NSU-Prozess in München:Angeklagte gegen Angeklagte

Co-defendant Wohlleben, one of the four alleged supporters of the neo-Nazi cell NSU, waits for another session of the trial at the regional courthouse in Munich

Seine Anwälte fordern seine Freilassung: Ralf Wohlleben

(Foto: REUTERS)

Tagelang sagt Carsten S. im NSU-Prozess aus - und belastet den Mitangeklagten Ralf Wohlleben schwer. Doch dessen Verteidiger fordern die Freilassung ihres Mandanten. Die Anwälte von Beate Zschäpe versuchen, die Glaubwürdigkeit des Angeklagten Holger G. zu erschüttern.

Aus dem Gericht berichtet Tanjev Schultz

Tagelang hatte sich der Angeklagte Carsten S. im NSU-Prozess den Fragen des Gerichts und der Nebenkläger gestellt, am Donnerstag endete seine Vernehmung. Die Verteidiger von Ralf Wohlleben, den S. schwer belastet hatte, verlangten anschließend die Freilassung ihres Mandanten aus der Untersuchungshaft.

Sie argumentierten, die Aussagen von S. dürften gar nicht verwertet werden, weil S. sich geweigert hatte, Fragen von Wohllebens Seite zu beantworten, solange dieser selbst zu allen Vorwürfen schweigt. Wohllebens Anwälte beriefen sich auf die Europäische Menschenrechtskonvention, Vertreter der Nebenklage widersprachen.

Carsten S. hatte ausgesagt, dass er von Wohlleben angeleitet worden war, den Kontakt zum untergetauchten Trio zu halten und diesem eine Waffe zu beschaffen. Wohllebens Anwältin Nicole Schneiders sagte, Carsten S. spiele seine eigene Rolle herunter.

Beate Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl versuchte anschließend, die Glaubwürdigkeit eines anderen Angeklagten zu erschüttern: Holger G., der sich bisher nur in einer verlesenen schriftlichen Erklärung zur Sache geäußert hatte. Stahl unterstellte G., dass er seine Erklärung gar nicht selbst erstellt haben könnte, sondern sie von seinen Verteidigern formuliert worden sei. Das würde sich auf den Beweiswert auswirken. Die Erklärung von G. sei zudem nur "an der Oberfläche" geblieben.

Holger G. hatte noch im Jahr 2011 Kontakt zu dem untergetauchten Neonazi-Trio, er verhalf ihm unter anderem zu einem Ausweis, will aber nichts von den NSU-Verbrechen gewusst haben. In seiner Darstellung habe G. nicht ausreichend zwischen den verschiedenen Personen des Trios differenziert, monierte Zschäpes Anwalt. Es habe in G's Aussage gewirkt, als habe das Trio wie im "Chor" gesprochen.

Stahl bemühte sich, G. auch dadurch als problematischen Zeugen darzustellen, dass er dessen frühere Spielsucht und dessen Rauschmittel-Konsum hervorhob. Zu vermuten sei eine Minderung von G's "Gedächtnisleistung", sagte Zschäpes Anwalt. Holger G. hörte mit sichtbarem Unbehagen zu, schwieg aber.

"Absolut unverständlich"

Kurz Thema war am Donnerstag auch der Briefwechsel, den Zschäpe in der Untersuchungshaft mit einem Häftling führte, der aus der Neonazi-Szene in Dortmund kommt. Der Nebenklage-Vertreter Sebastian Scharmer fragte, ob es dazu jetzt ergänzende Ermittlungen gebe.

Bundesanwalt Herbert Diemer sagte, zu Ermittlungen gebe er keine Erklärungen ab. Es sei "absolut unverständlich", dass die Bundesanwaltschaft bisher offenbar nicht ermittle, teilte Scharmer später der Presse mit: Warum die Bundesanwaltschaft, die vorher "jeden Stein" umgedreht habe, nun bei einem wesentlichen Kontakt von Zschäpe keinerlei Ambitionen an den Tag lege, sei nicht nachvollziehbar. Scharmer kündigte entsprechende Anträge an, damit das Gericht der Spur nachgehe.

Zudem ging es am Donnerstag um eine neue mysteriöse Spur zu einem Blumenhändler nach Nürnberg. Am Nachmittag konnte die Bundesanwaltschaft das Rätsel dann aber lösen - die Handynummer des Blumenhändlers hatte einst V-Mann Tino Brandt gehört.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: