NSU-Prozess:"Ihre Katzen waren wie ihre Babys"

Beate Zschäpe war mal "die beste Freundin" von Heike K. Als Zeugin beim Münchner NSU-Prozess löst sie Emotionen bei der mutmaßlichen Terroristin aus - und bringt die Anwälte der Nebenklage in Wallung. Später tritt der Sohn von Heike K. auf, der sich mit Zschäpe über Ausländer unterhalten hat.

Aus dem Gericht berichtet Oliver Das Gupta

Heike K. war mal richtig nah dran an Beate Zschäpe, die sie als Susann Dienelt kannte. Gemeinsam lebten sie mehrere Jahre in der Zwickauer Polenzstraße unter einem Dach. Es war in einer Zeit, in der Zschäpes Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bereits gemordet hatten. Heike K. ahnte offenbar nicht, dass im Erdgeschoss ihres Hauses eine rechtsextreme Terrorzelle residierte, die sich Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nannte.

Dass die beiden Männer nur flüchtig oder gar nicht grüßten, dass diese Susann Dienelt den Spitznamen "Lisa" trug. Manches kam ihr schon komisch vor, sagt Heike K. Doch sie fragte nicht nach. Immer wieder sagt sie dem Richter und den Anwälten der Nebenkläger, sie wollte doch Dienelt nicht "aushorchen". Die Zeugin klingt empört. Sie habe vor allem von sich erzählt, versichert sie. Dass sie nie in der Wohnung des Trios war, dass sie nicht nach der Herkunft der Frau fragte, die sie als "beste Freundin" bezeichnet - all das löst nicht nur auf der Zuschauertribüne Kopfschütteln aus.

Anders als etwa bei der Aussage des Rechtsextremisten Andre K. klappt Zschäpe diesmal ihren Laptop auf, dessen Bildschirm wie ein kleiner Sichtschutz wirkt. Die Angeklagte hört aufmerksam zu, die Ausführungen der Zeugin lösen Emotionen aus. Die vierfache Mutter K. sagt, Zschäpe sei damals die "Hauptperson in meinem Leben" gewesen - die Angeklagte wirft ihr einen traurigen Blick zu. K. wird zum Sexleben ihrer einstigen Freundin befragt, Zschäpes schmaler Mund zieht die Winkel nach oben. K. geht an Zschäpes Pult vorbei, weil der Richter ihr Fotos vorlegt - Zschäpe schaut weg, schaut auf ihre Armbanduhr.

Auch nach ihrem Umzug blieben die beiden Frauen in Kontakt. Ihr letztes Treffen fand am 1. November 2011 statt. Zschäpe sei angespannt gewesen. Es gab einen ausgiebigen Abschied, der einem Lebewohl glich - nur drei Tage vor dem Auffliegen der Terrortruppe.

Heike K. ist gelernte Eisenbahn-Transportfacharbeiterin. Sie wurde 1967 in der DDR geboren und gehört zu denjenigen, die nach der Wende auf der Strecke blieben. Seit 1996 lebt sie von staatlichen Zuwendungen, sie ist alleinerziehende Mutter. Es ist ein Leben unter prekären Bedingungen. Sie hat derzeit obendrein große Probleme, die eine Anwältin der Nebenkläger in einem grenzwertigen Ton erfragt.

Viel von dem, was sie bei ersten Vernehmungen aussagte, hat K. nicht mehr präsent. Sie verstrickt sich in Widersprüche, wird trotzig und laut. Der Richter ermahnt sie dafür, aber auch eine Vertreterin der Nebenklage, die mit ihren Zwischenrufen die Nerven Götzls ziemlich belastet. Es kommt zu einem Wortgefecht, bei dem der Kopf des Vorsitzenden immer rötlicher und sein Ton immer schneidender wird.

Die Anwälte grillen die Zeugin regelrecht

Die Emotionen der Anwälte der Nebenkläger gehen bei der Zeugin K. hoch. Sie halten ihr frühere Aussagen vor (mehr dazu hier). Meist geht es um Petitessen wie einen Gang zum Pizzabäcker, manchmal tatsächlich um wichtige Details. Warum etwa tauchte K. schon bald beim abgebrannten NSU-Domizil auf, wo doch Zschäpe ihren neuen Wohnort der Zeugin nicht mitgeteilt hatte? Die Anwälte grillen sie regelrecht. Bei manchen Aussagen wirkt die 46-Jährige unglaubwürdig.

Es geht auch um den Rechtsdrall von K.s Sohn. Die Zeugin sagt nach anfänglicher Weigerung, dass er in einer Fernsehdokumentation anonymisiert den Satz gesagt habe: "Herrgott, Alter, und zehn Morde ... das ist für mich nichts". Das mit dem Zeugnisverweigerungsrecht in Bezug auf nahe Angehörige scheint sie nicht recht verstanden zu haben.

