NSU-Prozess:Die Mörderin, die nie am Tatort war

NSU-Prozess: Zehn Menschen ermordete der NSU - doch verdächtigt wurden zunächst die Familien der Opfer. Genauso, wie das die Terroristen beabsichtigt hatten.

Zehn Menschen ermordete der NSU - doch verdächtigt wurden zunächst die Familien der Opfer. Genauso, wie das die Terroristen beabsichtigt hatten.

(Foto: Regina Schmeken)

Das Urteil gegen Beate Zschäpe stützt sich auf eine mutige rechtliche Konstruktion. Nun, zehn Jahre nach Auffliegen der Terrorzelle NSU, ist es rechtskräftig. Das war nicht unbedingt zu erwarten - und ist vor allem das Verdienst des strengen Richters Manfred Götzl.

Von Annette Ramelsberger, München

Man würde jetzt gerne mit dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl sprechen, dem Mann, der mit seinen Kollegen fünf Jahre lang, über 438 Verhandlungstage, im Saal A 101 des Oberlandesgerichts München saß und am Ende das Urteil über Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten verkündete. Götzl ist ein Mann von altfränkischer Strenge und von einer Zurückhaltung, die abweisend wirken kann. Man weiß von ihm, dass er - neben der Wahrheitsfindung - in diesem historischen NSU-Prozess vor allem eines anstrebte: dass ihm niemand das Urteil zerlegt und dass der Bundesgerichtshof in Karlsruhe den Münchner Senat nicht korrigiert. Götzl wollte ein Urteil wie in Stein gemeißelt.

Ganze 3025 Seiten hatte es am Ende, 93 Wochen hat sich das Gericht dafür nach der mündlichen Urteilsverkündung im Juli 2018 noch Zeit genommen - es hat die Frist bis auf den vorletzten Tag ausgereizt. Angeblich musste jeder Richter, jede Richterin über jeden Halbsatz lesen. Nun hat Götzl es geschafft: Der Bundesgerichtshof hat das Urteil gegen Beate Zschäpe und zwei weitere Angeklagte gehalten. Das Urteil gegen die rechtsradikale Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund, kurz NSU, hat Bestand. Die zwei Gefährten von Beate Zschäpe hatten sich selbst getötet, als sie nach einem Banküberfall von Polizisten umstellt waren. Aber die verbliebenen Täter und Helfer werden für zehn Morde, 15 Raubüberfälle und drei Bombenattentate zur Verantwortung gezogen.

Es bleibt bei der lebenslangen Haftstrafe für Zschäpe, bei den zehn Jahren für den Beschaffer einer Mordwaffe, den früheren NPD-Kader Ralf Wohlleben. Und es bleibt bei der Strafe von drei Jahren für den alten Kumpel der NSU-Mitglieder, Holger G., der ihnen seinen Reisepass und Führerschein zur Verfügung gestellt hatte. Ein weiterer Angeklagter, Carsten S., hatte seine Revision zurückgezogen, die Jugendstrafe von drei Jahren angenommen und sie bereits abgesessen.

Ganz vorbei ist es noch nicht

Wer bisher versuchte, mit Götzl zu sprechen, erhielt immer die Antwort: auf keinen Fall vor Rechtskraft des Urteils. Und das hört man natürlich auch an diesem Tag. Denn so ganz ist es ja noch nicht vorbei. Am 2. Dezember wird es in Karlsruhe noch eine Verhandlung in Sachen NSU geben. Dann wird dort - auf Wunsch der Bundesanwaltschaft - erörtert, ob das Urteil gegen den Neonazi André Eminger nicht zu milde war. Die Anklage hatte zwölf Jahre für ihn gefordert, sie hielt ihn für den vierten Mann des NSU, den engsten Vertrauten der Terrorgruppe. Oder, wie das der damalige Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten in seinem Plädoyer ausdrückte: Es könne doch nicht sein, dass Eminger all die Jahre neben seinen Freunden "hergetrottet" sei, aber nie gefragt habe: "Warum seid ihr im Untergrund, und von was lebt ihr eigentlich?"

NSU-Prozess

"Sinnstiftend und handlungsleitend" sei Beate Zschäpe für den NSU gewesen, befand auch der BGH. Die lebenslange Haftstrafe bestätigte das Gericht in Karlsruhe.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Götzls Senat aber hatte Eminger nur zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, weil die Richter davon ausgingen, dass er nichts von den Banküberfällen und Mordtaten des NSU wusste. Noch am Tag des Urteils wurde er auf freien Fuß gesetzt, unter dem Gejohle seiner Gesinnungsgenossen. Die Entscheidung über Eminger soll am 15. Dezember verkündet werden. Ob Götzl danach spricht? Kollegen, die ihn kennen, meinen: eher nein.

Denn einen kleinen Seitenhieb hat der BGH den Münchner Richtern mitgegeben: Das, was sie da als Urteil abgeliefert haben, sei viel zu lang und aufgebläht. "Sachlich nicht geboten" und der "Lesbarkeit abträglich" sei das 3000-Seiten-Urteil, das bei jeder einzelnen Tat immer wieder die gleichen Textpassagen aufeinanderstapelt, um ja keinen formalen Fehler zu begehen. Der BGH begnügte sich mit knapp 31 Seiten, sehr kurz und gut lesbar. Vermutlich wird sich Götzl darüber ein wenig ärgern, vielleicht ist er aber auch einfach auf einem Berg, wandern. Er ist seit vergangenem Dezember in Ruhestand. Wer sich selbst durch dieses Urteil fräsen musste, kann die Richter des BGH schon verstehen. Ein Paket juristischer Formalien, wasserdicht verknotet, hat Götzls Senat da auf den Tisch gelegt, elegant war es nicht.

Die Tochter eines Getöteten forderte Zschäpe auf, Unterstützer zu nennen. Wahrscheinlich ist das nicht

Aber um Eleganz ging es auch nicht. Dieses Urteil sollte halten. Nicht nur zur höheren Ehre der Münchner Richter. Es sollte halten, um zu zeigen, dass nach dem Versagen von Verfassungsschutz und Polizei wenigstens die Justiz ordentlich arbeitet. Und der Rechtsstaat damit zeigt, dass er der Bedrohung von rechts gewachsen ist.

Man muss noch einmal kurz den Blick zurück lenken: Die Polizei in Jena hatte 1998 drei rechtsradikale Bombenbauer einfach entkommen lassen, mit einer Mischung aus Schlendrian und Unvermögen. Die drei - Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe - gingen nach Chemnitz, später nach Zwickau, wo sie von der rechtsradikalen Szene mit Wohnungen, Geld und Hilfe unterstützt wurden. 40 Spitzel des Verfassungsschutzes waren in ihrem Umfeld platziert, keiner wusste angeblich etwas, keiner führte die Ermittler zu ihnen. Aus dem Untergrund heraus zogen Mundlos und Böhnhardt 13 Jahre durchs Land, spitzelten türkische Läden, Imbisse, Bäckereien aus und erschossen insgesamt neun Migranten wie aus dem Nichts. Die Familien der Opfer galten als verdächtig, fühlten sich alleingelassen von der Polizei, genauso, wie das der NSU beabsichtigt hatte.

Erst 2011 flog der NSU auf. Und es kursierte das Bekennervideo: Die Täter hatten den sterbenden Opfern ins Gesicht gefilmt und sich lustig über sie gemacht. Beate Zschäpe verschickte es. Viele Familien haben diesen Schock nie überwunden. Dennoch setzten sich manche Nebenkläger dafür ein, eine frühere Haftentlassung für Beate Zschäpe zu befürworten, wenn sie endlich Unterstützer nenne. Die Tochter eines Getöteten, Gamze Kubasik aus Dortmund, sagte nach der BGH-Entscheidung: "Ich fordere Beate Zschäpe nun noch einmal auf, alle weiteren Täter und Helfer zu nennen! Sie hat nun nichts mehr zu verlieren. Sie ist zu einer lebenslangen Strafe verurteilt. Wenn Sie jemals wieder rauskommen will, sollte sie nun kompromisslos bei der Aufklärung helfen!" Wahrscheinlich ist das nicht.

Dass der BGH dieses Urteil hält, war nicht unbedingt vorauszusehen. Kurz vor dem Urteil in München, im Jahr 2018, vertrat einer der Zschäpe-Verteidiger, Wolfgang Stahl, einen anderen Mandanten in einem Revisionsfall vor den BGH. Drei Menschen hatten eine Tankstelle überfallen und von der Beute gelebt, aber nur zwei der drei waren reingegangen in die Tankstelle und hatten dem Personal die Waffe unter die Nase gehalten. Einer der Täter blieb im Auto sitzen. Der Mann im Auto war in den Augen des BGH nicht Mittäter, sondern nur Helfer. Und Anwalt Stahl erinnert sich an den Satz eines der BGH-Richter während der Verhandlung: "Das wäre auch bei einer terroristischen Vereinigung nicht anders." Stahl hatte das Gefühl, dieser Satz sei direkt an ihn, den Verteidiger von Zschäpe, gerichtet gewesen. Denn der Richter sagte auch noch, niemand solle denken, dass der BGH von dieser Linie abweichen würde.

Nun ist der BGH von seiner Linie abgewichen. Denn Beate Zschäpe ging - wie im Fall von der Tankstelle - nicht mit auf die Mordtouren ihrer Gefährten, sie hütete das Haus. Doch alles, was sie für die Terrorzelle tat, wertete der BGH nun genauso wie das OLG München: Sie hat nach dem Suizid ihrer Gefährten die gemeinsame Wohnung in Brand gesetzt. Sie hat für die Tarnung gesorgt, wenn ihre Männer auf Mordtour waren. Sie hat die Bekennervideos verschickt, die aus den einzelnen Taten erst eine geplante Mordserie machten und aus drei untergetauchten Neonazis aus Thüringen den Schrecken der Republik, den NSU. Der BGH sagt, ohne sie habe das Ganze nicht funktionieren können. Sie sei "sinnstiftend und handlungsleitend" gewesen, der Zweck der ganzen Mordserie "stand und fiel" mit ihren Zusagen. Zschäpe habe die Morde an neun Migranten und der Polizistin genauso gewollt wie ihre Gefährten. Deswegen sei sie eine Mörderin.

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