Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Mutmaßlicher NSU-Helfer geht in die Offensive

  • Der Angeklagte André E. ändert seine Strategie und benennt erstmals einen Zeugen.
  • Bodo S. aus Zwickau soll dem engen Vertrauten von Beate Zschäpe ein Alibi geben.
  • Der Mann ist von der Verteidigung für Dienstag als Zeuge im NSU-Prozess geladen.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Nach fast fünf Jahren Schweigen im NSU-Prozess wagt sich der mutmaßliche NSU-Helfer André E. aus der Deckung. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hat sein Neuverteidiger für Dienstag einen Zeugen geladen: Bodo S. aus Zwickau. Der Mann soll André E. ein Alibi für den Vormittag des 4. November 2011 geben.

Es ist das erste Mal überhaupt, dass der Angeklagte E. einen Zeugen benennt. Bodo S. soll widerlegen, was die Bundesanwaltschaft Ende August 2017 in ihrem Plädoyer vortrug. Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten hatte damals gesagt, er gehe davon aus, dass André E. am Vormittag des 4. November 2011 gemeinsam mit Beate Zschäpe im NSU-Versteck in der Zwickauer Frühlingsstraße im Internet recherchiert hat, was mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos passiert ist.

Die Ankläger werten dies als besonderes Vertrauensverhältnis zwischen E. und den mutmaßlichen NSU-Terroristen. "Es zeigt, wie nah Herr E. wirklich dran war am NSU", sagte Weingarten.

André E. soll ein Wohnmobil für Böhnhardt und Mundlos gemietet haben

Mundlos und Böhnhardt haben sich am 4. November 2011 nach einem Raubüberfall in Eisenach in einem Wohnmobil erschossen. Die Bundesanwaltschaft geht von einer gemeinsamen Internetsuche von E. und Zschäpe aus, weil E.s Handy in einer Funkzelle in der Frühlingsstraße eingeloggt gewesen sein soll.

André E.s neuer Verteidiger Daniel Sprafke hat den Zeugen Bodo S. nach eigenen Angaben am Wochenende per Gerichtsvollzieherin für den 419. Verhandlungstag geladen. Allerdings sei die Ladung nicht dem Zeugen selbst, sondern dessen Ehefrau überreicht worden, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Die Frau soll angegeben haben, dass ihr Mann auf Montage sei. Ob der Zeuge, wie von dem Verteidiger geplant, am Dienstagmorgen vor dem Oberlandesgericht München erscheint, ist demnach fraglich.

André E. wird unter anderem Beihilfe zum versuchten Mord vorgeworfen. Die Bundesanwaltschaft fordert zwölf Jahre Haft für ihn. Der 38-Jährige soll die NSU-Terroristen jahrelang unterstützt und auch das Wohnmobil gemietet haben, mit dem Böhnhardt und Mundlos nach Köln fuhren, um einen Bombenanschlag zu verüben. Der Sprengsatz explodierte im Januar 2001 und verletzte eine junge Frau schwer.

Die Plädoyers von Zschäpes Verteidigern könnten sich weiter verzögern

Seit September 2017 ist E. wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Die Haft zeigt Wirkung. Hatte E. all die Jahre zuvor geschwiegen und das Prozessgeschehen zumeist grinsend verfolgt, sieht er nun Handlungsbedarf. Mit seinen beiden langjährigen Verteidigern ist er nicht mehr zufrieden, als dritten Verteidiger hat er sich jetzt den Karlsruher Anwalt Sprafke hinzugeholt.

Ob das Gericht dem Beweisantrag nachkommt und den Zeugen S. hören wird, ist unklar. Die Frist für Beweisanträge ist längst abgelaufen. Möglicherweise sehen die Richter aber die Chance, über den Zeugen Näheres über André E. zu erfahren. Auf Anraten seiner beiden Altverteidiger hat sich E. bislang als einziger Angeklagter nicht zu den Anklagevorwürfen geäußert. Nun will er offenbar anfangen, sich aktiv zu verteidigen.

Der Beginn der Plädoyers der Verteidiger von Zschäpe könnte sich dadurch erneut verzögern. Die Dauer des Prozesses ist vor allem für die Überlebenden der Bombenanschläge und die Hinterbliebenen der zehn Mordopfer eine große Belastung. Doch vielleicht beginnt André E. doch noch zu reden. Zur Aufklärung der Verbrechen könnte der Neonazi und enge Vertraute von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt möglicherweise einiges beitragen.

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