Befangenheitsanträgen. In der Folge musste der Prozess für mehrere Wochen unterbrochen werden.

An diesem Tag widerspricht Verteidiger Kaiser nun der Verlesung des Durchsuchungsberichts. Das Gericht liest ihn - nach einer erneuten Pause - dennoch vor. Schließlich bittet Kaiser darum, die Verhandlung erst am nächsten Tag fortzusetzen. Er müsse mit seinem Mandanten noch die Beschlüsse durcharbeiten, mit denen seine Befangenheitsanträge gegen die Richter abgelehnt wurden. Die Haft wirke sich auf die Konzentrationsfähigkeit von André E. aus, sagt Kaiser. Sein Mandant brauche Ruhe und Zeit, um die juristischen Sätze zu verstehen. Die Bedingungen dafür seien in seiner Zelle besser als im Gerichtssaal. Erstaunen im Saal. Dort gebe es zumindest frische Luft, ergänzt Kaiser.

Richter Götzl kommt der Bitte nach. Die Hauptverhandlung wird unterbrochen. Erst an diesem Mittwoch soll es weitergehen. Ob Anwältin Lunnebach dann plädieren kann, ist fraglich. Lunnebach bleibt geduldig. Die Angeklagten nehmen einfach ihre Rechte wahr, erklärt die Juristin.

Gamze Kubasik fällt es schwerer, mit dem Hin und Her zurechtzukommen. "Es raubt mir sehr viel Kraft", sagt die Tochter von Mehmet Kubasik, dem achten Mordopfer des NSU. Gamze Kubasik ist an diesem Tag nicht zum ersten Mal in der Erwartung nach München gereist, dass die Nebenklage mit ihren Plädoyers beginnt. Dass die Opfer und ihre Anwälte sagen können, was aus ihrer Sicht noch zu sagen ist. "Man geht immer mit einer Enttäuschung nach Hause", sagt sie hinterher. Doch Gamze Kubasik wird wiederkommen - und auch selbst noch vor Gericht das Wort ergreifen.

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