Einmal habe sie sich mit Zschäpe gestritten, weil sie vertraute Dinge weitererzählt habe. Dass sie nicht, wie versprochen, Postkarten aus dem Urlaub geschrieben habe. Sonst sagt K. nichts Negatives über Zschäpe. Stattdessen beschreibt sie, wie sich Zschäpe um ihre Tochter - "mein Problemkind" - kümmerte. Wie sie der Hartz-IV-Empfängerin Lebensmittel kaufte. Wie Zschäpe meistens eine Flasche Wein mitbrachte. Wie sehr sie ihre Katzen liebte: "Ihre Katzen waren wie ihre Babys."

Nach der Mittagspause muss K. weiter ausholen. Es geht um Urlaub. "Geweint hat sie schon mal", sagt K. Kurz bevor sie für ein paar Wochen in den Urlaub gefahren sei, habe es einen Abschied unter Tränen gegeben, sagt K. Richter Gölzl entlässt die Zeugin. Danach setzt sie sich auf die Zuschauertribüne.

Sie wartet auf den Auftritt ihres Sohnes. Nach einem anderen Zeugen - dem Ex-Vermieter des mutmaßlichen NSU-Helfers Andre E., ist Patrick K. an der Reihe.

Wie seine Mutter erinnert er sich an viele Dinge nicht oder anders als in seiner ersten Vernehmung vor zwei Jahren. Wer klingelte bei einem Wasserschaden, der die Zschäpe-Wohnung betraf? Zschäpe, sagt er. Ihm wird eine andere Aussage vorgehalten. Er ist sich nicht sicher. Vielleicht war es auch ein Mann. Dann erinnert er sich, dass neben Zschäpe eine weitere Person stand.

So geht das einige Male. Patrick K. widerspricht auch manchen Aussagen seiner Mutter. Die erklärte, Zschäpe sei nach dem Auszug nur alle drei Wochen vorbeigekommen. Patrick K. sagt, Zschäpe sei zwei, drei Mal innerhalb von zwei bis vier Wochen vorbeigekommen.

Anders als seine Mutter kann er sich sehr wohl daran erinnern, dass "die Susann" mal eine Karte aus dem Urlaub geschickt habe. Woher, weiß er nicht mehr. Aber es seien Strand, Blumen und Palmen zu sehen gewesen.

Wie ein "Möchtegern-Nazi herumgerannt"

Zschäpe habe ihm einmal geraten, sich von der rechten Szene fernzuhalten. Sie sei in einer ähnlichen Situation gewesen, das habe sie "mit einem Bein in den Knast gebracht". Dass er selbst im Alter von 13, 14 Jahren rechtsextreme Musik gehört hat, räumt Zeuge K. ein. Er sei wie ein "Möchtegern-Nazi herumgerannt", mit Doc-Martens-Schuhen und Bomberjacke, sagt der glatzköpfige 22 Jahre alte Mann, der Stahlkappenschuhe trägt.

Vielleicht habe er mal damals einen Satz gesagt wie: "Hab' was gegen die Ausländer, die nach Deutschland kommen und sich die Kohle in den Arsch schieben lassen." Als der Richter ihm vorhält, dass er bei seiner ersten Vernehmung einen fast identischen Satz von Zschäpe kolportiert habe, zuckt er mit den Schultern. Könne sein, wisse er nicht mehr.

Ein Bundesanwalt knöpft ihn sich vor. Ob ihm wirklich an der Wahrheit und nichts als der Wahrheit gelegen sei. Dass seine erste Aussage mit der heutigen Aussage in entscheidenden Punkten nicht übereinstimme. Er solle sich anstrengen. "Sie sind dazu verpflichtet, eine gewisse Anspannung ihres Geistes vorzunehmen". Patrick K. wirkt nun eingeschüchtert.

Er habe ausländische Freunde. Und einen linken Kollegen. Der fände es auch schlecht, wenn Ausländer nach Deutschland kämen und Sozialleistungen erhielten. Ob er noch rechts sei? Zeuge K. verneint.

Das ist entweder gelogen, oder seine Definition von rechtsextrem ist sehr speziell. Denn anschließend lässt ein Anwalt der Nebenklage die Sequenz aus der Dokumentation abspielen, in der K. mit verpixeltem Gesicht sich über die Vorwürfe gegen Zschäpe aufregt. Patrick K. sagt: "Ich hab ne Zukunft, ich habe zwei Kinder". Ein anderer Vertreter der Nebenklage liest ihm vor, was er bei seinem Facebook-Account alles findet: Aufrufe gegen ein Asylbewerberheim in Schneeberg, die Neonazi-Band Endstufe, die Todesstrafe für Kinderschänder und so weiter.

Die Vernehmung zieht sich in die Länge. Warum seine Mutter voller Angst um die nach unbekannt verzogene Zschäpe war, als die Wohnung in der Frühlingsstraße explodierte? Das kann auch der Sohn nicht sagen.

Immer wieder sagt er, er könne sich nicht erinnern. "Wees isch nüsch mehr", sächselt er. Und auch: "Ich weiß nicht mal, wann meine Mutter Geburtstag hat". Eine junge Zuschauerin mit dunklen Haaren stößt einen leisen Laut aus und hält sich die Hand vor den Mund. Patrick K.s Mutter ist da längst von der Tribüne verschwunden.

Sie wartet im Erdgeschoss neben einem Cola-Automaten. Sie starrt ins Dunkel des Abends.

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