NSU-Prozess:Nebenkläger nennt Zschäpes Aussagen unglaubwürdig

Fortsetzung NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München

Beate Zschäpe spricht mit ihrem Anwalt Mathias Grasel.

(Foto: dpa)
  • Beate Zschäpe hat sich nach Einschätzung eines Nebenklägers im NSU-Prozess mit ihrem Aussageverhalten selber belastet.
  • Eberhard Reinecke, der mehrere Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße vertritt, meint, Zschäpes schriftliche Aussagen seien wenig authentisch.
  • Er trifft damit offenbar einen Nerv bei Zschäpe: Sie redet an diesem Prozesstag anhaltend mit ihrem Anwalt.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Beate Zschäpe hat Redebedarf. Sie redet und redet und redet. Zwar hört nur ihr Verteidiger Mathias Grasel, was die Angeklagte am Donnerstag im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München zu sagen hat. Aber die Worte von Nebenklagevertreter Eberhard Reinecke zeigen offenbar Wirkung. Reinecke vertritt mehrere Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße. An diesem Tag beginnt er sein Plädoyer - und scheint bei Zschäpe einen Nerv zu treffen. Insbesondere als er über ihre Beziehung zum Mitangeklagten André E. und dessen Frau spricht.

"Frau Zschäpe ist durchaus zu Empathie und Rücksichtnahme fähig, aber nicht gegenüber den Opfern, sondern nur gegenüber der Familie E.", sagt der Anwalt. André E., seine Frau und seine Kinder besuchten Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach deren Untertauchen regelmäßig in deren Versteck. André E. versorgte sie mit Bahncards, mietete für sie eine Wohnung, ein Auto und drei Wohnmobile an. Reinecke nimmt nun auch André E.s Frau, Susan, in den Fokus. Es ist die Frau, die Zschäpe als ihre beste Freundin bezeichnete, mit der sie aber dennoch nie über Persönliches gesprochen haben will. Auf der Anklagebank sitzt Susan E. nicht. Zu Unrecht, wie Reinecke meint.

Der Kölner Anwalt erinnert daran, dass Zschäpe Susan E. erst im Sommer 2006 - und damit nach den ersten neun Morden - kennengelernt haben will. Er hält das für eine Lüge. Es spreche vielmehr einiges dafür, dass Susan E. die mutmaßlichen NSU-Terroristen schon Mitte 2000 kennenlernte, als Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nach Zwickau zogen. Susan E. lebte damals in Zwickau, sie ist dort geboren und aufgewachsen. Reinecke: "Der Gedanke wäre geradezu absurd, dass einer der wenigen Bekannten, die das Trio zunächst in Zwickau hatte, nämlich André E., ihnen nicht bereits damals seine Lebenspartnerin vorgestellt hat."

Susan E. könnte die drei mutmaßlichen Terroristen geschützt haben

Nach Überzeugung des Anwalts will Zschäpe die beiden schützen und ihre tatsächliche Beteiligung an den Taten verschleiern. Reinecke stellt eine Reihe von Überlegungen dar, die nahelegen, dass Susan E. möglicherweise aktiv dabei geholfen hat, dass die drei mutmaßlichen Terroristen nicht auffliegen. Reinecke sagt: "Jeder hier im Raum weiß, dass die extrem enge Beziehung zwischen Familie E. und dem Trio mit Sicherheit auch Kenntnis und Unterstützung der Mordtaten beinhaltete."

Er sagt aber auch: "Allerdings lässt sich zur Zeit ein Beweis der Unterstützung - abgesehen von dem Anschlag in der Probsteigasse - nicht führen." Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass André E. das Fahrzeug anmietete, mit dem Mundlos und Böhnhardt damals nach Köln fuhren, um die Bombe in der Probsteigasse zu deponieren. André E. ist deshalb wegen Beihilfe zum versuchten Mord angeklagt.

André E. und Zschäpe hören Reinecke aufmerksam zu. André E., der die Ausführungen anderer Nebenklagevertreter häufig mit einem Grinsen kommentiert, grinst diesmal nicht. Und Zschäpe redet in der folgenden Pause auf ihren Verteidiger ein. Es passt zu dem, was Reinecke schon zuvor gesagt hatte: "Frau Zschäpe hatte die realistische Einschätzung, dass ihr das Schweigen nichts nutzt. Insofern war nachvollziehbar, dass sie den Drang hatte, etwas zu sagen." Zumindest gegenüber ihrem Anwalt.

Zschäpe antwortet nur schriftlich auf Fragen

Mit ihren neuen Anwälten, Grasel und Hermann Borchert, hatte Zschäpe 2015 ihre Schweigestrategie aufgegeben. Sie sagte aus, indem ihre Verteidiger vorbereitete Einlassungen verlasen. Darin gab sie der Anklage in weiten Teilen recht, schob Mundlos und Böhnhardt die Schuld an sämtlichen Verbrechen zu und versuchte, sich selbst als Opfer der Männer darzustellen. Überzeugt hat dies kaum jemanden im Saal. Reinecke stellt an diesem Tag anschaulich und detailliert dar, wie unkonkret, lebensfern und widersprüchlich Zschäpes Aussagen waren.

Er erinnert auch an die von Zschäpe und ihren Verteidigern vorgegebene Prozedur, auch auf Fragen immer nur schriftlich und nach einer langen Bearbeitungszeit zu antworten. Auch die Antworten trug sie weder selbst noch spontan vor. Dadurch habe sie verhindert, dass sich das Gericht einen authentischen Eindruck ihrer Persönlichkeit machen konnte, sagt Reinecke. Er sagt auch: "Aus gutem Grund erfolgt die Befragung des Angeklagten im Strafprozess mündlich. Im Dialog von Frage und Antwort entwickelt sich die Authentizität der Aussage, dabei können auch nonverbale Reaktionen für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von entscheidender Bedeutung sein."

Zschäpe wählte einen anderen Weg. Aus Reineckes Sicht den falschen. "Es gab aber wohl niemand unter den Verteidigern, der Frau Zschäpe deutlich gemacht hat, dass eine wahrheitsgemäße Erklärung zwar auch zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld führt, aber vielleicht die Haftzeit verkürzen könnte", so Reinecke. Möglicherweise sei es Zschäpe aus heutiger Sicht egal, "ob sie 20, 25, 30 Jahre oder noch länger im Gefängnis sitzt". Doch er prophezeit ihr: "Hat sie einmal 20 Jahre gesessen, wird sie den Unterschied zu 25, 30 oder mehr Jahren erkennen." Es ist ein Appell an Zschäpe, vielleicht doch noch die Wahrheit zu sagen.

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