NSU-Prozess:Nach dem Ende

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Mehrere Opferfamilien zeigen sich nach dem Urteil enttäuscht und wütend. Für sie habe die Bundesrepublik bei der Aufklärung der Straftaten versagt. Sie wollen den Staat juristisch zur Verantwortung ziehen.

Von Annette Ramelsberger, München

Nach dem Urteil im NSU-Prozess geht die Diskussion über die mangelnde Aufklärung der rechtsradikalen Mordserie unvermindert weiter. Mehrere der Familien wollen den Staat jetzt juristisch zur Verantwortung ziehen. "Wir möchten, dass ein Gericht in Deutschland feststellt, dass der Staat versagt hat", sagte die Anwältin der Familie des ersten NSU-Mordopfers Enver Simsek, Seda Basay, in Berlin.

Ihre Begründung: Als Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 1998 untertauchten, wurde das Trio per Haftbefehl gesucht. Einzelne Verfassungsschutzämter hätten zu diesem Zeitpunkt den Aufenthaltsort der drei gekannt oder ihn feststellen können, weil Telefonate abgehört wurden. Allerdings haben die Ämter ihre Informationen nicht an die Polizei weitergegeben. "Wenn man das gemacht hätte, 1998 schon, dann hätte man vielleicht die Morde verhindern können", sagte Basay.

Diese so genannte Staatshaftungsklage wurde schon 2016 beim Landgericht Nürnberg eingereicht und richtet sich gegen die Bundesrepublik sowie Thüringen und Bayern, die auf Schadenersatz verklagt werden. Federführend betreut der Opferanwalt Mehmet Daimagüler die Klage.

Die Vertreter von 22 Nebenklägern haben am Morgen nach dem Urteil ihre Wut und Enttäuschung darüber deutlich gemacht. Die Opferfamilien kritisierten, dass das Gericht die Versäumnisse des Verfassungsschutzes und "die strukturell rassistischen Ermittlungen zu Lasten der Angehörigen der Opfer" gar nicht erwähnt habe. "Das Urteil darf nicht das Ende der Aufklärung bedeuten", forderten sie.

Ihre Kritik geht noch weiter: Nicht nur hätten die NSU-Helfer André Eminger und Ralf Wohlleben deutlich niedrigere Strafen erhalten als von der Bundesanwaltschaft gefordert, der Neonazi Eminger sei auch sofort auf freien Fuß gesetzt worden. Die Anwälte der Opferfamilien erklärten, noch schlimmer sei, dass das Urteil ein "Schlussstrich" sein wolle. "Das Gericht stellt den NSU als abgeschottetes Trio dar, das bereits vor dem Untertauchen seine Entscheidungen alleine traf", heißt es in der Erklärung der Anwälte. Damit würden die Ermittlungsbehörden davon freigesprochen, dass sie das NSU-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe nach deren Untertauchen hätten finden können und müssen.

Kurz nach dem Urteil hatte Generalbundesanwalt Peter Frank auf der Seite Tagesschau.de erklärt, die Akten zum Fall NSU würden nicht geschlossen. Der Teil-Freispruch des Gerichts für den als Terrorhelfer angeklagten André Eminger habe aber gezeigt, wie schwer es sei, die Helfer des NSU strafrechtlich zu belangen. Die Bundesanwaltschaft hatte zwölf Jahre Haft für ihn gefordert, die sah ihn schuldig der Beihilfe zum versuchten Mord. Das Gericht hatte das anders gesehen und ihn freigelassen. "Wir dürfen und wir werden das Kapitel NSU nicht schließen", sagte Frank. Die Versäumnisse der Ermittlungsbehörden seien auch für seine Behörde eine Verpflichtung.

© SZ vom 13.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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