Egon Stutzke ist 78 Jahre alt, Rentner, akkurat, und er hat einen sehr geordneten Tagesablauf. Er weiß auch nach drei Jahren noch, was er am 4. November 2011 eingekauft hat und wann: Zwei Flaschen Wasser, je anderthalb Liter, dazu Bananen und Brötchen. Er wollte auch noch eine Frischmilch aus dem Lidlmarkt mitnehmen, aber die war nicht vorrätig. Genau 9.25 Uhr war es, als er das Haus verlassen hat, das weiß Stutzke, weil er nach der englischen Sportschau gegangen ist, die er morgens immer schaut. Man weiß nicht, ob man Rentner Stutzke als Nachbar haben will, aber für die Entdeckung der NSU-Täter waren seine präzisen Beobachtungen wohl ausschlaggebend. Und um dieses Ende der terroristischen Vereinigung aus Rechtsradikalen ging es diese Woche im NSU-Prozess in München.
Rentner Stutzke fiel auf dem Parkplatz kurz vor dem Lidl ein weißer Wohnwagen auf. Er war gerade ein paar Schritte weitergegangen, da tauchten zwei Radfahrer auf. "Die kamen förmlich angeflogen", erzählt Stutzke vor Gericht. "Die fuhren zu dem Wohnmobil. Dort ging alles recht schnell. Einer der beiden nahm sofort Platz auf dem Fahrersitz, während der andere die Räder im Wohnmobil verstaute. Dann ging die Post ab. Die sind so schnell angefahren, dass die Räder durchgedreht sind. Die sind dann in Richtung Hauptstraße weitergefahren." Stutzke konnte noch das Kennzeichen erkennen, ein "V" für Vogtland.
Der Rentner führte die Polizei auf die richtige Spur
Der Rentner ging erstmal in den Supermarkt, kaufte ein, und als er rauskam, sah er schon eine Polizeistreife, die eine Frau fragte, ob sie zwei Männer auf Fahrrädern gesehen habe. "Ich hab das gehört und hab dem zugerufen: ,Ja, aber ich hab sie gesehen.' Der Polizist sagte mir, die zwei Männer auf dem Fahrrad haben eine Bank überfallen. Darauf sagte ich: ,Oh Gott, auch das noch!'"
Es war die Wartburg Sparkasse in Eisenach und es sollte der letzte von 15 Raubüberfällen sein, die die beiden Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangen haben, seitdem sie 1998 in den Untergrund gegangen waren. Mit dem Geld aus diesen Überfällen finanzierten sie sich ihr Leben, ihre Wohnung, ihre Urlaube an der See.
Rentner Stutzke aber wies der Polizei den Weg zu den Radfahrern - und zu ihrem weißen Wohnmobil. Und setzte damit der Existenz des terroristischen NSU ein Ende. Die Tarnung ihrer Fahrräder mit einem Wohnmobil, die Mundlos und Böhnhardt so oft bei ihren Fahrten durch die Republik benutzt hatten, funktionierte nun nicht mehr.
Die Polizei fand den Wagen in einem Vorort von Eisenach. Dort war er in einer ruhigen Vorortstraße abgestellt, zwischen Neubauhäusern, gleich neben einer Baugrube. Am Schafrain, ein idyllischer Name. Von früheren Taten der beiden mutmaßlichen Täter weiß man, dass sie in aller Ruhe abwarteten, bis die Fahndung nach Fahrradfahrern wieder aufgehoben wurde. Dann fuhren sie mit ihrem Wohnmobil davon.
Doch nun war es anders. Eine Polizeistreife näherte sich dem Wohnmobil, die beiden Polizisten erkannten das Kennzeichen, sie hörten drinnen Geräusche - so als wenn ein Stuhl verrückt würde. Und dann fiel ein Schuss. "Wir haben die Waffen gezogen", berichtet Polizist Frank Mayer, der sich mit einem Kollegen anschlich. Sofort gingen sie in Deckung hinter einem Papiercontainer. Später erfuhren sie, dass der Schuss in ihre Richtung abgegeben worden war. Dann hörten sie schon zwei weitere Schüsse. Im Abstand von wenigen Sekunden. Und dann sahen sie Flammen, die den Vorhang am Seitenfenster des Wohnmobils abbrannten. Eine regelrechte Stichflamme, sagt der Polizist vor Gericht. Starker Rauch habe den Wagen erfüllt.
Richter Manfred Götzl fragt: "Haben Sie andere Personen gesehen?" - "Nein", sagt Polizist Mayer, "eine alte Dame führte ihren Hund spazieren und der Halter des Autos, der vor dem Wohnmobil parkte, kam aus dem Haus gelaufen, um sein Auto wegzufahren." - "Sonst jemand?", fragt Götzl. "Nein, niemand."
Auch die Bundesanwaltschaft fragt nach: "Können Sie sich da festlegen?" - "Ja", sagt der Polizist. Das ist wichtig, denn immer wieder wird von einem dritten Mann geraunt, der angeblich die beiden NSU-Männer erschossen haben soll. Eine der vielen Verschwörungstheorien.
Kein Ruß in den Lungen
Als die Feuerwehr das Wohnmobil öffnete, stieß sie auf zwei Leichen. Die beiden Männer lagen auf dem Boden, die Sportkleidung mit Ruß verschmiert und angekokelt, die Gesichter bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Am Mittwoch trat der Gerichtsmediziner Reinhard Heiderstädt aus Jena vor Gericht auf, er hat die Leichen der beiden Neonazis seziert. Bei Uwe Böhnhardt fand er eine Einschusswunde an der Schläfe, der Schuss war durch den Kopf gegangen und hatte ihn quasi "von innen heraus explodieren" lassen, sagt der Mediziner. Mundlos hatte sogar noch schwerere Verletzungen.
Bei ihm fand Heiderstädt Schmauchspuren im Mund, die Kugel ging durchs Gehirn. Offensichtlich hatte sich der Neonazi einen Mundschuss versetzt. Bei beiden Leichen fand sich aber kein Ruß in den Lungen. Das hatte immer wieder Gerüchte aufkommen lassen, dass die beiden gar nicht in dem Wohnwagen gestorben waren oder eine dritte Person das Feuer legte, nachdem die beiden Männer bereits tot waren.
Doch Mediziner Heiderstädt erklärte, auch wenn die Atmung nach solchen Kopfschüssen sofort still stehe, könne er nicht ausschließen, dass Mundlos und Böhnhardt zuvor Kohlenmonoxid eingeatmet und wieder ausgeatmet haben. Das sei aber nicht mehr nachweisbar. Und nicht immer finde man Rußpartikel in den Atemwegen.
So ist nun auch der Selbstmord von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos abgearbeitet. Das Gericht wird sich im Juni den Anschlägen des NSU in Köln zuwenden.